OGH 11Os164/08i (11Os165/08m)

OGH11Os164/08i (11Os165/08m)4.11.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. November 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher, Dr. Schwab, Mag. Lendl und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Eilenberger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Christopher H***** wegen der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1, Abs 2 StGB, AZ 632 Hv 5/03v des Landesgerichts Korneuburg, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts als Jugendschöffengericht vom 7. November 2003, ON 58 der Hv-Akten, und den Beschluss dieses Gerichts vom 18. März 2008, ON 119, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Sperker, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Es verletzen das Gesetz

1. die nicht in Form eines Beschlusses, sondern im Urteilsspruch zu GZ 632 Hv 5/03v-58 des Landesgerichts Korneuburg erteilte Weisung, sich für die Dauer der Probezeit einer psychotherapeutischen Behandlung zu unterziehen und diese dem Gericht vierteljährlich unaufgefordert nachzuweisen, in § 494 Abs 1 StPO;

2. der Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 18. März 2008, GZ 632 Hv 5/03v-119, weil

a. er von einem Einzelrichter gefasst wurde, in §§ 31 Abs 5 Z 2, 32 Abs 3 StPO;

b. damit die mit Urteil vom 7. November 2003 (ON 58) gewährte bedingte Nachsicht eines Teils der über Christopher H***** verhängten Freiheitsstrafe ohne vorherige Anhörung des Verurteilten und ohne Einholung einer Strafregisterauskunft widerrufen wurde, in § 495 Abs 3 StPO.

Der Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 18. März 2008, GZ 632 Hv 5/03v-119, wird aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das Landesgericht Korneuburg verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem am selben Tag in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 7. November 2003, GZ 632 Hv 5/03v-58, wurde der am 6. März 1987 geborene, sohin damals jugendliche Christopher H***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1, Abs 2 StGB schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 5 Z 4 JGG nach § 207 Abs 1 StGB zu einer hinsichtlich eines Teils der Sanktion von sieben Monaten gemäß § 43a Abs 3 StGB unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.

Die Vorhaft von 1. Mai 2003, 18.10 Uhr, bis 6. Juni 2003, 11.15 Uhr, sowie von 18. August 2003, 09.30 Uhr, bis 7. November 2003, 10.25 Uhr, rechneten die Tatrichter aktenkonform an.

Weiters erteilte der Schöffensenat im Urteil Christopher H***** mit dessen Zustimmung gemäß §§ 50, 51 StGB die Weisung, sich für die Dauer der Probezeit (US 8) in psychotherapeutische Behandlung zu begeben und alle drei Monate unaufgefordert dem Gericht darüber einen Nachweis zu erbringen (US 3).

Anlässlich einer Folgeverurteilung durch das Landesgericht Korneuburg vom 26. Jänner 2006, GZ 532 Hv 2/05w-26, wegen des im April 2005, sohin innerhalb der Probezeit verwirklichten Vergehens der pornografischen Darstellung Minderjähriger nach § 207a Abs 3 zweiter Satz StGB wurde vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht im Verfahren zu AZ 632 Hv 5/03z des Landesgerichts Korneuburg abgesehen und die Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre ausgesprochen (ON 94 der letztgenannten Akten).

Der Verein L*****, in dessen Behandlung sich der Verurteilte bis Jänner 2006 befand, übermittelte dem Gericht zwar regelmäßig Therapienachweise, erklärte jedoch mit Abschlussbericht vom 27. April 2006 die Behandlung für beendet, wenngleich diese ohne Erfolg geblieben war (ON 97).

Am 13. Juni 2006 versicherte der Verurteilte - entgegen anders lautenden Informationen durch Mag. W***** vom Verein L***** (ON 99) - dem Gericht gegenüber seine Bereitschaft zur Fortführung der Therapie und ersuchte, in zeitlicher Hinsicht auf seinen Schichtdienst Rücksicht zu nehmen. Vom zuständigen Richter wurde er belehrt, dass die gerichtliche Weisung zum Therapiebesuch „uneingeschränkt aufrecht ist und die (zu diesem Zeitpunkt bereits rechtskräftig verlängerte) Probezeit erst November 2008 endet". Weiters erging an ihn die Anweisung, weiterhin alle drei Monate unaufgefordert dem Gericht eine Bestätigung über den Therapiebesuch zuzusenden (ON 101). Nach einer am 23. Oktober 2006 erteilten förmlichen Mahnung, mit der auch der Widerruf für den Fall der Nichtbefolgung der Weisung angedroht wurde (ON 105), langte am 28. Dezember 2006 eine Bestätigung über die seit 12. Dezember 2006 wieder aufgenommene (nunmehr einzel-)psychotherapeutische Behandlung ein (ON 109). Weitere Bestätigungen betreffen bis 27. Februar 2007 (ON 110, 112) und zwischen 24. Mai 2007 und 6. August 2007 (ON 117, 118) erfolgte Behandlungen.

Erst am 10. Dezember 2007 wurde dem Verurteilten die Aufforderung, die Therapie seit August 2007 nachzuweisen, und am 22. Jänner 2008 lediglich eine schriftliche Urgenz dieser Aufforderung (jeweils persönlich) zugestellt (Rückscheine bei ON 118). Beide Schreiben blieben unbeantwortet.

Über Antrag der Staatsanwaltschaft vom 22. Februar 2008 (ON 118) widerrief das Landesgericht Korneuburg - ohne vorherige Anhörung des Verurteilten dazu und ohne Beischaffung einer Strafregisterauskunft - mit Beschluss vom 18. März 2008, GZ 632 Hv 5/03v-119, die bedingte Strafnachsicht gemäß § 53 Abs 2 StGB. Diesen Beschluss fasste nach der Aktenlage eine Einzelrichterin (vgl S 215/II).

Nach Zustellung dieser Entscheidung an Christopher H***** und seinen Verteidiger jeweils am 20. März 2008 (Rückscheine bei ON 119) langte am 3. April 2008 die Bestätigung über regelmäßige psychotherapeutische Behandlungen zwischen Mai und November 2007 (S 101/II) und zwischen Jänner 2008 und 1. April 2008 (S 99/II) ein, der Widerrufsbeschluss blieb zunächst unbekämpft.

Infolge Rechtskraft verfügte die Richterin am 7. April 2008 die Übermittlung der Strafvollzugsanordnung an die Justizanstalt Korneuburg; die den unbedingten Strafteil in der Dauer von drei Monaten übersteigende, zutreffend angerechnete Vorhaft blieb offenbar versehentlich unberücksichtigt (ON 122). Dieser Mangel kann im Hinblick auf die jederzeit mögliche Richtigstellung der unvollständigen Strafvollzugsanordnung (Drexler, StVG § 3 Rz 1) und die gegenständlich überdies am 14. August 2008 erfolgte, einen Nachteil für den Verurteilten ausschließende Rückforderung der Strafvollzugsanordnung (ON 129) auf sich beruhen.

Mit Beschluss vom 25. Juli 2008, AZ 20 Bs 178/08k (ON 128), lehnte das Oberlandesgericht Wien die vom Verurteilten aus Anlass der Zustellung der Aufforderung zum Strafantritt beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung einer Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss ab und wies die unter einem eingebrachte Beschwerde als unzulässig (weil verspätet) zurück.

Rechtliche Beurteilung

Die nicht in Beschlussform ergangene Erteilung der Weisung am 7. November 2003 (ON 58) und der Widerrufsbeschluss vom 18. März 2008 (ON 119) stehen - wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Die Erteilung einer Weisung gemäß §§ 50 f StGB hat gemäß § 494 Abs 1 StPO mit gesondert zu verkündendem und auszufertigendem Beschluss zu erfolgen (Schroll in WK² [2006] § 50 Rz 16; Fabrizy, StPO10 § 494 Rz 1). Deren Aufnahme in den Urteilsspruch zur GZ 632 Hv 5/03v-58 des Landesgerichts Korneuburg war daher formell verfehlt. Dies wirkte sich nicht zum Nachteil des Verurteilten aus, sodass es diesbezüglich mit einer Feststellung sein Bewenden haben kann.

Gemäß §§ 31 Abs 5 Z 2, 32 Abs 3 StPO hat die Beschlussfassung über den Widerruf (§ 495 Abs 1 StPO) der von einem Schöffengericht ausgesprochenen bedingten Strafnachsicht in einem Senat von drei Richtern zu erfolgen. Vorliegend erweist sich daher die Entscheidung über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht durch einen Einzelrichter als gesetzwidrig.

Darüber hinaus mangelt es für eine gesetzeskonforme Beschlussfassung an einer nach § 495 Abs 3 StPO vor der Entscheidung einzuholenden Strafregisterauskunft und an der Anhörung des Verurteilten, zumal (vor allem in Anbetracht der oftmals mit zu großen Zeitintervallen erfolgten Überwachung der Einhaltung der Weisung) ein unverhältnismäßiger Aufwand - nach der Aktenlage kam es zu keinen Zustellanständen an der bekannten Wohnanschrift und hat der Verurteilte an ihn ergangenen Ladungen jeweils Folge geleistet - nicht zu erwarten war und im Widerrufsbeschluss auch nicht releviert wurde.

Der solcherart nach einem mangelhaften Verfahren ergangene, von einem unzuständigen Organ gefasste Widerrufsbeschluss wirkt sich zum Nachteil des Verurteilten aus. Der Oberste Gerichtshof sah sich angesichts dessen neben dem Aufzeigen der Gesetzesverstöße gemäß § 292 letzter Satz StPO zu dessen Aufhebung veranlasst.

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