OGH 10ObS123/08y

OGH10ObS123/08y25.11.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Hon.-Prof. Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr. Peter Ladislav (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. Gabriele L*****, vertreten durch Dr. Alexander Haas, Rechtsanwalt in Seiersberg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Witwenpension, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Juli 2008, GZ 8 Rs 61/08i-10, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 1. April 2008, GZ 35 Cgs 41/08w-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1. Der Antrag der klagenden Partei, beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Aufhebung des § 258 Abs 2 Z 2 lit a ASVG zu stellen, wird zurückgewiesen.

2. Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 14. 12. 1949 geborene Klägerin lebte mit dem am 24. 9. 1934 geborenen Herberth S***** seit 1997 in einer Lebensgemeinschaft. Am 24. 2. 2006 schlossen sie die Ehe. Zu diesem Zeitpunkt hatte Herberth S***** bereits einen bescheidmäßig zuerkannten Anspruch auf Alterspension. Am 19. 2. 2007 ist Herberth S***** verstorben.

Mit Bescheid vom 9. 11. 2007 anerkannte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt den Anspruch der Klägerin auf Witwenpension nach ihrem Ehemann ab 1. 3. 2007 und sprach aus, dass der Anspruch mit Wiederverehelichung, spätestens jedoch mit 31. 8. 2009, somit mit dem Ablauf von 30 Kalendermonaten ab dem Monatsersten nach dem Todestag des Versicherten erlösche.

Das Erstgericht wiederholte den Bescheidinhalt und wies das auf Gewährung der Witwenpension über den 31. 8. 2009 hinaus gerichtete Begehren mit der Begründung ab, dass die Ehe nicht mindestens drei Jahre gedauert habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und ließ die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu. Die von der Klägerin aufgeworfenen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 258 Abs 2 Z 2 lit a ASVG teilte es nicht.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im gänzlich klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Weiters wird der Antrag auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens hinsichtlich der Bestimmung des § 258 Abs 2 Z 2 lit a ASVG gestellt.

Die beklagte Partei hat von der ihr freigestellten Möglichkeit der Einbringung einer Revisionsbeantwortung nicht Gebrauch gemacht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil es noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage gibt, ob § 258 Abs 2 Z 2 lit a ASVG der Verfassung entspricht; sie ist jedoch nicht berechtigt.

In ihren Revisionsausführungen wendet sich die Klägerin vor allem gegen die Verfassungskonformität der Bestimmung des § 258 Abs 2 Z 2 lit a ASVG. Auch unter dem Blickwinkel des Art 8 EMRK sei nicht einzusehen, dass die zunehmende Gleichstellung von nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit der Ehe nicht auch im Sozialversicherungsrecht erfolge.

Dazu wurde erwogen:

Der Zweck der Hinterbliebenenpensionen besteht darin, die ausbleibenden Unterhaltsleistungen des verstorbenen Versicherten zu ersetzen (RIS-Justiz RS0117422). Zwischen Lebensgefährten besteht keine Unterhaltsverpflichtung (10 ObS 2/06a = RIS-Justiz RS0116507 [T3]). Es ist daher nicht unsachlich, dass der Gesetzgeber den Anspruch auf eine Witwenpension an die mit einer Unterhaltspflicht verbundene Ehe knüpft und zusätzlich eine gewisse Dauer der Ehe mit einem Gatten fordert, dem bereits ein Anspruch auf Alterspension zuerkannt wurde. Damit soll die Möglichkeit von „Rentenspekulationen" (genauer Pensionsspekulationen) in Form von Versorgungsehen ausgeschlossen werden (Teschner/Widlar/Pöltner, ASVG [104. ErgLfg] 1330/1 [§ 258 Anm 2]).

Der Verweis der Revisionswerberin auf Art 8 EMRK ist nicht zielführend, weil dieses Grundrecht grundsätzlich als Abwehrrecht ausgestaltet ist; der Zweck besteht darin, den Einzelnen gegen willkürliche Eingriffe der öffentlichen Gewalt in sein Privat- und Familienleben zu schützen (Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3 [2008] 190). Zu dieser vorwiegend negativen Verpflichtung können zwar Gewährleistungspflichten des Staates auf Schutz des Privat- und Familienlebens hinzutreten; entgegen der Ansicht der Revisionswerberin lässt sich aber aus Art 8 EMRK kein Anspruch auf finanzielle Leistungen zugunsten von Familien - einschließlich nichtehelicher Lebensgemeinschaften - ableiten (vgl Grabenwarter, EMRK3 200; Wiederin in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 5. Lfg [2002] Art 8 EMRK Rz 107).

Hegt das Gericht - wie hier - keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit einer Gesetzesbestimmung, besteht kein Anlass zur Antragstellung gemäß Art 140 B-VG (10 ObS 148/03t = SSV-NF 17/68; 10 ObS 92/04h). Den Parteien steht nach ständiger Rechtsprechung ein Recht, vom Gericht die Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit zu verlangen, nicht zu (RIS-Justiz RS0054189 und RS0058452). Der diesbezügliche, an das Revisionsgericht gerichtete Antrag ist daher zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0053805 [T13]).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigungswürdige Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin, die einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht dargetan und sind auch aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

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