OGH 1Ob203/09y

OGH1Ob203/09y17.11.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ernestine D*****, vertreten durch Dr. Gerhard Rößler Rechtsanwalt KG in Zwettl, gegen die beklagte Partei Gemeinde A*****, vertreten durch Dr. Michael Koth, Rechtsanwalt in Gänserndorf, wegen 25.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 1.000 EUR), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Juni 2009, GZ 15 R 8/09w-36, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 21. Oktober 2008, GZ 1 Cg 13/06i-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Urteilsfällung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Klägerin nahm am 17. 9. 2005 an der Radtour einer größeren Gruppe teil. Es herrschte Tageslicht, die (Asphalt-)Fahrbahn des einen Teil einer Radroute bildenden Güterwegs der Beklagten war nass. Dieser Güterweg wird von einem Schienenstrang, der schräg über die Fahrbahn verläuft, in einem leichten Linksbogen gequert, wobei das erste Gleis diesen Güterweg am linken Fahrbahnrand in einem Winkel von 15 Grad schneidet. Neben dem Güterweg waren in beiden Richtungen „Andreaskreuze" angebracht; das in Fahrtrichtung der Klägerin befindliche „Andreaskreuz" rechts neben dem Güterweg war durch Gestrüpp verdeckt und für den Weg benützende Radfahrer nicht erkennbar. Dem Bürgermeister der Beklagten war bekannt, dass der Eigentümer des benachbarten Grundstücks die über die Grundgrenze herauswachsenden Büsche nicht selbst schneidet, weshalb die Gemeinde die Büsche einmal im Jahr - im Zeitraum Ende September und Oktober - schneiden lässt, was in diesem Jahr noch nicht geschehen war. Dem Bürgermeister war auch bekannt, dass es an der Stelle der Querung der Gleise zu Unfällen von Radfahrern kommt. Er versuchte etwa dadurch Abhilfe zu schaffen, dass er die ÖBB ersuchte, die Gleise mit Gummimatten abzudecken, was jedoch abgelehnt wurde. Angesichts der schlechten Wetterverhältnisse waren die den Güterweg querenden Schienen für einen Radfahrer erst in einer Entfernung von 18,5 m vor der ersten Schiene erkennbar. Die Klägerin erkannte die Gleise, als sich das Vorderrad ihres Fahrrads 9 m vor der ersten Schiene befand. Angesichts der von ihr eingehaltenen Geschwindigkeit von 10 bis 12 km/h hätte sie - bei unverzüglichem Bremsentschluss - innerhalb von 7,3 m zum Stillstand kommen können. Die Klägerin hatte wahrgenommen, dass kurz vor ihr eine andere Teilnehmerin der Gruppe beim Versuch, die Schienen zu überqueren, gestürzt war. Sie war zu diesem Zeitpunkt 8,1 m von der Sturzstelle entfernt. Der Klägerin war bewusst, dass Schienen „aus technischer Sicht" im rechten Winkel überquert werden sollten und man absteigen sollte, wenn die Schienen nass sind. Sie entschloss sich jedoch, den wahrgenommenen Schienenstrang ohne Änderung der Geschwindigkeit und der Fahrtrichtung zu überfahren, kam dabei zu Sturz und verletzte sich erheblich. Grundsätzlich wäre es möglich, bei der von ihr eingehaltenen Geschwindigkeit die Schienen in einem Linksbogen und somit in einem rechten Winkel zu überqueren.

Die Klägerin begehrte die Zahlung von 25.000 EUR samt Zinsen sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für zukünftige Folgen des Unfalls. Der Beklagten sei die besondere Gefährdungssituation der Unfallstelle aufgrund vorangegangener Vorfälle bekannt gewesen, wogegen die Klägerin mit einer besonderen Gefahr nicht habe rechnen müssen. Die Beklagte wäre als Wegehalterin verpflichtet gewesen, in ausreichender Weise vor der Gefahrenstelle zu warnen bzw den Spalt zwischen den Schienen und dem Asphalt zu beseitigen.

Die Beklagte wandte - soweit dies im Revisionsverfahren noch von Interesse ist - im Wesentlichen ein, der Unfall sei auf das Eigenverschulden der Klägerin zurückzuführen und wäre bei ausreichender Sorgfalt und Aufmerksamkeit zu verhindern gewesen. Eine grobe Fahrlässigkeit als Voraussetzung für die Wegehalterhaftung nach § 1319a ABGB sei der Beklagten nicht vorzuwerfen. Das einige Meter vor den Schienen angebrachte Andreaskreuz sei gut sichtbar gewesen. Die Klägerin sei trotz Kenntnis der Gleise nicht stehen geblieben, sondern „ganz normal" weitergefahren. Da sie die Gleise rechtzeitig erkannt habe, seien „Warnhinweise oder das Andreaskreuz" für den Unfall nicht kausal gewesen. Die über das ursprüngliche Klagebegehren hinausgehende Forderung sei verjährt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Beklagten sei zwar zum Vorwurf zu machen, nicht für eine Sichtbarkeit des „Andreaskreuzes" gesorgt zu haben. Dieser Sorgfaltsverstoß sei jedoch nicht kausal für das Unfallgeschehen gewesen. Die Klägerin habe die von ihr zu Recht als besondere Gefahrensituation qualifizierte Querung der Gleise über den Güterweg so rechtzeitig wahrgenommen, dass sie den Sturz durch Abbremsen oder Änderung der Fahrtrichtung hätte vermeiden können. Sie habe sich jedoch aufgrund einer fahrtechnischen Fehleinschätzung dafür entschieden, ihre Fahrt unverändert fortzusetzen, obwohl ihr die fahrtechnisch richtige Vorgangsweise bekannt gewesen sei. Darüber hinaus hätte sie auch das in entgegengesetzter Richtung aufgestellte Andreaskreuz wahrnehmen können. Die Klägerin treffe somit das Alleinverschulden an ihrem Sturz.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Es führte ausführlich begründet aus, der Beklagten sei als grobe Fahrlässigkeit iSd § 1319a ABGB vorzuwerfen, dass sie die für Radfahrer bestehende, ihr bereits bekannte atypische Gefahrenquelle weder beseitigt noch als solche kenntlich gemacht habe; damit sei der „Zustand des Weges" mangelhaft gewesen. Zutreffend habe das Erstgericht jedoch die Unterlassungen der Beklagten als für den Unfall nicht kausal gewertet. Die Klägerin wäre gehalten gewesen, sich - vor allem durch die Wahl einer entsprechenden Geschwindigkeit - auf jene Gefahrenquellen einzustellen, mit denen auf einem als Radweg genutzten Güterweg, der neben einer Eisenbahnstrecke verläuft, gerechnet werden müsse. Gerade in einem solchen Bereich sei mit Gleisen, die die Fahrbahn queren, zu rechnen. Sie habe die Schienen auch zu einem Zeitpunkt erkannt, als es ihr noch möglich gewesen wäre, vor diesen zum Stillstand zu kommen. Nachdem sie den Sturz einer vor ihr fahrenden Radfahrerin wahrgenommen habe, wäre sie verhalten gewesen, ihre Geschwindigkeit entsprechend zu reduzieren, sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen und so zu fahren, dass sie vor den Schienen problemlos anhalten bzw die Geschwindigkeit wesentlich verringern hätte können. Allein dieses bewusste Verhalten der Klägerin, nämlich ohne Reaktion weiterzufahren, habe zu ihrem Sturz geführt.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist zulässig und mit ihrem Aufhebungsantrag auch berechtigt.

Zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 1319a Abs 1 ABGB des mangelhaften Zustands des Weges und des grob fahrlässigen Unterlassens der Beseitigung des gefährlichen Zustands bzw einer ausreichenden Warnung vor der Gefahrenstelle ist auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Zu Recht weist die Revisionswerberin darauf hin, dass angesichts des festgestellten Sachverhalts die Kausalität der Unterlassung der Beklagten nicht einfach auf der rechtlichen Ebene geleugnet werden kann. Eine Unterlassung ist dann für einen bestimmten Erfolg kausal, wenn pflichtgemäßes Verhalten den Erfolg (mit ausreichender Wahrscheinlichkeit) verhindert hätte; da sich hypothetische Abläufe schon der Natur der Sache nach nie mit derselben Sicherheit nachweisen lassen wie ein tatsächliches Geschehen, sind an den Kausalitätsbeweis regelmäßig geringere Anforderung zu stellen (vgl dazu nur die Judikatur - nachweislich bei Reischauer in Rummel³ II/2a § 1295 ABGB Rz 3). Allein der Umstand, dass ein Geschädigter in der Lage gewesen wäre, bei ausreichender Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten den schließlich eingetretenen Schaden zu vermeiden, reicht grundsätzlich nicht aus, um die Kausalität einer schuldhaften und rechtswidrigen Unterlassung eines potentiellen Schädigers zu verneinen. Diese ist vielmehr regelmäßig auf Tatsachenebene zu prüfen, was häufig zu einer Bejahung der Kausalität und einer Schadensteilung wegen eines dem Geschädigten vorzuwerfenden Mitverschuldens führt. Die Beurteilung - und Verneinung - der Kausalität einer festgestellten Unterlassung (allein) im Rahmen der rechtlichen Beurteilung kommt allenfalls bei ganz typischen und im Sinne eines Anscheinsbeweises einer generalisierenden Beurteilung zugänglichen Geschehnisabläufen in Betracht, die allerdings nur ausnahmsweise vorliegen. Nur dann, wenn aus dem Fehlverhalten des Geschädigten unter Heranziehung ganz allgemein gültiger Erfahrungssätze geschlossen werden kann, dass auch das von dem auf Schadenersatz in Anspruch Genommenen verlangte, tatsächlich jedoch unterlassene Verhalten typischerweise nicht dazu geführt hätte, dass der damit konfrontierte Geschädigte sich anders verhalten hätte, als er dies tatsächlich getan hat, könnte die Kausalität im Rahmen der rechtlichen Beurteilung verneint werden.

Ein derartiger Fall liegt hier jedoch nicht vor. Zutreffend verweist die Revisionswerberin etwa darauf, dass ausreichende Warnhinweise jedenfalls dazu geeignet sind, einem Radfahrer - so auch der Klägerin - die besondere Gefährlichkeit eines bestimmten Wegbereichs vor Augen zu führen, dass ihr jedenfalls eine bei Weitem längere Überlegungsfrist zur Entscheidung über ihr Fahrverhalten zur Verfügung gestanden wäre, und dass etwa eine Zusatztafel, mit der auf ein Absteigen vor den Schienen hingewiesen würde, dazu führen könnte, dass jedenfalls bei ungünstigen Fahrbahnbedingungen Radfahrer sich dazu entscheiden werden, vor der angezeigten Gefahrenstelle abzusteigen. Zu Unrecht gehen die Vorinstanzen offenbar davon aus, dass bereits mit dem Wahrnehmen von die Fahrbahn querenden Eisenbahnschienen unmissverständliche Kenntnis von der besonderen Gefahrensituation erlangt wird. Es ist aber auch nicht auszuschließen, dass ein Radfahrer, der erst 9 bis 10 m vor den querenden Schienen mit einer potentiellen Gefährlichkeit konfrontiert wird, deshalb von keiner besonderen Gefahrensituation ausgeht, weil er annimmt, der jeweilige Wegehalter hätte wohl in ausreichender Weise auf ein besonders hohes Risiko hingewiesen.

Die Vorinstanzen werden sich daher - auf Tatsachenebene - mit der Einwendung der Beklagten, „Warnhinweise oder das Andreaskreuz seien nicht kausal für den Unfall gewesen", auseinanderzusetzen haben. Dabei wird zuerst zu beurteilen sein, welche Warn- bzw Absicherungsmaßnahmen geboten gewesen wären; allein das Ausschneiden der Sträucher, um das „Andreaskreuz" sichtbar zu machen, wäre keinesfalls ausreichend gewesen, zumal dieses - wie das Erstgericht im ersten Rechtsgang richtig erkannt hat - vor Schienenverkehr warnen soll, nicht aber davor, dass (untypischerweise) Schienen schräg zur Fahrbahn verlaufen und es an dieser Stelle immer wieder zu Stürzen von Radfahrern kommt. In der Folge ist - gegebenenfalls unter ergänzender Vernehmung der Klägerin - zu ermitteln, ob sich diese auch beim gebotenen Vorgehen der Beklagten so verhalten hätte, dass es zu dem Unfall gekommen wäre.

Sollte sich entsprechend dem Vorbringen der Klägerin die Kausalität der Pflichtverletzung der Beklagten ergeben, wird weiters auf den Mitverschuldens- sowie den Verjährungseinwand einzugehen sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

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