OGH 2Ob165/09t

OGH2Ob165/09t26.11.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Alfred A*, vertreten durch Dr. Thomas Stoiberer, Rechtsanwalt in Hallein, gegen die beklagten Parteien 1. Gerald H*, 2. P* GmbH, *, und 3. G* Versicherungs AG, *, alle vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 14.148,05 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 2. Juni 2009, GZ 2 R 212/08x‑19, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 11. August 2008, GZ 10 Cg 44/07i‑15, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2009:E93050

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung zu lauten hat:

1. Die Klagsforderung besteht mit 14.113,05 EUR zu Recht.

2. Die Gegenforderung besteht nicht zu Recht.

3. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen den Betrag von 14.113,05 EUR samt 8 % Zinsen aus 10.991,05 EUR seit 15. 12. 2006 und 4 % Zinsen aus 3.122 EUR seit 15. 12. 2006 zu bezahlen.

4. Das Mehrbegehren, die beklagten Parteien seien weiters zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei 35 EUR samt 8 % Zinsen seit 5. 12. 2006 sowie weitere 4 % Zinsen aus 3.122 EUR seit 15. 12. 2006 zu bezahlen, wird abgewiesen.

5. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 8.418,45 EUR (darin enthalten 824,55 EUR USt und 3.469,40 EUR Barauslagen) bestimmten Prozesskosten aller drei Instanzen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

 

Am 11. 10. 2006 gegen 7:15 Uhr ereignete sich im Ortsgebiet von Bad Vigaun ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker seines Autobusses und der Erstbeklagte als Lenker eines von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten PKW beteiligt waren. Der Kläger hielt seinen als Schülerbus gekennzeichneten Autobus vor einem Schutzweg auf dem rechten Fahrstreifen mit einem Seitenabstand von etwa 95 cm zur Markierung des rechts gelegenen Parkstreifens an und öffnete die gehsteigseitig gelegene rechte Fahrzeugtüre, um Schulkindern das Aussteigen zu ermöglichen. Durch das Öffnen dieser Türe wurden am Bus die Alarmblinkanlage und die gelb‑roten Warnleuchten automatisch aktiviert; dies ist sowohl akustisch wie auch optisch an den Anzeigenelementen im Bus ersichtlich.

Im Bereich der Unfallstelle ist die Fahrbahn 6,4 m breit. Etwa 3,5 m vom rechten Rand entfernt verläuft eine Leitlinie.

Der Erstbeklagte fuhr links am stehenden Autobus vorbei und stieß dabei gegen die Fahrertür des Busses. Nicht festgestellt werden konnte, ob der Kläger die Tür unmittelbar vor dem Anstoß des Fahrzeugs des Erstbeklagten öffnete oder ob sie bereits mehrere Sekunden vor der Kollision offen stand.

Der Kläger begehrt 14.148,05 EUR (Reparaturkosten, Verdienstentgang während der Reparatur, Spesen) mit der Behauptung der Erstbeklagte habe gegen das Vorbeifahrverbot des § 17 Abs 2a StVO verstoßen.

Die Beklagten wandten das Alleinverschulden des Klägers ein. Dieser habe unvermittelt und ohne auf den Verkehr zu achten die Fahrertür geöffnet, sodass diese gegen den rechten Kotflügel des vorbeifahrenden beklagten Fahrzeugs gestoßen sei. Der Erstbeklagte habe den Unfall nicht verhindern können. Die gelb‑rote Warnleuchte sei nicht eingeschalten und das Vorbeifahren zulässig gewesen.

Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung im Hinblick auf § 11 EKHG gegenüber der Zweit- und Drittbeklagten als mit 7.056,53 EUR zu Recht bestehend, die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend und gab der Klage daher gegenüber der Zweit- und Drittbeklagten - bereinigt um einen Rechenfehler - zur Hälfte statt. Das Mehrbegehren wies es ab. Das Vorbeifahrverbot des § 17 Abs 2a StVO an besonders gekennzeichneten Schulbussen diene dem Schutze jener Kinder, die aus haltenden Schulbussen aussteigen oder in diese einsteigen oder vor dem Schulbus unvermittelt und für den Fahrzeuglenker nicht sichtbar die Fahrbahn überqueren wollten. Der Erstbeklagte sei dagegen nicht vom Schutzzweck dieser Norm erfasst, ihre Übertretung begründe daher keinerlei Haftung, weil sie die im konkreten Fall aufgetretenen Schäden nicht zu verhindern suche.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Rechtsansicht des Erstgerichts sei zutreffend. Übertrete jemand ein Schutzgesetz nach § 1311 ABGB und verursache dadurch einen Schaden, werde er ersatzpflichtig, wenn sich die dem Verbot zugrunde liegende Gefahr realisiere, nicht aber, wenn ein anderer Schaden eintrete. Aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens sei daher nur für jene Schäden zu haften, die die übertretene Verhaltensnorm nach ihrem Schutzzweck verhindern wolle. Für eine Haftung sei der personale, sachliche und modale Schutzbereich maßgeblich. Es sei stets zu prüfen, welchen Personenkreis das Schutzgesetz vor welchen Schäden und Tatbegehungsformen bewahren solle und ob der Einzelne oder die Allgemeinheit geschützt seien. § 17 Abs 2a StVO verbiete das Vorbeifahren an einem Fahrzeug, an dem eine gelb‑rote Tafel mit der bildlichen Darstellung von Kindern angebracht sei und bei dem die Alarmblinkanlage oder gelb‑rote Warnleuchten eingeschalten seien. In der Regierungsvorlage zu dieser Bestimmung sei festgehalten, dass während des Haltens von Schulbussen zum Zweck der Aufnahme oder dem Absetzen von Schulkindern infolge des oft unvorhersehbaren Verhaltens der Kinder häufig gefährliche Situationen auftreten. Dabei gehe es nicht nur um aus- oder einsteigende Schulkinder, sondern auch um solche, die vor dem Schulbus unvermittelt und für den Fahrzeuglenker nicht sichtbar die Fahrbahn überqueren wollten. Zur Eindämmung dieser Gefahren werde das Vorbeifahren an Schulbussen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen verboten. Unter Zugrundelegung der Grundsätze der Lehre vom Rechtswidrigkeitszusammenhang ergebe sich daher, dass vom persönlichen Schutzbereich dieser Bestimmung Schulkinder umfasst seien, nicht dagegen der Lenker eines Schulbusses oder der Schulbus selbst. Dass der Lenker eines Autobusses aus diesem aussteige und zu diesem Zweck die Fahrertür öffne, verwirkliche keine der Gefahren, die durch § 17 Abs 2a StVO vermieden werden solle. Deshalb komme es auch nicht auf den Zweck seines Aussteigens aus dem Schulbus an.

Die ordentliche Revision wurde zugelassen, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Schutzzweck des § 17 Abs 2a StVO nicht vorhanden sei.

Dagegen richtet sich die ordentliche Revision der klagenden Partei.

Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig; sie ist auch berechtigt.

Das Wesen des Rechtswidrigkeitszusammenhangs liegt darin, dass aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens nur für jene verursachten Schäden zu haften ist, die die übertretene Verhaltensnorm nach ihrem Schutzzweck gerade verhindern wollte (RIS‑Justiz RS0022933; RS0027553; RS0031143).

Nach § 17 Abs 2a StVO ist das Vorbeifahren an einem Fahrzeug, an dem hinten eine gelb‑rote Tafel mit der bildlichen Darstellung von Kindern angebracht ist, und bei dem die Alarmblinkanlage und gelb‑rote Warnleuchten eingeschalten sind, verboten.

Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 1580 BlgNR 18. GP , kommt es - wie bereits die Vorinstanzen dargelegt haben - während des Haltens von Schulbussen zum Zweck der Aufnahme oder des Absetzens von Schulkindern infolge des oft unvorhersehbaren Verhaltens der Kinder häufig zu gefährlichen Situationen. Dabei geht es nicht nur um aus- oder einsteigende Schulkinder, sondern auch um solche, die vor dem Schulbus unvermittelt und für den Fahrzeuglenker nicht sichtbar die Fahrbahn überqueren wollen. Zur Eindämmung dieser Gefahren wird das Vorbeifahren an Schulbussen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen verboten. Diese Voraussetzungen sind die Kennzeichnung von Schülertransporten mittels der gelb‑roten quadratischen Tafel (mit der bildlichen Darstellung von Kindern) hinten am Fahrzeug und das Einschalten der Alarmblinkanlage und der gelb‑roten Warnleuchten, wenn das Fahrzeug stillsteht und Schüler ein- oder aussteigen.

Wenn auch die Erläuterungen ausdrücklich nur auf den Schutz der Kinder eingehen, kann nach Ansicht des erkennenden Senats nicht gesagt werden, dass damit alle anderen Gefahren im Zusammenhang mit dem Halten von Schulbussen ausgenommen werden sollten. Die Norm zielt zwar in erster Linie auf die Verhinderung von Personenschäden von Schulkindern, soll aber allen Gefahren begegnen, die mit dem Halten von Schülertransporten (vgl § 106 Abs 10 KFG) im Zusammenhang stehen. Solche Gefahren können auch den Buslenker oder den Schulbus betreffen.

Nach den vorinstanzlichen Feststellungen hat der Kläger nach dem Anhalten die rechte Fahrzeugtüre geöffnet, wodurch die Alarmblinkanlage und die gelb‑roten Warnleuchten automatisch aktiviert wurden. Ab diesem Moment durfte daher der Erstbeklagte nicht mehr am Bus vorbeifahren. Dass er zu diesem Zeitpunkt die Warneinrichtungen nicht (mehr) wahrnehmen konnte, haben nicht einmal die Beklagten behauptet. Es spricht auch nichts dagegen, dass das beabsichtigte Aussteigen des Klägers Zwecken des Schülertransports dienen sollte (vgl AS 44).

Es ist daher von einem im Rechtswidrigkeitszusammenhang stehenden Verstoß des Erstbeklagten gegen § 17 Abs 2a StVO auszugehen. Demgegenüber war wegen der Negativfeststellung zum Zeitpunkt des Öffnens der Fahrertüre des Busses durch den Kläger im Verhältnis zum Vorbeifahren des Erstbeklagten ein Mitverschulden des Klägers nicht erweislich, weshalb dem Kläger der Ersatz sämtlicher festgestellter Schäden zuzusprechen und lediglich die geringfügige rechnerische Differenz zum Klagebegehren abzuweisen war.

Da nach den Feststellungen nur im Zusammenhang mit der Finanzierung der Reparaturkosten 8 % Zinsen anfielen, war ansonsten der gesetzliche Zinssatz zuzusprechen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 43 Abs 2 erster Fall ZPO, im Rechtsmittelverfahren iVm § 50 Abs 1 ZPO, wobei das erstinstanzliche Kostenverzeichnis des Klägers um den nicht verbrauchten Kostenvorschuss und die Schriftsätze vom 15. 5. 2007 (nicht vorhanden) bzw 19. 9. 2007 (nicht zweckentsprechend - Antrag bereits in der Klage möglich) und jenes der Berufung beim Einheitssatz zu korrigieren waren.

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