OGH 14Os127/08w

OGH14Os127/08w23.9.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. September 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp, Hon.-Prof. Dr. Schroll und Dr. Lässig sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs in Gegenwart des Rechtspraktikanten Dr. Schmidmayr als Schriftführer in der Strafsache gegen Maria P***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 30 U 72/06i des Bezirksgerichts Zell am See, über die von der Generalprokuratur gegen den Vorgang der Verlesung einer Aussage in der Hauptverhandlung erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 30 U 72/06i des Bezirksgerichts Zell am See verletzt die Verlesung der vor der Polizeiinspektion Neukirchen abgelegten Aussage des Zeugen Armin P***** in der Hauptverhandlung am 11. Mai 2007 das Gesetz in § 252 Abs 1 Z 1 StPO.

Das Urteil vom selben Tag, GZ 30 U 72/06i-31, wird aufgehoben und dem Bezirksgericht Zell am See die neuerliche Verhandlung und Entscheidung aufgetragen.

Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit Urteil des Bezirksgerichts Zell am See vom 11. Mai 2007, GZ 30 U 72/06i-31, wurde Maria P***** in Abwesenheit des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe verurteilt.

Der Hauptverhandlung war nicht nur die Angeklagte ferngeblieben, sondern auch ihr ebenfalls im Rechtshilfeweg über das Amtsgericht Rotenburg an der Fulda an der Anschrift ***** geladener Ehemann, der Zeuge Armin P*****, dessen Aussage vor der Polizei nach Vernehmung zweier Zeuginnen ebenso wie die Strafanzeige „gemäß § 252 Abs 1 Z 1 und Abs 2 StPO" in der Hauptverhandlung verlesen worden war (S 90).

In den Entscheidungsgründen des schriftlich ausgefertigten Urteils führte die Richterin aus, diese die Verantwortung seiner Ehegattin bestätigende Aussage des Zeugen Armin P***** habe - unter Berücksichtigung des Naheverhältnisses der beiden - an der Glaubwürdigkeit der einvernommenen Zeuginnen E***** und P***** nichts zu ändern vermocht (US 3, 4).

Eine schriftliche Ausfertigung des Abwesenheitsurteils (ON 31) samt Rechtsmittelbelehrung und eine Abschrift des Hauptverhandlungsprotokolls (ON 30) wurden der Angeklagten am 3. August 2007 im Rechtshilfeweg durch das Amtsgericht Rotenburg an der Fulda an der oben angeführten Anschrift dadurch zugestellt, dass „die Schriftstücke in den zur Wohnung gehörigen Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt" wurden (ON 35). Das Amtsgericht Rotenburg an der Fulda teilte mit, dass eine persönliche Zustellung nicht möglich gewesen sei, weil die Zustellungsempfängerin trotz Erinnerung nicht beim Amtsgericht vorgesprochen habe.

Am 13. August 2007 langte beim Amtsgericht Rotenburg an der Fulda ein als „Widerspruch" bezeichnetes Schreiben der Angeklagten Maria P***** ein, das inhaltlich als Schuldberufung aufzufassen ist (ON 36). Dieses erreichte das Bezirksgericht Zell am See am 24. August 2007. Hierüber wurde bislang noch nicht entschieden.

Nach § 252 Abs 1 Z 1 StPO dürfen die Protokolle über die Vernehmung von Zeugen bei sonstiger Nichtigkeit nur verlesen werden, wenn die Vernommenen in der Zwischenzeit verstorben sind, wenn ihr Aufenthalt unbekannt ist oder ihr persönliches Erscheinen wegen ihres Alters, wegen Krankheit oder Gebrechlichkeit oder wegen entfernten Aufenthalts oder aus anderen erheblichen Gründen füglich nicht bewerkstelligt werden konnte.

Ein entfernter Aufenthalt im Ausland berechtigt aber nicht in jedem Fall zur Verlesung früherer Angaben eines Zeugen. Die Möglichkeit einer gerichtlichen Vernehmung des Zeugen im Rechtshilfeweg kann der Zulässigkeit einer solchen Verlesung nach § 252 Abs 1 Z 1 StPO entgegenstehen (<it>Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 63, 12 Os 102/97, EvBl 1998, 20).

Im vorliegenden Fall indiziert der Umstand, dass dem Zeugen Armin P***** die Ladung zur Hauptverhandlung an seinem Wohnort in Deutschland im Rechtshilfeweg über das Amtsgericht Rotenburg an der Fulda zugestellt werden konnte, die tatsächliche Durchführbarkeit seiner zeugenschaftlichen Vernehmung im Rechtshilfeweg.

Die - ohne Zustimmung der abwesenden Angeklagten vorgenommene - Verlesung seiner im Vorverfahren vor der Polizeiinspektion Neukirchen gemachten Angaben (S 13) in der Hauptverhandlung war daher - wie die Generalprokuratur in ihrer deshalb zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - nach § 252 Abs 1 Z 1 StPO nicht zulässig.

Da die Richterin diese Aussage im Rahmen der Beweiswürdigung erörterte, ihr aber keine die Angeklagte entlastende Beweiskraft zuerkannte, gereicht diese Gesetzesverletzung jener zum Nachteil.

Mit ihrer Berufung war die Angeklagte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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