Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Urteilsfällung nach Verfahrensergänzung aufgetragen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Rechtsvorgänger des Klägers, dessen aktive Klagelegitimation nicht strittig ist, traten der beklagten Gemeinde zwei Teilflächen (Gesamtausmaß 232 m2) einer Liegenschaft zur Errichtung eines öffentlichen Wegs ab; diese Flächen wurden in der Folge in einem Verfahren nach den §§ 15 ff LiegTeilG der im Eigentum der Beklagten stehenden Wegparzelle grundbücherlich zugeschrieben. Der Abtretung, in deren Zug der Rechtsvorgänger des Klägers am 15. 6. 2004 auch schriftlich seine Zustimmung zum geänderten Grenzverlauf erteilt hatte, waren Verhandlungen mit Vertretern der Beklagten vorangegangen, die aufgrund eines Gemeinderatsbeschlusses eine Ablöse von (nur) 5 EUR/m2 für die von den anliegenden Grundeigentümern abzutretenden Grundflächen angeboten hatte. Unstrittig war, dass die Abtretung nicht unentgeltlich erfolgen sollte, doch kam es zu keiner Einigung über den angebotenen, vom Rechtsvorgänger des Klägers als zu niedrig angesehenen Betrag. Die Beklagte überwies einen auf der Basis von 5 EUR/m2 errechneten Betrag, welcher ihr jedoch rücküberwiesen wurde. Ohne die Abtretung der Grundflächen hätte die Liegenschaft keinen Anschluss an das öffentliche Wegenetz; eine Baubewilligung, die weniger als zwei Monate nach der Zustimmungserklärung des Rechtsvorgängers des Klägers erteilt wurde, hätte nicht erlangt werden können.
Der Kläger begehrte letztlich den Betrag von 19.720 EUR samt Zinsen. Er brachte im Wesentlichen vor, dass die abgetretenen Grundflächen einen Wert von jedenfalls 85 EUR/m2 gehabt hätten. Diesen ortsüblichen Baulandpreis habe die Beklagte zu ersetzen. Die Einlösung des Grundes sei aufgrund eines Vertrags und nicht aufgrund einer Enteignung erfolgt. Rechtlich stützte sich der Kläger auf § 20 LiegTeilG sowie jeden anderen erdenklichen Rechtsgrund. Die Beklagte wandte dagegen - soweit die ursprünglich erhobenen Einwendungen noch aufrecht erhalten werden - ein, der von ihr ermittelte Quadratmeterpreis von 5 EUR sei ortsüblich und angemessen gewesen. Das Grundstück sei nämlich bei der Grundabtretung noch nicht erschlossen und daher auch nicht bebaubar gewesen. Daher sei nicht der Baulandpreis, sondern nur der Wert für Freiland maßgeblich. Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger 9.280 EUR samt Zinsen zu zahlen und wies das darüber hinausgehende Begehren von weiteren 10.440 EUR samt Zinsen ab. Es vertrat die Auffassung, angesichts der besonderen Umstände des Falls sei eine Entschädigung von 40 EUR/m2 „ortsangemessen". Dabei habe sich der Erstrichter an der Ablösepraxis anderer, nahe gelegener Gemeinden orientiert. Für die Bemessung spiele es auch eine Rolle, dass die östliche Nachbarparzelle vom Gemeindeweg nahezu „unbeschnitten" geblieben sei. Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung ab und erklärte die ordentliche Revision letztlich für zulässig. Die vom Kläger angesprochene Norm des § 20 LiegTeilG komme nicht zur Anwendung. Sie gewähre (nur) einen Schadenersatzanspruch, für den der Kläger aber keinen rechtserzeugenden Sachverhalt - insbesondere in Richtung eines Verschuldens der Beklagten - behauptet habe. Eine Entgeltforderung könne sich jedoch aus einer privatrechtlichen Vereinbarung ergeben. Würde ein Kaufvertrag vorliegen, dann wäre dieser nicht rechtswirksam zustandegekommen, weil kein bestimmter oder zumindest bestimmbarer Kaufpreis festgelegt worden sei. Es handle sich jedoch um einen (entgeltlichen) Vertrag sui generis. Die Gegenleistung der Beklagten habe nicht nur in der Zahlung eines Ablösepreises bestanden, sondern auch darin, dass sie mit den abgetretenen Grundstücksflächen auf ihrem Grundstück einen öffentlichen Weg errichte, mit dem auch die Liegenschaft der Rechtsvorgänger des Klägers erschlossen werde. Mangels Einigung über den Kaufpreis sei ein offener Teil-Dissens vorgelegen. Trotz unvollständiger Vereinbarung komme ein Vertrag zustande, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass sich die Parteien ohne Rücksicht auf die offen gebliebene Frage endgültig binden wollten. Der Rechtsvorgänger des Klägers habe bei der Grenzverhandlung eine Zustimmungserklärung unterschrieben. Es könne davon ausgegangen werden, dass er bei seiner Unterschriftsleistung in Kenntnis davon gewesen ist, dass damit die Voraussetzung für eine grundbücherliche Eintragung des Eigentumsrechts der Beklagten an den abgetretenen Grundstücksflächen geschaffen werde. Er habe unter Berücksichtigung dieses Umstands deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er mit der Abgabe seiner Zustimmungserklärung eine Vereinbarung mit der Beklagten über die Grundabtretung treffen und an diese auch gebunden sein wolle. Die fehlende Vereinbarung über die Höhe der Ablösezahlung sei durch ergänzende Vertragsauslegung zu ermitteln. Redliche und vernünftige Parteien hätten im vorliegenden Fall bei der Bestimmung des Ablösepreises berücksichtigt, dass die abgetretenen Flächen zwar einem als Bauland gewidmeten Grundstück entstammen, die Grundabtretung jedoch der Herstellung eines öffentlichen Weges dienen, durch den das Grundstück erschlossen und damit erst bebaubar werde. Es wäre also auf den (nicht nur geldwerten) Vorteil der Grundabtretung für das verbleibende Grundstück Bedacht genommen worden. Dabei wäre auch ins Kalkül gezogen worden, dass die Beklagte für ihre Vertragspartner nicht nur eine Gegenleistung in Form einer Ablösezahlung erbringt, sondern im Gegenzug den vorteilhaften öffentlichen Weg auf eigene Kosten errichtet, welche durch einen Erschließungsbeitrag von 5.000 EUR nicht gedeckt werden könnten. Als weiterer Vorteil wäre zweifellos auch gewertet worden, dass durch die Grundabtretung eine privatrechtliche Servitutsbelastung zugunsten eines Nachbargrundstücks hinfällig geworden sei. Im Hinblick auf die durch die nicht in Geld bestehende Gegenleistung der Beklagten bewirkten Vorteile hätte ein Grundeigentümer nach Treu und Glauben auch berücksichtigt, dass die Beklagte auch anderen Liegenschaftseigentümern nicht mehr als 5 EUR/m2 an Grundablöse bezahlt hätte und andere Liegenschaftseigentümer Grundflächen zur Errichtung des Wegs überhaupt unentgeltlich abgetreten hätten. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände hätten redliche und vernünftige Vertragsparteien nach Treu und Glauben einen Ablösepreis von 5 EUR/m2 vereinbart. Dieser Ablösepreis sei jedoch von der Beklagten bereits vor Klageeinbringung zur Gänze bezahlt worden. Dass der Kläger oder seine Rechtsvorgänger die Ablösezahlung zurücküberwiesen haben, ändere nichts an der vollständigen Erfüllung der Verbindlichkeit durch die Beklagte. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil rechtlich das Ergebnis vertreten werden könnte, dass im Wege ergänzender Vertragsauslegung niemals eine Regelung Vertragsinhalt werden könne, die von einer Partei ausdrücklich abgelehnt worden war.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen diese Entscheidung vom Kläger erhobene Revision ist zulässig und mit ihrem Aufhebungsantrag berechtigt. Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass der Kläger nicht auf Schadenersatzansprüche im Sinne des § 20 LiegTeilG beschränkt ist, wenn - wie hier - Einigkeit darüber besteht, dass die Gemeinde zwar auch ohne wirksamen Kaufvertrag - im Wege des vereinfachten Verfahrens gemäß den §§ 15 ff LiegTeilG - Eigentum an den für den Weg- bzw Straßenbau benötigten Teilflächen erlangen soll, dafür aber eine „Ablösezahlung" zu leisten hat. Eine Übertragung der für den Kaufvertrag geltenden Regeln, insbesondere über die Bestimmtheit (bzw leichte Bestimmbarkeit) des Kaufpreises, kommt für eine Vereinbarung wie die vorliegende schon deshalb nicht in Betracht, weil eine Rückabwicklung des bereits erfolgten Eigentumsübergangs nicht möglich ist, da dieser nach ganz herrschender Auffassung originär erfolgt (vgl dazu nur 3 Ob 2406/96m = SZ 70/265). Es bestehen daher keine Bedenken gegen die Wirksamkeit einer Abrede, die darin besteht, dass die Gemeinde, die im Verfahren nach den §§ 15 ff LiegTeilG Eigentum an Teilflächen von Grundstücken erwirbt, den betroffenen Grundeigentümern, die einer solchen Abtretung zugestimmt haben, ein (noch nicht feststehendes) „Entgelt" zu leisten hat. Vernünftigerweise kann eine solche unvollständige Abrede nur dahin verstanden werden, dass dem Liegenschaftseigentümer ein Geldanspruch zukommen soll, der jenem entspricht, der in ähnlichen Zusammenhängen für vergleichbare „Abtretungen" von Grundstücksflächen gebührt.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann dabei aber nicht veranschlagt werden, dass dem Liegenschaftseigentümer durch die Herstellung eines Wegs Vorteile zukommen, die durch den zu entrichtenden Erschließungsbeitrag nicht gedeckt wären. Dabei ist nämlich zu bedenken, dass derartige Erschließungsbeiträge regelmäßig von allen Bauwerbern ohne Rücksicht darauf gezahlt werden müssen, ob sie Grundanteile für die wegemäßige Erschließung abtreten oder nicht. Der Erschließungsbeitrag ist daher der auf den entsprechenden Bauwerber bzw Liegenschaftseigentümer entfallende (pauschalierte) Anteil an den gesamten Erschließungskosten, zu denen auch von der Gemeinde zu tragende Grundablösen gehören. Ob die Erschließungsbeiträge insgesamt „kostendeckend" sind, kann für die Höhe einer Ablösezahlung keine Rolle spielen, da die Vorteile der Erschließung ja auch jenen Anrainern zukommen, die ihre Liegenschaft unverändert behalten können, ohne dass diese deshalb höhere Beträge zu leisten hätten.
Im fortgesetzten Verfahren wird daher mit den Parteien zu erörtern sein, welche in Tirol geltende Bestimmungen die Frage einer Entschädigung für zu vergleichbaren Zwecken (zB zur straßenmäßigen Erschließung eines Wohngebiets) stattfindende Grundabtretungen regeln und welche Kriterien dort für maßgeblich erachtet werden. Sollte sich daraus nichts Besonderes ergeben, wird die Rechtsprechung zur Wertermittlung nach § 17 Abs 2 LiegTeilG zu beachten sein. Dazu wurde etwa judiziert, dass bei der Wertermittlung von den ortsüblichen - gegebenenfalls aufgewerteten - Durchschnittspreisen auszugehen ist, wie sie vor der Planung der Straßenbauanlage bezahlt wurden (5 Ob 159/64 = SZ 37/88; 5 Ob 244/72 = EvBl 1973/222 ua; Mahrer in Kodek, Grundbuchsrecht, Rz 2 zu § 17 LiegTeilG). Ebenso wie im Enteignungsrecht (vgl etwa SZ 56/82; EvBl 1987/79; JBl 1991, 119) haben Wertveränderungen aufgrund der Wirkungen oder Vorwirkungen der erst durch die Grundabtretung ermöglichten Erschließungsmaßnahmen außer Betracht zu bleiben. Bei Beachtung dieser Grundsätze ergäbe sich eine angemessene „Ablöse" aus der - für den maßgeblichen Zeitpunkt ermittelten und gegebenenfalls auf den Zeitpunkt des Eigentumsübergangs aufgewerteten - Differenz zwischen dem Wert der (mit den Wegeservitut belasteten) Gesamtliegenschaft und jenem der verkleinerten (und von der Servitut befreiten) Restliegenschaft. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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