OGH 12Os165/08v

OGH12Os165/08v19.2.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Februar 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab und Dr. T. Solé sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Klugar als Schriftführerin in der Strafsache gegen Reinhard B***** wegen des Vergehens des tätlichen Angriffs auf einen Beamten nach § 270 Abs 1 StGB, AZ 6 U 42/07g des Bezirksgerichts Melk, über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 2. Juni 2008, AZ 9 Bl 29/08a (ON 23), und einen weiteren Vorgang nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, des Verteidigers Mag. Prückler, sowie des Angeklagten Reinhard B***** zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Es verletzen das Gesetz:

1. das Einschreiten des Vorsitzenden auch als Berichterstatter in der Berufungsverhandlung vom 2. Juni 2008 vor dem Landesgericht St. Pölten, AZ 9 Bl 29/08a (Protokoll ON 22 des U-Aktes), in dem aus den Bestimmungen der §§ 40 Abs 2 und 471 iVm § 287 Abs 2 StPO abzuleitenden Grundsatz der Berichterstattung durch ein vom Vorsitzenden verschiedenes Senatsmitglied;

2. das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 2. Juni 2008, AZ 9 Bl 29/08a (ON 23 des U-Aktes), in der Bestimmung des § 7 Abs 1 iVm § 270 Abs 1 StGB.

Das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 2. Juni 2008, AZ 9 Bl 29/08a, wird aufgehoben und dem Landesgericht St. Pölten die neuerliche Entscheidung über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Bezirksgerichts Melk vom 8. Februar 2008, GZ 6 U 42/07g-16, aufgetragen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Bezirksgerichts Melk vom 8. Februar 2008, GZ 6 U 42/07g-16, wurde Reinhard B***** im zweiten Rechtsgang von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe am 26. Februar 2007 in Melk das beeidete Straßenaufsichtsorgan Erika Sch*****, sohin eine Beamtin, während einer Amtshandlung, nämlich der Überwachung der Einhaltung eines Halte- bzw Parkverbots, tätlich angegriffen, indem er sie am rechten Oberarm gepackt und versucht habe, sie zu sich zu drehen, abermals freigesprochen, weil der festgestellte Sachverhalt schon in objektiver Hinsicht nicht dem Tatbestand des tätlichen Angriffs auf einen Beamten nach § 270 Abs 1 StGB unterfalle. Zur subjektiven Tatseite wurden - naturgemäß - keine Feststellungen getroffen. Dieses Urteil bekämpfte die Staatsanwaltschaft mit fristgerecht angemeldeter und ausgeführter Berufung unter Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO iVm § 468 Abs 1 Z 4 StPO.

Am 2. Juni 2008 fand vor dem Landesgericht St. Pölten die Berufungsverhandlung statt, bei der der Vorsitzende auch als Berichterstatter fungierte (ON 22).

Mit Urteil vom selben Tag, AZ 9 Bl 29/08a (ON 23 des U-Aktes) gab das Landesgericht St. Pölten als Berufungsgericht der Berufung der Staatsanwaltschaft Folge, hob das angefochtene Urteil auf und gelangte in der Sache selbst erkennend zu einem Schuldspruch des Reinhard B***** wegen des Vergehens des tätlichen Angriffs auf einen Beamten nach § 270 Abs 1 StGB. Es ging dabei - ohne selbst Beweise aufzunehmen und ergänzende Feststellungen zu treffen - von den vom Bezirksgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen aus.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht die Durchführung der Berufungsverhandlung, bei der der Vorsitzende zugleich als Berichterstatter fungierte, mit dem Gesetz ebenso wenig im Einklang wie das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 2. Juni 2008, AZ 9 Bl 29/08a (ON 23 des U-Aktes).

1. Für die Anberaumung und Durchführung des Gerichtstags zur öffentlichen Verhandlung über die Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichts verweist § 471 StPO (ua) auf 287 StPO. Nach § 287 Abs 2 StPO trägt der Berichterstatter eine Darstellung des bisherigen Ganges des Strafverfahrens vor und bezeichnet die vom Beschwerdeführer aufgestellten Nichtigkeitsgründe und die sich daraus ergebenden Streitpunkte, ohne eine Ansicht über die zu fällende Entscheidung zu äußern.

Der Berichterstatter kann jedoch nur ein vom Vorsitzenden verschiedenes Senatsmitglied sein (Fabrizy StPO10 § 40 Rz 3, § 287 Rz 1; Ratz WK-StPO § 287 Rz 1, 285c Rz 3). Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der Bestimmung des § 40 Abs 2 zweiter und dritter Satz StPO, wonach für den Fall, dass das Gesetz einen Berichterstatter vorsieht, dieser zuerst abstimmt, dagegen der Vorsitzende - stets - zuletzt (vgl auch Markel, WK-StPO § 19 aF Rz 6).

2. Des Vergehens des tätlichen Angriffs auf einen Beamten nach § 270 Abs 1 StGB macht sich schuldig, wer einen Beamten während einer Amtshandlung (§ 269 Abs 3 StGB) tätlich angreift. In subjektiver Hinsicht ist zur Tatbildverwirklichung vorsätzliches Handeln erforderlich (7 Abs 1 StGB).

Im vorliegenden Fall hat das Bezirksgericht Melk im freisprechenden Urteil die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen verneint und somit konsequenterweise keine Feststellungen zur subjektiven Tatseite des Angeklagten Reinhard B***** getroffen. Da auch das Berufungsgericht derartige Feststellungen nicht nachtrug, haftet seinem Urteil, mit welchem es in Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft den Angeklagten Reinhard B***** des Vergehens des tätlichen Angriffs auf einen Beamten nach § 270 Abs 1 StGB schuldig erkannte, ein Rechtsfehler mangels Feststellungen an.

Da das Urteil des Berufungsgerichts dem Angeklagten zum Nachteil gereicht, sah sich der Oberste Gerichtshof zu dessen Aufhebung veranlasst (§ 292 letzter Satz StPO).

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