OGH 11Os192/08g (11Os193/08d)

OGH11Os192/08g (11Os193/08d)20.1.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Jänner 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Schörghuber als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Josef F***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1, Abs 3 (§ 81 Abs 1 Z 2) StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 21. April 2008, GZ 9 U 457/07d-13, sowie Unterlassungen im Zusammenhang mit der Zustellung dieses Urteils und des Hauptverhandlungsprotokolls erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Sperker, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Strafverfahren gegen Josef F***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1, Abs 3 (§ 81 Abs 1 Z 2) StGB, AZ 9 U 457/07d des Bezirksgerichts Innsbruck, verletzen das Gesetz

1. der im Abwesenheitsurteil vom 21. April 2008 (ON 13) ohne Anhörung des Angeklagten ergangene Zuspruch von insgesamt 1.440 Euro an die Privatbeteiligte Caroline M***** in § 245 Abs 1a StPO;

2. die Unterlassung der Anordnung der Zustellung einer Rechtsmittelbelehrung in der Zustellverfügung vom 19. Mai 2008 (S 111) in § 6 Abs 2 StPO und § 152 Abs 3 Geo;

3. die Unterlassung der Zustellung des Hauptverhandlungsprotokolls spätestens zugleich mit der Urteilsausfertigung an die Verfahrensbeteiligten in § 271 Abs 6 letzter Satz StPO. Es wird

1. das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 21. April 2008, GZ 9

U 457/07d-13, das im Übrigen unberührt bleibt, in dem gemäß § 369 Abs 1 StPO erfolgten Ausspruch, wonach Josef F***** zur Zahlung von 1.000 Euro Schmerzengeld und von 440 Euro an Heilungskostenersatz an die Privatbeteiligte Caroline M***** verurteilt wird, aufgehoben; die Privatbeteiligte wird mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen;

2. dem Bezirksgericht Innsbruck aufgetragen, das Abwesenheitsurteil vom 21. April 2008 (ON 13) dem Beschuldigten unter Anschluss einer Rechtsmittelbelehrung StPO-Form RMB 3 und einer Gleichschrift des Hauptverhandlungsprotokolls vom 21. April 2008 (ON 12) neuerlich zuzustellen.

Text

Gründe:

Im Strafverfahren gegen Josef F***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1, Abs 3 (§ 81 Abs 1 Z 2) StGB, AZ 9 U 457/07d, führte das Bezirksgericht Innsbruck am 21. April 2008 die Hauptverhandlung gemäß §§ 427 Abs 1, 447 StPO in Abwesenheit des trotz eigenhändig zugestellter Ladung (S 103) nicht zu Gericht gekommenen Angeklagten durch (ON 12).

Nach Vernehmung der Zeugen Georg G***** und Caroline M***** und nach Verlesungen gemäß § 252 Abs 2 StPO wurde Josef F***** mit Abwesenheitsurteil des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1, Abs 3 (§ 81 Abs 1 Z 2) StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe sowie - ohne vorherige Anhörung des Angeklagten - gemäß § 369 Abs 1 StPO zur Zahlung des erst in der Hauptverhandlung begehrten (S 109), aus Schmerzengeld und Heilungskosten zusammengesetzten Betrags von 1.440 Euro an die Privatbeteiligte Caroline M***** verurteilt (ON 13).

Am 19. Mai 2008 ordnete die Bezirksrichterin mit der Verfügung „Verurt. m. Rsa" (S 111) die Zustellung einer Urteilsgleichschrift an Josef F*****, nicht aber die Zustellung einer Rechtsmittelbelehrung (StPO Form RMB 3 = Rechtsmittelbelehrung des Angeklagten bei Abwesenheitsurteilen im bezirksgerichtlichen Verfahren) und einer Gleichschrift des Hauptverhandlungsprotokolls an. Auch die Zustellung einer Ausfertigung des Protokolls an die sonstigen Verfahrensbeteiligten unterblieb, obwohl diese darauf nach dem Akteninhalt nicht verzichtet hatten.

Dem Rückschein über die Hinterlegung der Urteilsgleichschrift am 23. Mai 2008 (Rs bei ON 13) ist eine (allenfalls seitens der Geschäftsabteilung veranlasste) Übermittlung auch der Rechtsmittelbelehrung und einer Gleichschrift des Hauptverhandlungsprotokolls an den Angeklagten nicht zu entnehmen. Über die rechtzeitig angemeldete (ON 14) und ausgeführte Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Strafe (ON 15) und über das vom Angeklagten am 4. Juni 2008 mittels des am Abwesenheitsurteil verfassten Vermerks, „Ich, F***** Josef erhebe Berufung gegen das Urteil" erhobene Rechtsmittel (ON 18) wurde nach Vertagung der Verhandlung vor dem Landesgericht Innsbruck als Berufungsgericht am 14. Oktober 2008, bei der der Beschwerdeführer die Berufung wegen Schuld und gegen die Aussprüche über die Strafe sowie über die Ansprüche der Privatbeteiligten ausführte, im Besonderen die subjektive Tatseite in Ansehung der Vorhersehbarkeit des Lenkens seines Kraftfahrzeugs vor Alkoholkonsum bekämpfte, bisher nicht entschieden (AZ 21 Bl 280/08x des Landesgerichts Innsbruck).

Rechtliche Beurteilung

Der Zuspruch an die Privatbeteiligte Caroline M*****, die unterbliebene Übermittlung von Ausfertigungen des Hauptverhandlungsprotokolls spätestens mit der Urteilsausfertigung an die Verfahrensbeteiligten sowie die Zustellung des Abwesenheitsurteils ohne Rechtsmittelbelehrung stehen - wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Vorauszuschicken ist:

Gemäß §§ 427 Abs 1, 447 StPO darf die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten dann durchgeführt und das Urteil gefällt werden, wenn es sich um ein Vergehen handelt, der Angeklagte gemäß §§ 164 oder 165 StPO zum Anklagevorwurf vernommen und ihm die Ladung zur Hauptverhandlung persönlich zugestellt wurde. Die (inhaltliche) Qualität der Vernehmung nach § 164 StPO und deren Vollständigkeit sind insoferne für die Zulässigkeit des Abwesenheitsverfahrens bedeutsame Kriterien, als davon die umfassende Beurteilungsmöglichkeit des Anklagevorwurfs durch den erkennenden Richter abhängt (§ 427 Abs 2 StPO). Im gegenständlichen Fall ermöglichte - den Bedenken des ein Vorgehen nach § 23 Abs 1 StPO anregenden Berufungsgerichts entgegen - die Zusammenschau der Ergebnisse der polizeilichen Vernehmung des Beschuldigten (S 31) mit seinen Angaben am Tatort (S 51) die Beurteilung auch der subjektiven Tatseite des Handelns unter besonders gefährlichen Verhältnissen (§ 88 Abs 3 [§ 81 Abs 1 Z 2] StGB), unbeschadet dessen, dass die dazu getroffenen Feststellungen im Abwesenheitsurteil unbegründet blieben. Unzulässig war jedoch der Privatbeteiligtenzuspruch, weil der Angeklagte zu dem von der Privatbeteiligten Caroline M***** begehrten Schadenersatzbetrag nicht gehört wurde. Bei der Vorschrift des § 245 Abs 1a StPO, wonach der Angeklagte auch über die gegen ihn erhobenen privatrechtlichen Ansprüche zu vernehmen und zur Erklärung aufzufordern ist, ob und in welchem Umfang er diese anerkennt, handelt es sich um ein zwingendes, dem Grundsatz des beiderseitigen Gehörs Rechnung tragendes Gebot; der ohne Anhörung des Angeklagten erfolgte Zuspruch verletzt demnach das Gesetz (RIS-Justiz RS0101178, RS0101197).

Dies wirkte sich zum Nachteil des Angeklagten aus. Demgemäß sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst (§ 292 letzter Satz StPO), das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck im Adhäsionserkenntnis aufzuheben und nach § 366 Abs 2 StPO vorzugehen.

Gemäß § 271 Abs 6 letzter Satz StPO ist den Beteiligten des Verfahrens, soweit sie nicht darauf verzichtet haben, ehestmöglich, spätestens aber zugleich mit der Urteilsausfertigung eine Ausfertigung des Protokolls über die Hauptverhandlung zuzustellen. Auch gegen diese gesetzliche Anordnung hat das Bezirksgericht Innsbruck verstoßen.

Gemäß § 152 Abs 3 Geo ist mit einem in Abwesenheit des Angeklagten gefällten Urteil stets auch eine besondere Rechtsmittelbelehrung zuzustellen; dies ist vom Richter in der Zustellverfügung ausdrücklich anzuordnen. Dieser - der Effektuierung der Garantien des Art 2 Z 1 des 7. ZPMRK dienenden - Belehrungspflicht (vgl allgemein bereits § 6 Abs 2 StPO) ist das Bezirksgericht Innsbruck nicht nachgekommen.

Dies gereichte dem Angeklagten zum Nachteil, weil er weder auf die Präklusionsfrist des § 466 Abs 2 StPO hingewiesen wurde, wonach die Berufung gegen ein nicht in Anwesenheit des Angeklagten verkündetes Urteil binnen drei Tagen nach seiner Verständigung hievon anzumelden ist und ihm nur dann für die Berufungsausführung eine weitere Frist (von vier Wochen) offen steht (§ 467 Abs 1 StPO), noch auf sein Recht, gemäß § 478 Abs 1 StPO binnen 14 Tagen nach Urteilszustellung (auch) Einspruch wegen nicht gehöriger Ladung oder eines unabwendbaren Hindernisses gegen das Befolgen der Ladung zu erheben und entweder schon mit dem Einspruch oder erst mit der an das Landesgericht adressierten Beschwerde gegen die Verwerfung des Einspruchs durch das Bezirksgericht das Rechtsmittel der Berufung verbinden kann (§ 478 Abs 2 StPO), das in diesen Fällen nicht gesondert angemeldet werden muss (Ratz, WK-StPO § 478 Rz 6; jüngst 11 Os 81/08h, 82/08f). Demzufolge sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst (§ 292 letzter Satz StPO), die neuerliche Zustellung des gegenständlichen Abwesenheitsurteils mit richtiger Rechtsbelehrung und einer Abschrift des Hauptverhandlungsprotokolls anzuordnen. Sollte der Angeklagte keine weiteren Erklärungen abgeben, wäre im Hinblick auf die neu ausgelöste Rechtsmittelfrist die seinerzeit eingebrachte Berufung nunmehr (trotz ursprünglich versäumter Frist - vgl Fabrizy, StPO10 § 6 Rz 5) als rechtzeitig anzusehen und hätte das Berufungsgericht darüber meritorisch zu entscheiden (11 Os 133/06b).

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