Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil wie folgt zu lauten hat:
„Das Klagebegehren des Inhalts, die Beklagte sei schuldig, einzuwilligen, dass auf ihrer Liegenschaft EZ ***** Grundbuch ***** die Dienstbarkeit des Gehrechts über das Grundstück 193/1 zu Gunsten der Grundstücke des Klägers 196/1, 196/5 und .240 der EZ ***** Grundbuch ***** grundbücherlich einverleibt werden könne, wird abgewiesen.
Der Kläger ist schuldig, der Beklagten deren mit 4.387,46 EUR (darin 546,24 EUR USt und 1.110 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Text
Entscheidungsgründe:
Entlang der Grenze des Grundstücks des Klägers verläuft ein etwa 3 m breiter asphaltierter Weg, der im Eigentum der Beklagten steht. Der Kläger hat einen Gartenausgang auf diesen Weg und er bzw seine Rechtsvorgänger benützt(en) diesen Weg seit den 1950-er Jahren, um spazieren bzw zum See zu gehen sowie um zur Post, in den Ort, zum Tennisplatz usw zu gehen. Das Gartentor wurde mit Kenntnis und Wissen der Rechtsvorgänger der Beklagten errichtet. Der Weg wurde und wird auch von anderen Personen im Rahmen eines Gemeingebrauchs regelmäßig begangen, und zwar im Wesentlichen um dort spazieren zu gehen und um zum Baden zum See zu gelangen. Im Jahr 1997 stellte die Beklagte an den beiden Enden ihres Grundstücks - den Gehweg begrenzende - Tafeln mit der Aufschrift auf: „Privat - Benützung auf eigene Gefahr bis auf Widerruf gestattet“. Neben diesen Tafeln befindet sich auf einer Mauer der Beklagten eine Tafel mit der Aufschrift „Durchgang bis auf Widerruf“. Das Aufstellen der Tafeln bewirkte keine Änderung der oben beschriebenen Benützung des Wegs.
Der Kläger begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Einwilligung in die Einverleibung der Dienstbarkeit des Gehrechts über ihr Grundstück zu Gunsten seiner Liegenschaft. Der Weg werde seit mehr als 100 Jahren von vielen Bewohnern der Gemeinde benützt. Zur Zeit der Asphaltierung des Wegs durch die Gemeinde in den 1960-er Jahren sei die Ersitzung der Servitut durch die Gemeinde längst abgeschlossen gewesen. Der Kläger und seine Rechtsvorgänger hätten den Weg immer über den Gemeingebrauch hinausgehend benützt, zumal zu ihrem Garten nur über den Weg ein seeseitiger Zugang bestehe.
Die Beklagte hielt dem entgegen, dass der Kläger und seine Eltern den Weg in der Vergangenheit nie benützt hätten. Als der Weg zwischen 1961 und 1963 asphaltiert worden sei, hätte der Vater der Beklagten eine Tafel mit der Aufschrift „Durchgang bis auf Widerruf“ aufgestellt. Er habe dadurch eine Ersitzung verhindern und zum Ausdruck bringen wollen, dass der Weg nur im Rahmen einer Bittleihe benützt werden könne. Der Aufstellung der Tafeln im Jahr 1997 hätten weder der Kläger, noch die Gemeinde widersprochen, sodass auch aus diesem Grund kein Gehrecht bestehe.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Ergänzend zum oben wiedergegebenen Sachverhalt stellte es fest, dass der Weg 1964 von der Gemeinde asphaltiert wurde und dass die Eltern des Klägers dazu einen Kostenbeitrag leisteten. Der Kläger und seine Rechtsvorgänger hätten das Gehrecht zumindest seit 1954 unbeanstandet ausgeübt. Selbst wenn man im Aufstellen der Tafeln im Jahr 1997 eine Beanstandung erblicken würde, wäre zu diesem Zeitpunkt die 30-jährige Ersitzungsfrist bereits abgelaufen. Durch das Aufstellen der Tafeln wäre keine Freiheitsersitzung iSd § 1488 ABGB eingetreten. Der Kläger übe nämlich das Gehrecht weiterhin aus, sodass die aufgestellten Tafeln zu keinem Verlust der bereits ersessenen Servitut führten.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung (mit Maßgabe) und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, aber nicht 30.000 EUR übersteige und dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil der Rechtsfrage, ob bei Benützung eines Privatwegs, an dem Gemeingebrauch bestehe, durch Bewohner unmittelbar an den Weg angrenzender Liegenschaften mit einem Ausgang auf diesen Weg ein Gehrecht zu Gunsten dieser Liegenschaften ersessen werden könne, erhebliche Bedeutung zukomme. Der Kläger und seine Rechtsvorgänger hätten für sich ein über den Gemeingebrauch hinausgehendes Recht zur Benützung des Wegs in Anspruch genommen, weil sie über ihren Gartenausgang und den gegenständlichen Weg verschiedene Einrichtungen und Anlagen im Ort bequemer erreichen hätten können, während die Allgemeinheit den Weg im Wesentlichen nur zum Spazierengehen benützt habe bzw benütze. Der Kläger und seine Rechtsvorgänger hätten somit die Dienstbarkeit des Gehrechts über den Weg ersessen, weil sie den Weg seit 1953 regelmäßig benützt hätten und die Beklagte oder ihre Rechtsvorgänger innerhalb der 30-jährigen Ersitzungszeit keine Handlungen gesetzt hätten, die die Redlichkeit des Klägers und seiner Rechtsvorgänger zum Wegfall hätten bringen können, nicht vorgelegen seien. Die Aufstellung der Tafeln im Jahr 1997 habe keine Freiheitsersitzung gemäß § 1488 ABGB bewirkt, weil es sich nicht um Verbotstafeln gehandelt habe, sondern die Beklagte die Benützung des Wegs (bis auf Widerruf) weiterhin gestatte. Sie dokumentiere damit bloß, dass ihrer Ansicht nach keine Dienstbarkeit bestehe. Das bloße Leugnen eines fremden Rechts begründe aber keine ausreichende Widersetzlichkeit iSd § 1488 ABGB.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Beklagten gegen diese Entscheidung gerichtete Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht bei der Beantwortung der Frage der Begründung einer Dienstbarkeit an einer im Gemeingebrauch stehenden Grundstücksfläche von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist; sie ist auch berechtigt.
Die Revisionswerberin macht geltend, der Kläger habe den Weg in derselben Art und Weise benutzt wie die Allgemeinheit, nämlich durch bloßes Begehen, um zu diesem oder jenem Ziel zu gelangen. Er habe den Weg nicht etwa durch Befahren, Bereiten oder sonst auf eine irgendwie erkennbar andere Weise als die Allgemeinheit benutzt. Die Beklagte habe somit keine Kenntnis davon erlangen können, dass sich der Kläger eines besonderen Rechts berühme, das die Beklagte schuldig sei zu dulden. Nach 7 Ob 207/99p komme es nicht darauf an, wohin der Liegenschaftsnachbar gehe, sondern ob er den in Frage stehenden Weg während der Ersitzungszeit auf eine Art und Weise genutzt habe, die sich von der Nutzung durch die Allgemeinheit unterscheidet, wie etwa Befahren, Nutzung zur Holzbringung, etc. Dass dem Nachbarn bloß eine „bequemere Nutzung“ seiner Liegenschaft ermöglicht werde, könne nicht ausreichen, da dies auch für die Allgemeinheit gelte, die den Weg benutze, um zu dem ihr bequemen Ziel zu kommen. Bestehe also ein Gebrauchsrecht für die Allgemeinheit, könne ein Nachbar nur ein qualitativ darüber hinausgehendes Benutzungsrecht ersitzen. Dies sei im gegebenen Fall aber nicht festgestellt worden. Im Übrigen habe die Aufstellung der Tafeln im Jahr 1997 die Freiheitsersitzung bewirkt. Die Beklagte habe damit nämlich kundgetan, dass sie das Begehen ihres Grundstücks nicht in Form eines Wegerechts zu dulden gewillt sei, sondern lediglich bis auf Widerruf, also in der Rechtsform einer Bittleihe.
Hiezu wurde erwogen:
1. Der Erwerb eines Privatrechts durch Ersitzung an einem im Gemeingebrauch stehenden Weg kommt nur dann in Betracht, wenn eine Benützung außerhalb des Gemeingebrauchs erfolgt. Es muss für den Liegenschaftseigentümer erkennbar sein, dass ein vom Gemeingebrauch verschiedenes Privatrecht in Anspruch genommen wird, dessen Ausübung vom Eigentümer wie die Erfüllung einer Schuld geduldet werden muss (RIS-Justiz RS0009785).
2. Zum Erwerb des Besitzes eines Rechts an einer Liegenschaft (als Voraussetzung der Ersitzung) ist nicht nur der Wille des Besitzers, ein Recht auszuüben, sondern außerdem erforderlich, dass die Leistung oder Duldung durch den Grundeigentümer erkennbar wie die Erfüllung einer Schuldigkeit geschieht, als hätte derjenige, dem geleistet wird oder dessen Handlungen geduldet werden, ein Recht darauf. Davon kann nicht gesprochen werden, wenn der Grundeigentümer die von ihm geduldeten Handlungen des den Besitz Behauptenden schon aufgrund einer übernommenen öffentlich-rechtlichen Verpflichtung zur Gestattung des Gemeingebrauchs dulden muss (RIS-Justiz RS0009762).
3. Der Umstand, dass der Ersitzungswerber einen eigenen Zugang zum streitgegenständlichen Weg hat, ändert nichts daran, dass er den Weg zum selben Zweck bzw in gleicher Art und Weise benützt wie die Allgemeinheit (7 Ob 207/99p). Unmaßgeblich ist auch eine allfällige häufigere Benutzung der Verkehrsfläche und ein größeres Interesse an deren Erhaltung (vgl 9 Ob 505/95).
4. In 6 Ob 54/00k wurde die über den Gemeingebrauch hinausgehende Nutzung eines jedermann zur Benutzung offen stehenden Uferwegs damit begründet, dass der Kläger, dessen landwirtschaftliche Güter sich im Anschluss an die öffentlichen Wege befanden, zur Bewirtschaftung seiner Güter auf diese Wege angewiesen sei; angesichts der Intensität und der sich aus der Bewirtschaftung zwangsläufig ergebenden Häufigkeit stelle diese Nutzung eine über den Gemeingebrauch hinausgehende Nutzung dar.
5. Im vorliegenden Fall haben die Tatsacheninstanzen festgestellt, dass der Kläger den Weg nicht nur zum Spazierengehen benützt, sondern auch, um etwa zur Post, in den Ort oder zum Tennisplatz zu gelangen. Dies stellt jedoch keine vom Allgemeingebrauch abweichende Benützungsart dar. Insbesondere war aus Sicht der Beklagten keinerlei über den Gemeingebrauch hinausgehende Duldung einer Wegbenützung des Klägers gegeben, die sich erkennbar wie die Erfüllung einer Schuldigkeit dargestellt hätte.
6. Die Beklagte hat ihren Weg zur Benutzung durch die Allgemeinheit (auf Widerruf) freigegeben. Es kann daher von ihr nicht verlangt werden, den Kläger (ihren Grundstücksnachbarn) von dem jedermann sonst gewährten Durchgangsrecht auszuschließen, um die Ersitzung einer Wegeservitut zu verhindern. Eine derartige Untersagung wäre (zur Verhinderung einer Ersitzung) nur dann erforderlich gewesen, wenn der Kläger den Weg in einer über den Gemeingebrauch hinausgehenden Art und Weise in Anspruch genommen hätte.
7. Zusammenfassend bleibt somit festzuhalten, dass der Kläger die von ihm begehrte Dienstbarkeit des Gehrechts am Grundstück der Beklagten nicht ersessen hat. Die - nachgelagerte - Frage der Freiheitsersitzung durch die Aufstellung der oben beschriebenen Tafeln kann daher offen bleiben.
Der Revision der Beklagten war Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen waren im Sinne einer Klageabweisung abzuändern.
Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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