OGH 6Ob278/08p

OGH6Ob278/08p26.3.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Johann O*****, 2. J***** GmbH, beide *****, vertreten durch Dr. Kurt Berger und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Bodo H*****, Deutschland, vertreten durch Dr. Daniel Charim und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens 34 Cg 2/05h des Handelsgerichts Wien (Streitwert 42.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 28. Oktober 2008, GZ 4 R 126/08s-9, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 30. Mai 2008, GZ 22 Cg 6/08p-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Vorinstanzen gingen im wiederaufzunehmenden Verfahren auf Tatsachenebene davon aus, dass der (Wiederaufnahms-)Beklagte bei Übergabe der den (Erstwiederaufnahms-)Kläger als angeblichen Stasibzw KGB-Spion belastenden Dossiers an seinen Rechtsanwalt Dr. Daniel C***** nicht konkret an eine Veröffentlichung gedacht habe; es sei mit dem Rechtsanwalt auch nicht besprochen worden, wie die vom (Wiederaufnahms-)Beklagten erwünschte Überprüfung der Dossiers durch den Rechtsanwalt vor sich gehen und was mit deren Ergebnis weiter passieren sollte. Der (Wiederaufnahms-)Beklagte sei vielmehr davon ausgegangen, dass der Rechtsanwalt die Unterlagen gemäß den zwischen ihnen gepflogenen Usancen vertraulich behandeln und ihn über deren Inhalt beraten werde. Der Rechtsanwalt habe die Unterlagen an einen befreundeten Journalisten, zu dem er ein Vertrauensverhältnis gehabt habe und von dessen Urteilsfähigkeit er überzeugt gewesen sei, mit dem Ersuchen weitergegeben, sich die Unterlagen anzusehen und zu überprüfen, ob „etwas dran" sei. Der Journalist sei davon ausgegangen, dass die Angelegenheit vertraulich zu behandeln sei, wobei der Rechtsanwalt ihn auch darauf hingewiesen habe, dass das Material nicht veröffentlicht werden dürfe.

Das Berufungsgericht im wiederaufzunehmenden Verfahren begründete die Abweisung des auf § 1330 ABGB gestützten Klagebegehrens, der (Wiederaufnahms-)Beklagte habe die Behauptung zu unterlassen, der (Erstwiederaufnahms-)Kläger habe mit ausländischen Geheimdiensten, insbesondere mit der „Stasi" oder dem KGB, kooperiert und/oder dies beabsichtigt, damit, es könne nicht gesagt werden, dass die Weitergabe von Dossiers an einen Rechtsanwalt automatisch dessen weitere Recherche zur Erforschung der Tatsachengrundlagen beinhalte, dieser somit mit den Aufgaben eines Detektivs betraut werde. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass ein Rechtsanwalt unter Verstoß gegen seine Verschwiegenheitsverpflichtung belastendes Material an Dritte zum Zweck weiterer Nachforschungen aus der Hand gibt; eine Veranlassung der Weitergabe der Dossiers durch den (Wiederaufnahms-)Beklagten liege bei einem Auftrag zur Durchsicht und Überprüfung nicht vor.

Die Wiederaufnahmskläger stützen ihre Wiederaufnahmsklage darauf, dass der Rechtsanwalt nunmehr in einem gegen ihn angestrengten Verfahren in der Klagebeantwortung behauptet habe, die Dossiers seien ihm vom (Wiederaufnahms-)Beklagten nicht vertraulich übergeben worden; er sei daher berechtigt gewesen, diese an den Journalisten weiterzuleiten. Dies habe außerdem der (Wiederaufnahms-)Beklagte selbst nach Beendigung des wiederaufzunehmenden Verfahrens in einem an den Rechtsanwalt gerichteten Schreiben bestätigt und dort weiters ausgeführt, der Rechtsanwalt habe seine Verschwiegenheitspflicht ihm gegenüber nicht dadurch verletzt, dass er die Dossiers an den Journalisten weitergegeben habe; es sei „wohlverstanden" gewesen, dass der Rechtsanwalt bei Prüfung der übermittelten Unterlagen in umsichtiger Weise die ihm jeweils sinnvoll erscheinenden Schritte setzen würde und dass dies die Möglichkeit umfasst habe, den Rat oder die Einschätzung vertrauenswürdig erscheinender Dritter einzuholen. Die Klagebeantwortung und das Schreiben des (Wiederaufnahms-)Beklagten würden demnach dessen Prozessvorbringen im wiederaufzunehmenden Verfahren widerstreiten, womit die Voraussetzungen einer Wiederaufnahme gemäß § 530 Abs 1 Z 7 ZPO vorlägen.

Die Vorinstanzen haben die Wiederaufnahmsklage gemäß § 538 ZPO mit der Begründung zurückgewiesen, die neuen Beweismittel erschütterten nicht die Feststellung im wiederaufzunehmenden Verfahren, es sei nicht darüber gesprochen worden, wie die gewünschte Überprüfung durch den Rechtsanwalt vor sich gehen sollte; es gehe also lediglich um eine der rechtlichen Beurteilung zuzuordnende Einschätzung der Frage, ob dem Rechtsanwalt eine Verletzung seiner Verschwiegenheitsverpflichtung vorzuwerfen sei. Das Rekursgericht sprach darüber hinaus aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands zwar 20.000 EUR übersteige, der ordentliche Revisionsrekurs jedoch nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Wiederaufnahmskläger ist zulässig; er ist auch berechtigt.

Nach § 530 Abs 1 Z 7 ZPO kann ein Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist, auf Antrag einer Partei wieder aufgenommen werden, wenn die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Das Berufungsgericht hat die Klageabweisung im wiederaufzunehmenden Verfahren damit begründet, es könne nicht gesagt werden, dass die Weitergabe von Dossiers an einen Rechtsanwalt automatisch dessen weitere Recherche zur Erforschung der Tatsachengrundlagen beinhalte, dieser somit mit den Aufgaben eines Detektivs betraut werde. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass ein Rechtsanwalt unter Verstoß gegen seine Verschwiegenheitsverpflichtung belastendes Material an Dritte zum Zweck weiterer Nachforschungen aus der Hand gibt; eine Veranlassung der Weitergabe der Dossiers durch den (Wiederaufnahms-)Beklagten liege bei einem Auftrag zur Durchsicht und Überprüfung nicht vor. Aufgrund der Verschwiegenheitsverpflichtung des Rechtsanwalts brauche sich der (Wiederaufnahms-)Beklagte die Weitergabe der Dossiers an den Journalisten nicht zurechnen lassen; die Übergabe der Dossiers an den Rechtsanwalt sei jedoch nach § 1330 Abs 2 letzter Satz ABGB vertraulich und damit gerechtfertigt gewesen.

§ 530 Abs 1 Z 7 ZPO erfasst auch im wiederaufzunehmenden Verfahren unbekannte Tatsachen. Infolge dieser Unbekanntheit konnte sie die betroffene Partei damals nicht geltend machen (8 Ob 516/78; 9 Ob 519/95; 1 Ob 575/95; ecolex 1996, 599). Durch die Klagebeantwortung und das Schreiben des (Wiederaufnahms-)Beklagten erlangten die (Wiederaufnahms-)Kläger nach ihren Behauptungen nunmehr erstmals Kenntnis davon, dass dem Rechtsanwalt die Dossiers vom (Wiederaufnahms-)Beklagten nicht vertraulich übergeben worden seien und dass dieser daher berechtigt gewesen sei, sie an den Journalisten weiterzuleiten. Hätten sie davon bereits im wiederaufzunehmenden Verfahren Kenntnis gehabt, hätten sie entsprechendes Vorbringen erstatten und Beweise hiefür anbieten können, etwa die (ergänzende) Einvernahme des (Wiederaufnahms-)Beklagten und/oder des Rechtsanwalts.

Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen würde in einem solchen Fall die wesentliche Prämisse der klageabweisenden Begründung des Berufungsgerichts im wiederaufzunehmenden Verfahren wegfallen. Insofern liegt dann aber tatsächlich eine abstrakte Eignung von Klagebeantwortung und Schreiben des (Wiederaufnahms-)Beklagten vor, im wiederaufzunehmenden Verfahren eine für die (Wiederaufnahms-)Kläger günstigere Entscheidung herbeizuführen. Damit waren die klagezurückweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen zu beseitigen und dem Erstgericht die Fortsetzung des Wiederaufnahmsverfahrens aufzutragen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet auf § 52 ZPO.

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