OGH 9ObA28/09x

OGH9ObA28/09x15.12.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Robert Hauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat der ÖBB-Infrastruktur Betrieb AG, Netzbetrieb Region Mitte, Südtirolerplatz 1, 5020 Salzburg, vertreten durch Dr. Klaus Perner, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei ÖBB-Infrastruktur Betrieb AG, Elisabethstraße 9, 1010 Wien, vertreten durch Lansky, Ganzger & Partner Rechtsanwälte GmbH, Wien, wegen Feststellung nach § 54 Abs 1 ASGG, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. November 2008, GZ 12 Ra 79/08m-16, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. Mai 2008, GZ 19 Cga 251/07t-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.187,28 EUR (darin 197,88 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im verfahrensgegenständlichen Betrieb der Beklagten sind zumindest drei Personen beschäftigt, die keine Erklärungen iSd § 22 Abs 4 BBG 1992 bzw § 53 Abs 4 BBG abgegeben haben. Für diese Dienstnehmer sind daher die Bestimmungen des Urlaubsgesetzes über Erholungsurlaub (§ 1 Abs 2 Z 4 UrlG) bzw die Pflegefreistellung (§ 15 Abs 1 Z 4 UrlG) nicht anzuwenden. § 53 Abs 5 BBG (früher: § 22 Abs 5 BBG 1992) sieht vor, dass der Anwendungsbereich von arbeitsvertraglichen Rechtsvorschriften des Bundes, in ihrer jeweils geltenden Fassung, die auf dienst- und besoldungsrechtliche Regelungsinhalte des ÖBB-Dienstrechts und die diesen Regelungsinhalten bis zum 31. Dezember 2003 zu Grunde liegenden Rechtsverhältnisse abstellen, für Arbeitsverhältnisse zu den ÖBB, deren vertraglich vereinbarter Beginn vor dem 1. Jänner 2004 liegt und die auf einem privatrechtlichen Vertrag beruhen, unberührt bleiben, auch wenn sie infolge eines Betriebsübergangs nach dem 31. Dezember 2003 in ein anderes Unternehmen (Erwerber) übergehen. Nach der Rechtsprechung (9 ObA 181/07v, 8 ObA 20/08m) handelt es sich bei der verfahrensgegenständlichen „Urlaubsdienstanweisung" der Beklagten um eine zwingende Bestimmung iSd § 1 Abs 2 Z 4 UrlG (inhaltsgleich: § 15 Abs 2 Z 4 UrlG).

Punkt 13 der Urlaubsdienstanweisung („Erkrankung während des Erholungsurlaubs") trifft folgende Regelung:

„13.1: Erkrankt (verunglückt) ein ÖBB-Angestellter oder Lehrling während des Erholungsurlaubes, ohne dies vorsätzlich oder grob fahrlässig (§ 16 Abs 1 AVB) herbeigeführt zu haben, so sind bei ÖBB-Angestellten oder Lehrlingen so viele Stunden auf das Urlaubsausmaß nicht anzurechnen, als ihm im selben Zeitraum Arbeitszeit (Normalarbeitszeit und bezahlte Pausen) nach dem Entfallsprinzip angerechnet werden."

Punkt. 13.2 regelt Melde- und Bestätigungspflichten im Einzelnen.

Punkt 17 der Urlaubsdienstanweisung („Pflegefreistellung") lautet:

„17.1 Ein ÖBB-Angestellter oder Lehrling hat Anspruch auf Pflegefreistellung, wenn er aus einem der folgenden Gründe nachweislich an der Dienstleistung verhindert ist:

17.1.1 wegen der notwendigen Pflege eines im gemeinsamen Haushalt lebenden erkrankten oder verunglückten nahen Angehörigen oder

17.1.2 wegen der notwendigen Betreuung seines Kindes, Wahl- oder Pflegekindes, wenn die Person, die das Kind ständig betreut hat, aus den Gründen des § 15d Abs 1 Z 1 bis 4 MSchG für diese Betreuung ausfällt."

Punkt 17.2.1 definiert den Begriff des nahen Angehörigen,

Punkt 17.2.2 regelt die Pflicht zur Beibringung einer ärztlichen Bestätigung.

Nach Punkt 17.4.1 darf die Pflegefreistellung im Urlaubsjahr sechs Werktage nicht übersteigen.

Nach Punkt 17.4.2 besteht darüber hinaus Anspruch auf Pflegefreistellung bis zum Höchstausmaß von weiteren sechs Werktagen, wenn der ÖBB-Angestellte

17.4.2.1 den Anspruch auf Pflegefreistellung nach Punkt 17.1 verbraucht hat und

17.4.2.2 wegen der notwendigen Pflege seines im gemeinsamen Haushalt lebenden erkrankten oder verunglückten Kindes, Wahl- oder Pflegekindes, das das 12. Lebensjahr noch nicht überschritten hat, an der Dienstleistung neuerlich verhindert ist.

Nach Punkt 17.5 erfolgt die Anrechnung von Arbeitszeit nach dem Entfallsprinzip.

Ist nach Punkt 17.7 der Anspruch auf Pflegefreistellung erschöpft, besteht zu einem im Punkt 17.4.2 genannten Zweck ein Rechtsanspruch auf Ausnützung eines noch nicht verbrauchten Erholungsurlaubs.

Der klagende Betriebsrat begehrt mit seiner Klage nach § 54 Abs 1 ASGG die Feststellung, dass die Beklagte im Verhältnis zu ihren Mitarbeitern verpflichtet ist, Pflegeurlaub im Sinne des Gesetzes auch bei für denselben Zeitraum bereits angetretenem Erholungsurlaub mit der Konsequenz zu gewähren, dass durch die Inanspruchnahme des Pflegeurlaubs der Erholungsurlaub unterbrochen wird.

Im Revisionsverfahren sind die für eine Klageführung nach § 54 Abs 1 ASGG erforderlichen Formalvoraussetzungen nicht mehr strittig. Trotz des allgemein gehaltenen Begehrens ist im Revisionsverfahren weiters unstrittig, dass sich die Klage nur auf den eingangs erwähnten Personenkreis (§ 22 Abs 4 BBG 1992 bzw § 53 Abs 4 BBG) bezieht.

Der Kläger brachte vor, dass sich die Beklagte weigere, Unterbrechungen des Erholungsurlaubs eines Dienstnehmers anzuerkennen, wenn dieser nach Antritt des Erholungsurlaubs Pflegefreistellung in Anspruch nimmt.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und bestritt den vom Kläger geltend gemachten Anspruch.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es bejahte zwar grundsätzlich, dass eine nach Antritt eines Erholungsurlaubs in Anspruch genommene Pflegefreistellung zur Pflege eines erkrankten oder verunglückten nahen Angehörigen den Erholungsurlaub unterbreche, doch sei das Feststellungsbegehren zu weit gefasst und auch auf Fälle gerichtet, in denen eine Unterbrechung nicht stattfinden könne.

Das Berufungsgericht änderte unter teilweiser Stattgebung der Berufung des Klägers das angefochtene Urteil dahin ab, dass es zu lauten hat:

„Es wird festgestellt, dass bei jenen Mitarbeitern der Beklagten, die der Urlaubsdienstanweisung unterliegen und die während eines bereits angetretenen Erholungsurlaubs eine Pflegefreistellung zur notwendigen Pflege eines im gemeinsamen Haushalt lebenden erkrankten oder verunglückten nahen Angehörigen nach Punkt 17.1.1 (Punkt 17.4.2) Urlaubsdienstanweisung in Anspruch nehmen, bei Vorliegen aller sonstigen Voraussetzungen nach dieser Dienstanweisung so viele Stunden auf das Urlaubsausmaß nicht anzurechnen sind, als ihnen im selben Zeitraum Arbeitszeit (Normalarbeitszeit und bezahlte Pausen) nach dem Entfallsprinzip angerechnet wird. Das Mehrbegehren auf Feststellung, dass auch eine Pflegefreistellung nach Punkt 17.1.2 Urlaubsdienstanweisung nicht auf das Urlaubsmaß anzurechnen sei, wird abgewiesen."

Das Berufungsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung 9 ObA 90/02d für den Geltungsbereich des Urlaubsgesetzes ausgesprochen habe, dass dessen § 5 Abs 1 analog auch auf den Fall anzuwenden sei, wenn ein Dienstnehmer seinen Erholungsurlaub bereits angetreten habe, in der Folge aber Pflegefreistellung zur Pflege eines im gemeinsamen Haushalt lebenden erkrankten nahen Angehörigen (§ 16 Abs 1 Z 1 UrlG) in Anspruch nehme. Insoweit könne daher auch dem vorliegenden Feststellungsbegehren teilweise stattgegeben werden. Hingegen sei eine solche Analogie dann nicht zulässig, wenn der Fall der notwendigen Betreuung eines Kindes infolge Ausfalls einer Person eintrete, die das Kind ständig betreut habe, aus den Gründen des § 15d Abs 2 Z 1 bis 4 des MSchG (Punkt 17.1.2 der Urlaubsdienstanweisung). Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung dazu fehle, ob auch Betreuungsfreistellungen in Analogie zur Eigenerkrankung des Arbeitnehmers eine Unterbrechung des bereits angetretenen Erholungsurlaubs bewirkten.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Dem Berufungsgericht ist dahin beizupflichten, dass für die Beurteilung der vorzitierten Regelungen der Urlaubsdienstanweisung wegen deren Ähnlichkeit mit den Bestimmungen des Urlaubsgesetzes auf die Erwägungen in 9 ObA 90/02d zurückgegriffen werden kann. In dieser grundlegenden Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof unter Auseinandersetzung mit der Lehre ausgesprochen, dass eine Unterbrechung des Urlaubs analog der Bestimmung des § 5 Abs 1 UrlG dann angezeigt ist, wenn ein bereits im Erholungsurlaub befindlicher Dienstnehmer die Freistellung zur Pflege eines erkrankten nahen Angehörigen in Anspruch nimmt, weil in diesem Fall eine ähnliche, vom Gesetzgeber jedoch nicht berücksichtigte Beeinträchtigung vorliegt wie bei eigener Erkrankung (INFAS 2003 A 30 = DRdA 2003/36 [Kallab] ua). Die daran geäußerte Kritik (Aubauer in ZAS 2004, 34 ff), die keine wesentlichen, gegenüber den Entscheidungserwägungen neuen Aspekte aufzeigt, ist nicht geeignet, den erkennenden Senat zur Abkehr von seiner Vorentscheidung zu veranlassen.

Die grundlegende Aussage dieser Entscheidung ist, dass nicht jede Beeinträchtigung des Erholungszwecks zu einer Unterbrechung des angetretenen Erholungsurlaubs führen kann, sondern nur eine solche, die - wie die Pflege eines erkrankten Angehörigen - den Erholungszweck gleich einer eigenen Erkrankung einschränkt. Überträgt man diese Erwägungen auf die Regelung der vorliegenden Urlaubsdienstanweisung (Punkt 13.1 bzw Punkt 17.1 ff), ist dem Berufungsgericht zunächst dahin beizupflichten, dass im Hinblick auf den erheblich beeinträchtigten Erholungswert auch die Dienstverhinderung wegen der notwendigen Pflege eines im gemeinsamen Haushalt lebenden erkrankten oder verunglückten nahen Angehörigen zur Unterbrechung des Erholungsurlaubs führt. Entgegen der Auffassung des Klägers ist aber die Pflegefreistellung wegen der notwendigen Betreuung eines Kindes, Wahl- oder Pflegekindes wegen der Verhinderung der Person, die das Kind ständig betreut hat, aus den Gründen des § 15d Abs 2 Z 1 bis 4 MSchG, nicht gleich zu gewichten. Abgesehen davon, dass bei der Analogie zu Ausnahmetatbeständen grundsätzlich vorsichtig vorzugehen ist (vgl RIS-Justiz RS0086687), ist den Gegenargumenten der Beklagten dahin beizupflichten, dass die Betreuung eines gesunden Kindes - sei es auch in einem höheren Ausmaß als sonst üblich, weil die vorwiegend betreuende Person ausgefallen ist - der Pflege einer kranken Person nicht gleichgehalten werden kann. Wollte man nämlich die vom Kläger begehrte idente Wertung treffen, würde dies bedeuten, dass ein Urlaub mit Kindern, insbesondere Kleinkindern, wobei insbesondere an alleinerziehende Personen zu denken ist, nie den mit dem Erholungsurlaub beabsichtigten Zweck erfüllen könnte. Da somit auch ein „normaler" Erholungsurlaub mit Kindern regelmäßig bestimmte Rücksichtnahmen mit sich bringt, ist nicht einzusehen, warum die notwendige Betreuung eines gesunden Kindes während des Erholungsurlaubs das gleiche Gewicht haben sollte wie die Pflege eines erkrankten Angehörigen. Die ganz allgemein vorhandenen Einschränkungen durch Betreuung eines Kindes sind daher einer Beeinträchtigung wie bei eigener Krankheit keinesfalls gleichzuhalten. Diese Wertung ergibt sich im Übrigen auch aus der Bestimmung des Punktes 17.4.2.2 der Urlaubsdienstanweisung, wonach bei Ausschöpfung des Höchstmaßes für Pflegefreistellung ein weiterer Pflegeurlaub ausschließlich für die notwendige Pflege eines im gemeinsamen Haushalt lebenden erkrankten oder verunglückten Kindes, Wahl- oder Pflegekindes, das das 12. Lebensjahr noch nicht überschritten hat, in Anspruch genommen werden kann.

Es war daher der Revision des Klägers keine Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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