OGH 12Os140/09v

OGH12Os140/09v14.1.2010

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Jänner 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter, in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Jauk als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Gerhard K***** wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 1, 86 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 6. Mai 2009, GZ 081 Hv 15/08f-122, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Polizeibeamte BI Gerhard K***** von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe am 17. Jänner 2005 in Wien Felix T***** dadurch, dass er, obwohl weder die Voraussetzungen des § 7 Z 3 WaffG noch jene des § 7 Z 4 WaffG vorlagen, mit der Dienstwaffe mehrere Schüsse aus dem fahrenden Einsatzwagen auf den vor dem Polizeifahrzeug fahrenden, von Felix T***** mit relativ und absolut überhöhter Geschwindigkeit gelenkten Pkw Audi S 4 abgab, wodurch Felix T***** einen Oberarmdurchschuss, einen Durchschuss in Hüft-/Bauchbereich rechts und einen Kopfsteckschuss erlitt, dessen Folgen am 24. Jänner 2005 zum Tode führten, vorsätzlich mit einem solchen Mittel und auf eine solche Weise, mit der in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, am Körper verletzt, wobei die Tat den Tod des Felix T***** zur Folge hatte, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Nach den - hier wesentlichen, zusammengefasst dargestellten - Feststellungen des Schöffengerichts verwirklichte der Fahrzeuglenker Felix T***** auf seiner Fluchtfahrt im Wiener Stadtgebiet, nachdem er nacheinander drei Verkehrsteilnehmer konkret gefährdet hatte, (jeweils zeitgleich) eine konkrete Gefahrenlage für „etwa vier bis fünf" Fahrzeuglenker sowie „wenig später" für weitere vier bis fünf Personen (US 10 bis 12). Nach den weiteren Urteilsannahmen lagen die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines lebensgefährdenden Waffengebrauchs nach § 7 Z 3 WaffGG zwar (nur [US 21 oben, 45]) mangels einer nach der Rechtsprechung für die Verwirklichung des Deliktsmerkmals der konkreten Gemeingefahr nach § 176 Abs 1 StGB erforderlichen gleichzeitigen konkreten Gefährdung einer größeren Anzahl von Personen objektiv nicht vor. Der Angeklagte sah jedoch den Waffengebrauch als nach § 7 Z 3 WaffGG (Erzwingung der Festnahme oder Verhinderung des Entkommens einer Person, die einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, überwiesen oder dringend verdächtig ist, das [sic] für sich allein oder in Verbindung mit ihrem Verhalten bei der Festnahme oder Entweichung sie als einen für die Sicherheit des Staates, der Person oder des Eigentums allgemein gefährlichen Menschen kennzeichnet) gerechtfertigt an, weil er irrtümlich annahm, dass die von ihm wahrgenommenen, zuvor geschilderten Gefahrensituationen das für § 176 Abs 1 StGB konstitutive Deliktsmerkmal der konkreten Gemeingefahr verwirklicht hätten (US 19 bis 21, 43). Nach Ansicht des Schöffengerichts war dieser - als Rechtsirrtum beurteilte - Irrtum dem Angeklagten nicht vorzuwerfen (§ 9 Abs 2 StGB), weil zum einen der Umstand, dass eine Tatbildverwirklichung im Sinn des § 176 Abs 1 StGB durch die wahrgenommenen Gefahrensituationen - nach der Rechtsprechung - und daher die Rechtfertigungsvoraussetzungen des § 7 Z 3 WaffGG „gerade noch nicht" vorlagen, weder für jedermann, noch für einen im Bereich des Waffengebrauchsgesetzes und des Strafgesetzbuches gut ausgebildeten, besonnenen Polizisten in der gleichen Situation, in der sich der Angeklagte befunden hatte, erkennbar war; zum anderen, weil sich der Angeklagte - im Hinblick auf seinen ausbildungs- und schulungskongruenten Wissensstand (US 5 f, 46, 47 f) - mit den für ihn geltenden, im Rahmen seiner Tätigkeit als Polizist anzuwendenden Vorschriften in ausreichender Art und Weise bekannt gemacht hatte und ihn auch sein Beruf als Polizist nicht zu einer über seinen Kenntnisstand hinausgehenden Bekanntmachung mit den Bestimmungen des Strafgesetzbuches und des Waffengebrauchsgesetzes verpflichtet habe (US 21 f, 43 f, 46 bis 49).

Rechtliche Beurteilung

Diesen Freispruch bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer (nominell) auf § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO (inhaltlich Z 9 lit a; RIS-Justiz RS0118286, Ratz, WK-StPO § 281 Rz 634) gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der jedoch keine Berechtigung zukommt.

Gegenstand von Rechts- und Subsumtionsrüge ist der Vergleich des zur Anwendung gebrachten materiellen Rechts mit dem festgestellten Sachverhalt. Den tatsächlichen Bezugspunkt bildet dabei die Gesamtheit der in den Entscheidungsgründen getroffenen Feststellungen (einschließlich des zu deren Verdeutlichung heranziehbaren Erkenntnisses [§ 260 Abs 1 Z 1 StPO]). Von diesem Gesamtzusammenhang ausgehend ist zur Geltendmachung eines aus Z 9 oder Z 10 gerügten Fehlers klarzustellen, aus welchen ausdrücklich zu bezeichnenden Tatsachen (einschließlich der Nichtfeststellung von Tatsachen) welche rechtliche Konsequenz (§§ 259, 260 Abs 1 Z 2 StPO) hätte abgeleitet werden sollen. Die gesetzmäßige Ausführung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat solcherart das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099810; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581, 584).

Diesen Anforderungen wird die Nichtigkeitsbeschwerde nicht gerecht. Denn indem sie sich gegen die rechtliche Beurteilung einer fehlenden Vorwerfbarkeit des vom Schöffengericht angenommenen Rechtsirrtums mit dem Argument wendet, „einem durch den Einsatz der Schusswaffe Menschenleben gefährdenden Exekutivbeamten sei die Kenntnis sämtlicher einschlägiger Vorschriften, mithin auch des Strafgesetzbuches, zuzumuten", verfehlt sie jegliche Bezugnahme auf den konkreten Urteilssachverhalt. Solcherart vernachlässigt die Beschwerdeführerin gänzlich die (unter dem Gesichtspunkt des § 9 Abs 2 erster Fall StGB erfolgten) bereits wiedergegebenen Urteilsannahmen, wonach das (in Betreff der geforderten Gleichzeitigkeit der Gefährdung einer qualifizierten Anzahl von Personen durch die Rechtsprechung geprägte) Deliktsmerkmal einer konkreten Gemeingefahr nach § 176 Abs 1 StGB im Hinblick auf den engen zeitlichen Zusammenhang der jeweils verwirklichten Gefahrensituationen und damit die Rechtfertigungsvoraussetzungen des § 7 Z 3 WaffGG „gerade noch nicht" vorlagen und deshalb das Unrecht für den Angeklagten wie für jedermann nicht leicht erkennbar war.

Auch mit der (auf § 9 Abs 2 zweiter Fall StGB abzielenden) Beschwerdebehauptung, von einem Exekutivbeamten - wie dem im Straßenverkehr eingesetzten Angeklagten - könne „eine Kenntnis der Problematik des Deliktsumfangs des § 176 Abs 1 StGB aus Anlass der Judikatur zu sogenannten 'Geisterfahrerfällen' erwartet und vorausgesetzt werden", wird - solcherart unter Vernachlässigung der Urteilsfeststellungen zu einem tataktuell vorgelegenen ausbildungs- und schulungskongruenten Wissensstand des Angeklagten - weder auf den Urteilssachverhalt Bezug genommen noch eine - durch Verfahrensergebnisse in der Hauptverhandlung indizierte - Tatsachengrundlage (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 600) für die Annahme eines pflichtwidrig unterlassenen Erwerbs entsprechender Rechtskenntnisse vorgebracht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur - schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Anzumerken bleibt, dass der im Urteil festgestellte Irrtum des Angeklagten - entgegen der Rechtsansicht des Schöffengerichts und der Staatsanwaltschaft - nicht als Rechtsirrtum (§ 9 StGB), sondern als (sogenannter) Erlaubnistatbestandsirrtum (§ 8 StGB) zu beurteilen ist. Denn nach den (eingangs wiedergegebenen) Urteilsfeststellungen war der Irrtum in der rechtlichen Bewertung des wahrgenommenen Tatgeschehens als das (den Rechtfertigungsgrund des § 7 Z 3 WaffGG konstituierende) Deliktsmerkmal der konkreten Gemeingefahr (§ 176 Abs 1 StGB) verwirklichend gelegen, solcherart aber ein Irrtum über den sozialen Bedeutungsgehalt eines normativen Rechtfertigungsmerkmals, der - [wertungs-]entsprechend dem [unrechtsausschließenden] Irrtum über den sozialen Bedeutungsgehalt eines normativen Tatbestandsmerkmals - nach § 8 StGB zu beurteilen ist (Fuchs AT I7 20/5; Höpfel in WK² § 9 Rz 8 f unter Hinweis auf [zur deutschen Rechtslage] Schlüchter, Irrtum über normative Tatbestandsmerkmale im Strafrecht [1983] 173 ff; Burgstaller/Schütz in WK² § 90 Rz 206; Leukauf/Steininger Komm³ § 8 RN 7; Schütz, Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum im Nebenstrafrecht [2000], 27, 47; anderer Ansicht E. Steininger SbgK § 8 Rz 29 ff). Eine Vorsatzhaftung stand daher jedenfalls nicht in Rede (§ 8 erster Satz StGB).

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