Spruch:
In den Strafsachen gegen Stefano T*****, AZ 4 U 6/05w des Bezirksgerichts St. Pölten und AZ 41 Hv 20/08x des Landesgerichts für Strafsachen Wien, verletzen das Gesetz
1./ das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 17. Februar 2005, GZ 4 U 6/05w-7, in § 35 Abs 1 iVm § 37 SMG aF;
2./ der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 26. März 2008, GZ 041 Hv 20/08x-21, mit dem vom Widerruf der Stefano T***** im Verfahren AZ 4 U 6/05w des Bezirksgerichts St. Pölten gewährten bedingten Strafnachsicht und damit von einem Teil des zu GZ 26 BE 98/05i-3 des Landesgerichts Wels (nunmehr AZ 182 BE 252/05t des Landesgerichts für Strafsachen Wien) bedingt nachgesehenen Strafrests (bei gleichzeitigem Widerruf des gesamten Strafrests) abgesehen wurde, in § 53 StGB.
Das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 17. Februar 2005, GZ 4 U 6/05w-7, und alle (in diesem Verfahren) davon abhängenden Entscheidungen und Verfügungen sowie der gemäß § 494a Abs 1 StPO gefasste und verkündete Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 26. März 2008, GZ 041 Hv 20/08x-21, werden aufgehoben und die Sache zur Verfahrenserneuerung an das Bezirksgericht St. Pölten verwiesen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom (richtig:) 18. Jänner 2005, GZ 22 Hv 91/04t-15, wurde Stefano T***** des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127, 130 erster Fall StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in Dauer von 15 Monaten verurteilt. Dieses Urteil erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Mit gekürzt ausgefertigtem (§§ 458 Abs 3, 488 Z 7 StPO), am 22. Februar 2005 in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 17. Februar 2005, GZ 4 U 6/05w-7, wurde Stefano T***** des Vergehens nach § 27 Abs 1 (zu ergänzen:) erster und zweiter Fall SMG aF schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von zwei Wochen verurteilt, weil er am 14. Oktober 2004 in St. Pölten und Wien während eines Ausgangs aus der Strafhaft den bestehenden Vorschriften zuwider Heroin, Kokain und Haschisch erworben, besessen und konsumiert hat. Die Voraussetzungen des § 35 Abs 3 SMG aF wurden weder von der Staatsanwaltschaft noch vom Bezirksgericht geprüft. Beide Freiheitsstrafen im Gesamtausmaß von 15 Monaten und 14 Tagen wurden gemeinsam vollzogen.
Mit Beschluss des Landesgerichts Wels vom 5. Oktober 2005, GZ 26 BE 98/05i-3, wurde der Verurteilte nach dem Vollzug von 12 Monaten und 14 Tagen am 19. Dezember 2005 gemäß § 46 Abs 2 StGB aF unter Bestimmung einer zweijährigen Probezeit bedingt entlassen. Der Strafrest betrug drei Monate. Die gleichzeitig angeordnete Bewährungshilfe wurde am 17. August 2006 aufgehoben. Anlässlich einer Folgeverurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien vom 17. Mai 2006, GZ 75 Hv 62/06v-19, sah das erkennende Gericht vom Widerruf der zu obiger Zahl des Landesgerichts Wels gewährten, zum AZ 182 BE 252/05t des Landesgerichts für Strafsachen Wien überwachten bedingten Entlassung ab und verlängerte die Probezeit auf fünf Jahre (S 55 in AZ 182 BE 252/05t). Am 26. März 2008 verurteilte ein Schöffensenat Stefano T***** zu GZ 041 Hv 20/08x-21 des Landesgerichts für Strafsachen Wien neuerlich wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127, 130 erster Fall StGB und fasste den Beschluss „auf Absehen vom Widerruf zu BG St. Pölten 4 U 6/05w und Widerruf zu 26 BE 98/05i des LG Wels".
Rechtliche Beurteilung
Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, stehen das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 17. Februar 2005, GZ 4 U 6/05w-7, und der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 26. März 2008, GZ 41 Hv 20/08x-21, mit dem Gesetz nicht im Einklang:
1./ Dem wegen vorschriftswidrigen Erwerbs und Besitzes der selbst konsumierten Suchtgifte Heroin und Kokain (nach dem Akteninhalt ein Gemisch im Gesamtgewicht von 0,1 Gramm [S 11 im bezirksgerichtlichen Akt]) sowie Haschisch (ein Joint, wie ebendort vermerkt) erfolgten Schuldspruch nach § 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG aF mangelt es für ein gesetzeskonformes Zustandekommen an einer bereits der Staatsanwaltschaft obliegenden, nach Erhebung des Antrags auf Bestrafung gemäß § 37 SMG aF vom Gericht vorzunehmenden Prüfung der grundsätzlich indizierten Bestimmung des § 35 Abs 1 SMG aF. Die Aktenlage lässt nämlich dieser entgegenstehende Umstände nicht erkennen. Im Besonderen ergibt sich kein Anhaltspunkt, wonach Stefano T***** mehr als geringe Mengen der Suchtgifte zum eigenen Gebrauch erworben und besessen hätte. Die einschlägigen Vorstrafen, die Tatbegehung im Zuge eines Ausgangs aus der Strafhaft sowie der Schuldspruch zu AZ 022 Hv 91/04t des Landesgerichts für Strafsachen Wien schlossen eine vorläufige Zurücklegung der Anzeige nicht aus.
Der Bezirksrichter wäre daher nach Einbringung des Antrags auf Bestrafung vom 31. Dezember 2004 (GZ 4 U 6/05w-3 des Bezirksgerichts St. Pölten) gemäß § 37 aF SMG verhalten gewesen, vorerst die Auskünfte bzw Stellungnahmen nach § 35 Abs 3 SMG aF einzuholen. Die im Akt befindlichen Ausführungen des Anstaltsarztes bezüglich des zu jener Zeit in Haft befindlichen Angezeigten genügten mangels Bezugnahme auf ein Behandlungserfordernis den Anforderungen einer solchen Begutachtung nicht. Erst nach Vorliegen der entsprechenden Auskünfte und Stellungnahmen hätte das Bezirksgericht St. Pölten die Voraussetzungen des § 35 Abs 1 SMG aF prüfen können. Der ohne solche Prüfung erfolgte Schuldspruch steht daher mit dem Gesetz nicht in Einklang.
Der Vollständigkeit halber ist festzustellen, dass in Ansehung der Verurteilung des Stefano T***** zu AZ 022 Hv 91/04t des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18. Jänner 2005 und des Tatzeitpunkts im Verfahren des Bezirksgerichts St. Pölten (14. Oktober 2004) eine gemeinsame Durchführung des Verfahrens gemäß § 56 StPO aF möglich gewesen wäre und demgemäß die unterlassene Bedachtnahme gemäß §§ 31 Abs 1, 40 StGB auf dieses Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien durch das Bezirksgericht St. Pölten ebenfalls verfehlt ist.
Dem Gesetz widerstreitet weiters der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 26. März 2008 (GZ 41 Hv 20/08x-20) „auf Absehen vom Widerruf zu BG. St. Pölten 4 U 6/05w und Widerruf zu 26 BE 98/05i". Für den Widerruf einer bedingten Entlassung gemäß § 53 Abs 1 StGB ist nämlich der zu vollziehende Strafrest jener, der sich aus dem die seinerzeit erfolgte bedingte Entlassung bewilligenden Beschluss, gegenständlich daher zu AZ 26 BE 98/05i des Landesgerichts Wels, ergibt. Nicht die zugrundeliegenden Strafurteile sind Gegenstand der Widerrufsentscheidung, sondern der Beschluss des Vollzugsgerichts über die bedingte Entlassung. Demgemäß ist der nur einen Teil des Strafrests aus AZ 26 BE 98/05i des Landesgerichts Wels betreffende Ausspruch „auf Absehen vom Widerruf zu BG St. Pölten 4 U 6/05w" nicht nur im Gesetz nicht vorgesehen, sondern steht auch im Widerspruch zu dem vom Schöffensenat gleichzeitig beschlossenen und verkündeten „Widerruf zu 26 BE 98/05i".
Dieser Beschluss war daher, auch weil dessen Grundlage das aufgehobene Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 17. Februar 2005 ist, ebenfalls aufzuheben.
Der Stefano T***** zum Nachteil gereichende Schuldspruch des Bezirksgerichts St. Pölten war daher - wie alle darauf beruhenden Entscheidungen und Verfügungen in diesem Verfahren - ebenso wie der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 26. März 2008, AZ 041 Hv 20/08x, aufzuheben.
Dem Bezirksgericht St. Pölten, das auch die entsprechenden Verständigungen vorzunehmen haben wird, war die Verfahrenserneuerung aufzutragen.
Darüber hinaus wird - in Anbetracht des von der gegenständlichen Entscheidung nicht betroffenen Beschlusses des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 17. Mai 2006 (AZ 75 Hv 62/06v) auf Verlängerung der Probezeit der bedingten Entlassung - aufgrund des Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 26. März 2008, AZ 41 Hv 20/08x, erneut gemäß § 494a StPO Beschluss zu fassen sein, wobei der durch diese Entscheidung geänderte Strafrest der bedingten Entlassung zu AZ 26 BE 98/05i des Landesgerichts Wels (nunmehr AZ 182 BE 252/05t des Landesgerichts für Strafsachen Wien) zu beachten sein wird (zwei Monate und 16 Tage).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)