OGH 7Ob220/09t

OGH7Ob220/09t18.11.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Höllwerth als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*****Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Hans Herwig Toriser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei W***** V*****, vertreten durch Dr. Michael Schwingl, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 5.069,53 EUR (sA), über die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 31. Juli 2009, GZ 1 R 198/09a-25, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 6. Mai 2009, GZ 20 C 2159/08f-21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 650,16 EUR (darin enthalten 108,36 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 445,82 EUR (darin enthalten 74,30 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte hatte bei der Klägerin für seinen als Taxi verwendeten PKW eine KFZ-Haftpflichtversicherung abgeschlossen, deren Prämie ihm vierteljährlich vorgeschrieben wurde. Die Teilprämie für das Quartal vom 1. 9. 2005 bis 1. 12. 2005 in Höhe von 444,46 EUR bezahlte der Beklagte nicht. Darauf mahnte die Klägerin den Rückstand mit Schreiben vom 26. 9. 2005 - vergeblich - ein. Auch einer mit Schreiben vom 17. 10. 2005 erfolgten qualifizierten Mahnung (unter Setzung einer 14-tägigen Zahlungsfrist und Angabe der Rechtsfolgen des Verzugs nach § 39 Abs 2 und 3 VersVG) leistete der Beklagte (zunächst) keine Folge. Ungeachtet des Umstands, dass er sich daher gegenüber der Klägerin im Zahlungsverzug befand, überwies der Beklagte allerdings am 12. 12. 2005 die ihm für das nächste Quartal vom 1. 12. 2005 bis 1. 3. 2006 vorgeschriebene Prämie; er verwendete dazu den ihm von der Klägerin übermittelten Originalzahlschein, auf dem der Zeitraum vom 1. 12. 2005 bis 1. 3. 2006 angeführt war. Die Überweisung langte am 13. 12. 2005 bei der Klägerin ein. Am 17. 12. 2005 wurde vom Beklagten als Lenker des versicherten Fahrzeugs ein Verkehrsunfall (mit-)verschuldet. Die Klägerin leistete dem Unfallsgegner aus der Haftpflichtversicherung Zahlungen von insgesamt 5.069,53 EUR. Erst nach Mitteilung der Kfz-Behörde, dass er unverzüglich eine neue Versicherungsbestätigung vorzulegen oder den Zulassungsschein und die Kennzeichentafeln abzuliefern habe, überwies der Beklagte am 26. 1. 2006 mit dem ihm mit dem Mahnschreiben vom 17. 10. 2005 übermittelten Originalzahlschein die offene Prämienzahlung samt der ihm vorgeschriebenen Mahngebühr von 11 EUR an die Klägerin.

Diese macht geltend, zufolge Nichtzahlung einer Folgeprämie zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls gegenüber dem Beklagten leistungsfrei geworden zu sein. Sie begehrt von diesem daher im Regressweg den Klagsbetrag ersetzt.

Der Beklagte beantragte Klagsabweisung. Die Klägerin sei nicht leistungsfrei, weil die Prämie für den fraglichen Zeitraum 1. 12. 2005 bis 1. 3. 2006 zum Unfallszeitpunkt bezahlt gewesen sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Beklagte habe die Vorschreibung der später fällig werdenden Teilprämie dahin verstehen dürfen, dass für ihn bei Zahlung (wieder) Leistungspflicht der Klägerin eintrete. Da er die später fällig gewordene Teilprämie bezahlt habe, bestehe für den Zeitraum 1. 12. 2005 bis 1. 3. 2006 Versicherungsschutz. Der gegenteiligen Rechtsansicht der Klägerin könne nicht gefolgt werden, weil dies zur Folge hätte, dass die Leistungsfreiheit der Klägerin „ad infinitum" bestehen bliebe, und zwar auch dann, wenn alle später fällig werdenden Teilprämien bezahlt worden sein sollten.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung des Erstgerichts in klagsstattgebendem Sinn ab. Entscheidend sei, ob die vom Beklagten am 12. 12. 2005 bezahlte Teilprämie nach der gesetzlichen Tilgungsfolge auf die ältere und beschwerlichere Schuld des Beklagten anzurechnen sei (demnach auf die qualifiziert eingemahnte Schuld) oder ob über die Anrechnung der Zahlung eine Vereinbarung oder eine Widmung des Schuldners vorliege, der die Klägerin nicht widersprochen habe. Der Beklagte habe die Zahlung vom 12. 12. 2005 ausdrücklich dem Zeitraum 1. 12. 2005 bis 1. 3. 2006 gewidmet. Damit habe er sich zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls im qualifizierten Verzug befunden, was zur Leistungsfreiheit der Klägerin führe. Diese Leistungsfreiheit sei durch die Zahlung vom 26. 1. 2006 nicht beendet worden. Dass die Klägerin im Zusammenhang mit der Vorschreibung der Teilprämie für den Zeitraum 1. 12. 2005 bis 1. 3. 2006 deshalb gegen Treu und Glauben verstoßen hätte, weil sie im Zuge der (späteren) Prämienvorschreibung nicht (nochmals) auf die eingetretene und fortbestehende Leistungsfreiheit hingewiesen habe, könne bei einem Prämienrückstand von 25 % der Jahresprämie und bei dem nach der Aktenlage unbestrittenen mehrfachen Verzug des Beklagten mit der Prämienzahlung nicht gesagt werden. Der Beklagte hätte durch einfache Streichung der Nummer der Prämienvorschreibung unschwer zum Ausdruck bringen können, dass sich die Zahlung nicht auf den in der Prämienvorschreibung genannten Zeitraum beziehen solle.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei, weil zur Frage des Verstoßes des Versicherers gegen Treu und Glauben bei der Vorschreibung einer späteren Teilprämie nach eingetretener Leistungsfreiheit nur ältere Judikatur des Obersten Gerichtshofs vorliege. Dazu, ob der Versicherer bei Vorschreibung der später fällig werdenden Teilprämie auf das Weiterbestehen der Leistungsfreiheit ausdrücklich hinzuweisen (den Prämienschuldner also zu warnen) habe, habe der Oberste Gerichtshof bislang noch nicht ausdrücklich Stellung genommen.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Beklagten, der unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen (und demnach das erstinstanzliche Urteil wiederhergestellt) werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel ihres Prozessgegners als unzulässig zurückzuweisen oder ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt, weil das Berufungsgericht die Rechtslage verkannt hat.

Oberstgerichtlicher Judikatur folgend ist das Berufungsgericht zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Leistungsfreiheit des Versicherers bei nicht rechtzeitiger Zahlung einer Folgeprämie nach § 39 VersVG an drei Voraussetzungen geknüpft ist: Erstens muss dem Versicherungsnehmer eine der Bestimmung des § 39 Abs 1 VersVG entsprechende Mahnung zugegangen sein, zweitens muss bei Eintritt des Versicherungsfalls die ihm vom Versicherer bestimmte Zahlungsfrist bereits abgelaufen sein und drittens muss der Versicherungsnehmer bei Eintritt des Versicherungsfalls mit der Zahlung im Verzug sein (RIS-Justiz RS0080654). Während die beiden ersteren Voraussetzungen im vorliegenden Fall unstrittig vorliegen, hängt die Erfüllung der dritten Voraussetzung davon ab, ob die am 12. 12. 2005 (also vor dem Versicherungsfall am 17. 12. 2005) erfolgte Prämienzahlung das letzte Quartal 2005 (bis 1. 12. 2005) oder aber das folgende Quartal (bis 1. 3. 2006) betroffen hat, hinsichtlich dessen sich der Beklagte zu keiner Zeit in qualifiziertem Verzug befand. Noch im Berufungsverfahren haben beide Streitteile diesbezüglich - offenbar die Rechtslage verkennend - ihren jeweiligen Prozessstandpunkten abträgliche Meinungen vertreten: Die Klägerin hat ausgeführt, dass die Zahlung vom 12. 12. 2005 auf den ältesten Rückstand, demnach auf den Zeitraum 1. 9. 2005 bis 1. 12. 2005 anzurechnen gewesen sei. In diesem Fall wäre der Beklagte im Zeitpunkt des Versicherungsfalls nicht mehr im Zahlungsverzug und die Beklagte (auch ihm gegenüber) daher nicht leistungsfrei gewesen. Der Beklagte hingegen pochte in der Berufungsbeantwortung darauf, dass er die betreffende Überweisung mit dem Originalzahlschein, der eindeutig ausschließlich dem Zeitraum 1. 12. 2005 bis 1. 3. 2006 zuzuordnen sei, vorgenommen habe und daher eine diesem Zeitraum gewidmete Zahlung vorliege. Dies würde aber, wie vom Berufungsgericht erkannt wurde, bedeuten, dass sich der Beklagte im Verzug befunden hätte: Kann doch die Zahlung einer später fällig werdenden Folgeprämie am Verzug, der durch die Nichtzahlung einer qualifiziert eingemahnten, früher fälligen Prämie eintrat, und an dessen Folgen nichts ändern; nach herrschender Ansicht wirken die Rechtsfolgen wegen Nichtzahlung der noch ausständigen Folgeprämie fort (Riedler, Mahnpflichten des Versicherers bei Zahlungsverzug des Versicherungsnehmers, wbl 1990, 130 [134]; ders in BK § 39 Rn 43 mwN; Michaelis in Schwintowski/Brömmelmeyer PK-VersR § 38 VVG (neu) Rn 14; BGH VersR 1963, 376 ua). Der Versicherer haftet erst und nur dann (wieder), wenn der Versicherungsnehmer auch die zuerst fällige, qualifiziert eingemahnte Prämie vor Eintritt des Versicherungsfalls bezahlt hat (BGH VersR 1963, 376 = NJW 1963, 1054; vgl auch BGH VersR 1974, 121). Glaubt der Versicherungsnehmer - wie offenbar hier der Beklagte - irrtümlicherweise, durch die Zahlung der späteren, aktuellen Folgeprämie den vollen Versicherungsschutz wiederherzustellen, muss der Versicherer den Versicherungsnehmer aber über die wahre Rechtslage aufklären. Ein Versicherer, der eine solche irrige Vorstellung des Versicherungsnehmers erkennt (oder erkennen müsste), ist nämlich nach Treu und Glauben zur „Aufklärung" verpflichtet. Er muss den Versicherungsnehmer in einer solchen Situation darauf hinweisen, dass die Leistungsfreiheit erst dann beendet wird und wieder Versicherungsschutz besteht, wenn er die rückständige frühere Prämie entrichtet hat (RIS-Justiz RS0103624; Kalischko, Problemfälle im Zusammenhang mit rückständigen Prämien und der Mahnung nach § 39 VVG, VersR 1988, 1002 [1003]; vgl zur betreffenden „übergesetzlichen" Hinweispflicht des Versicherers BGH VersR 1963, 376 und VersR 1974, 121; Fenyves, „Übergesetzliche" Hinweispflichten des Versicherers bei Verzug des Versicherungsnehmers mit der Prämienzahlung, VersR 1985, 797 [804]; Riedler wbl 1990, 135; ders, Der Prämienzahlungsverzug bei Erst- und Folgeprämie 142; ders in BK § 39 Rn 43). Unterlässt der Versicherer eine solche Aufklärung, kann er sich nicht länger auf Leistungsfreiheit berufen (BGH VersR 1963, 376 und VersR 1974, 121; Kalischko aaO 1003 ua).

Der Beklagte weist auch in der Revision zunächst nochmals darauf hin, dass seine Zahlung vom 12. 12. 2005 mit Originalzahlschein - entsprechend dem Vordruck der Klägerin - zweifelsfrei dem Zeitraum 1. 12. 2005 bis 1. 3. 2006 gewidmet gewesen sei. Seine Revisionsausführungen laufen schließlich darauf hinaus, dass ihn die Klägerin als Versicherer aber aufmerksam zu machen gehabt hätte, dass trotz Bezahlung dieser (nicht eingemahnten) Folgeprämie Versicherungsschutz (auch für die Periode bis 1. 3. 2006) nicht eintrete. Ein diesbezüglicher Hinweis hätte sich schon auf der Folgevorschreibung betreffend den Zeitraum 1. 12. 2005 bis 1. 3. 2006 befinden müssen.

Dem ist insofern beizupflichten, als der Klägerin klar sein musste, dass die Zahlung der nicht eingemahnten Folgeprämie für den Zeitraum 1. 12. 2005 bis 1. 3. 2006 vor Tilgung der qualifiziert eingemahnten Prämienschuld den vom Beklagten damit ganz offenbar bezweckten Wiedereintritt des Versicherungsschutzes nicht herbeiführen konnte. Nach dem das Versicherungsverhältnis im besonderen Maß beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben (RIS-Justiz RS0018055) hätte die Klägerin den Beklagten daher ungesäumt darüber aufzuklären gehabt, dass eine nicht dem Zeitraum 1. 9. 2005 bis 1. 12. 2005 gewidmete Zahlung die durch das Verstreichen der Nachfrist eingetretene Verzugsfolge ihrer Leistungsfreiheit gegenüber dem Beklagten nicht beseitigt. Auch wenn man nicht annimmt, dass die Klägerin bereits durch einen entsprechenden Zusatz bei der Prämienvorschreibung für das erste Quartal 2006 einen diesbezüglichen Rechtsirrtum des beklagten Versicherungsnehmers von vornherein ausschalten hätte müssen, ist ihre Leistungspflicht daher zu bejahen, weil sie einen solchen, ihr obliegenden, den Irrtum des Beklagten aufklärenden Hinweis unterlassen hat. Dass sich die Verantwortlichen der Klägerin allenfalls selbst damals über die Rechtslage nicht im Klaren waren, kann das Versäumnis der Klägerin nicht entschuldigen. Muss doch vom Versicherer eine entsprechende Kenntnis der Rechtslage verlangt werden und ist der Klägerin das Aufklärungsversäumnis auch dann vorzuwerfen, wenn sie den Irrtum des Beklagten zwar tatsächlich zunächst selbst nicht erkannt hat, aber erkennen hätte müssen (vgl Riedler, wbl 1990, 134 und 135; vgl auch BGH VersR 1963, 376 und VersR 1974/121). Wäre der Beklagte in diesem Sinn von der Klägerin über die Rechtslage hinreichend aufgeklärt worden, hätte er wohl die vor dem Versicherungsfall geleistete Zahlung der bereits qualifiziert eingemahnten Prämienschuld gewidmet und sich der von der Klägerin früher ohnehin selbst vertretenen Ansicht, die Zahlung vom 12. 12. 2005 sei auf diese Prämienschuld anzurechnen, nicht mehr widersetzt. Jedenfalls erscheint die Klägerin, deren Prämieninteresse unter den gegebenen Umständen hinreichend gesichert ist, nicht schutzwürdig, weshalb ihr in einem Fall wie dem vorliegenden keine auf § 39 VersVG gestützten (Regress-)ansprüche zuzubilligen sind (vgl Knappmann in Prölss/Martin VVG27 § 39 Rn 36).

Im Ergebnis ist die die Leistungspflicht der Klägerin (auch) gegenüber dem Beklagten bejahende Rechtsansicht des Erstgerichts demnach zutreffend. Der Revision ist daher Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Der Beklagte hat für das Revisionsverfahren keine Pauschalgebühren verzeichnet.

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