Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Den Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen rechtskräftigen Teilfreispruch des Angeklagten T***** enthält, wurden Lukas K*****, Raffael J*****, Medhi T*****, Roman H*****, Mario F***** und Matthias R***** jeweils des Vergehens des Landfriedensbruchs nach § 274 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach haben sie am 30. Juni 2007 in K***** wissentlich an einer Zusammenrottung einer Menschenmenge teilgenommen, die darauf abzielte, dass unter ihrem Einfluss Körperverletzungen (§§ 83 f StGB) begangen werden, wobei es zu solchen Gewalttaten gekommen ist, und zwar
1. Lukas K*****, indem er sich gestikulierend gegenüber den Polizeibeamten aufbaute;
2. Raffael J***** dadurch, dass er sich unmittelbar in einer Personengruppe befand, die Tätlichkeiten gegen die Polizeibeamten ausführte;
- 3. Medhi T*****, indem er Gegenstände gegen die Einsatzkräfte warf;
- 4. Roman H*****, indem er sich unmittelbar in einer Personengruppe befand, die Tätlichkeiten gegen die Beamten ausführte;
5. Mario F***** dadurch dass, er sich mit einem schlagbereit aufgewickelten Gürtel in der Hand unmittelbar in einer Personengruppe befand, die Tätlichkeiten gegen die Polizeibeamten ausführte;
6. Matthias R*****, indem er einen Stein gegen die Polizeibeamten warf und sich mit einer Zaunlatte in der Hand in einer Personengruppe befand, die Tätlichkeiten gegen die Polizeibeamten ausführte. Gegen dieses Urteil richten sich Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten, wobei von Lukas K***** die Nichtigkeitsgründe der Z 9 lit a und 11, von Raffael J***** und Medhi T***** jene der Z 4, 5, 5a und 9 lit a und 11, von Roman H***** jene der Z 4, 5 und 5a, von Mario F***** der Nichtigkeitsgrund der Z 5 und von Matthias R***** jener der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO geltend gemacht werden.
Rechtliche Beurteilung
Keinem der Rechtsmittel kommt Berechtigung zu.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Lukas K*****:
Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrunds hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die methodisch fundierte Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099810; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 584).
Der Vorwurf der substanzlosen Verwendung der verba legalia hinsichtlich der inneren Tatseite (Z 9 lit a) übergeht die ausreichenden Sachverhaltsbezug herstellenden Feststellungen zur wissentlichen Tatbegehung (US 16 und 9). Dem Vorbringen der Beschwerde zuwider hat das Erstgericht überdies ausdrücklich konstatiert, dass auch dieser Angeklagte die Tätlichkeiten gegenüber den Polizeibeamten wahrnahm und es ihm möglich gewesen wäre, die Örtlichkeit zu verlassen (US 9).
Die - in ihrer Zielsetzung nicht nachvollziehbare - Sanktionsrüge (Z 11) geht fehl, weil die Tatrichter die Strafzumessungsgründe ausdrücklich unter Bezugnahme auf das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien zum AZ 141 Hv 157/07b angeführt haben. Zur (gemeinsam ausgeführten) Nichtigkeitsbeschwerde des Raffael J***** und des Medhi T*****:
Mit der Mängelrüge wird ein nichtigkeitsbegründender Fehler iSd Z 5 des § 281 Abs 1 StPO nicht aufgezeigt.
Die DVD und Videoaufnahmen über den Polizeieinsatz wurden in der Hauptverhandlung vorgeführt (S 43, 45 in ON 17), sie durften daher bei der Urteilsfällung berücksichtigt werden (§ 258 Abs 1 StPO). Weshalb der Umstand, dass dieses Bildmaterial den Verteidigern nicht bereits vor der Hauptverhandlung zugestellt worden war, eine Verwertung im Urteil hindern sollte, lassen die Beschwerdeführer unbegründet, weshalb der Einwand einer sachbezogenen Erwiderung nicht zugänglich ist. Dasselbe gilt für die unsachliche Anregung, den Gesundheitszustand österreichischer Polizisten zu überprüfen. Die Feststellung der Anzahl von mehr als 100 Personen, die sich zusammenrotteten, hat das Erstgericht deutlich und hinreichend begründet (US 12), während es eine - zur Verwirklichung des Tatbestands auch nicht erforderliche - Verabredung der Anhänger des Fussballclubs Rapid Wien mit jenen des gegnerischen Vereins ohnehin nicht feststellte, sodass insoweit ein formeller Begründungsmangel aus diesem Grund nicht zielführend geltend gemacht werden kann. Im Rahmen der Rechts- und Sanktionsrüge monieren die Angeklagten die Abweisung eines Beweisantrags auf Durchführung eines Lokalaugenscheins (der Sache nach Z 4), der jedoch nach Inhalt des - ungerügt gebliebenen - Protokolls der Hauptverhandlung nicht gestellt wurde, sodass es schon an dieser formellen Voraussetzung zur Geltendmachung des Nichtigkeitsgrunds fehlt. Darüber hinaus wäre dieses Beweismittel gänzlich ungeeignet, das angestrebte Ziel, nämlich die Klärung der Frage, wie viele Rapid- bzw Dinamo Zagreb-Fans anwesend waren und ob es zu gemeinsamen Angriffen gegen die Polizei gekommen ist, zu erreichen. Feststellungen über die Anzahl der an den Angriffen beteiligten Personen finden sich auf US
9.
Welche weiteren Konstatierungen das Erstgericht hätte treffen müssen, legt die Beschwerde nicht dar und wendet sich mit ihrer Kritik, es wäre allein den Aussagen der Polizeibeamten, nicht aber der Verantwortung der Angeklagten gefolgt, augenscheinlich in unzulässiger Weise gegen die Beweiswürdigung.
Zum Nichtigkeitsgrund der Z 11 und den eingangs der Rechtsmittelschrift apostrophierten Gründen der Z 4 und 5a sowie - disloziert im Rahmen der Berufung § 42 StGB aF anstrebend - Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO finden sich keine inhaltlichen Ausführungen, sodass die Beschwerde einen angeblich Nichtigkeit begründenden Umstand insoweit nicht deutlich und bestimmt bezeichnet (§§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Roman H*****:
In der Ablehnung zweier in der Hauptverhandlung vom 17. April 2008 gestellter Beweisanträge erblickt der Beschwerdeführer - zu Unrecht - eine Beeinträchtigung seiner Verteidigungsrechte. Der Verteidiger hat sich dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf „Ladung und Vernehmung der Zeugen Josef T*****, Thomas Sch***** und Alexander R***** über ihre Wahrnehmungen anlässlich der Identifizierung der Angeklagten und der Auswertung des Materials" ebenso angeschlossen wie jenem des Verteidigers Mag. Wilhelm P***** auf „Beischaffung der Polizeiakten, insbesondere über die Identifizierung der Angeklagten laut vorliegendem Videomaterial zum Beweis dafür, dass zumindest der Zweit-, Dritt-, Viert- und der Fünftangeklagte die ihnen zur Last gelegten Taten nicht so begangen haben, wie sich dies aus der Vernehmung des Zeugen H***** ergeben hat".
Eine Begründung, weshalb die beantragten Beweisaufnahmen zu einer für den Angeklagten günstigeren Beweislage hätten beitragen können, unterließ er jedoch, obwohl dies nach Lage des Falls geboten gewesen wäre. In einem Beweisantrag sind nicht nur Beweismittel und Beweisthema konkret zu bezeichnen, sondern ist überdies - soweit dies nicht auf der Hand liegt - anzugeben, aus welchen Gründen erwartet werden kann, dass die Durchführung des begehrten Beweises das vom Antragsteller behauptete Ergebnis erbringen werde und inwieweit dieses für die Schuld- oder Subsumtionsfrage von Bedeutung ist (§ 55 Abs 1 StPO; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 327 ff). Die Anträge laufen sohin auf eine Erkundungsbeweisführung hinaus, durch die erst eruiert werden sollte, ob durch sie eine Aufklärung überhaupt zu erwarten ist; sie konnten somit sanktionslos abgewiesen werden. Die in der Nichtigkeitsbeschwerde nachgetragenen umfänglichen Argumente als Versuch einer Antragsfundierung sind prozessual verspätet und daher unzulässig (RIS-Justiz RS0099117 und RS0099618).
Der Mängelrüge zuwider wurde der Angeklagte H***** nicht allein aufgrund von Lichtbildern als Teilnehmer der Zusammenrottung, sondern auch durch den Zeugen Erwin B***** identifiziert und als Teilnehmer der die Polizei attackierenden Gruppe bezeichnet (ON 17 S 85). Soweit der Beschwerdeführer die Lichtbildbeilagen erörtert und mit eigenen Beweiswerterwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass aus diesen keine ihn belastenden Schlussfolgerungen gezogen werden könnten, wendet er sich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung. Die Urteilsannahme, dass es auch diesem Angeklagten möglich gewesen wäre, den Tatort unbeschadet zu verlassen, haben die Erstrichter mit dem Hinweis auf die Videoaufnahmen und die Angaben der Polizeibeamten logisch und empirisch einwandfrei begründet. Soweit der Beschwerdeführer abermals die aus den Beweismitteln gezogenen Schlussfolgerungen in Frage stellt, wendet er sich neuerlich in einer unzulässigen Weise gegen die Beweiswürdigung.
Die Anzahl der sich an der Zusammenrottung beteiligenden Personen hat das Erstgericht - wie schon ausgeführt - ebenso mängelfrei festgestellt wie die subjektive Tatseite, die es aus dem objektiven Tatgeschehen, insbesondere der Anwesenheit des Angeklagten in der gewalttätigen Menschenmenge ableitete (US 16). Dabei hat es sich auch mit der Verantwortung des Angeklagten auseinandergesetzt, diese jedoch aufgrund der Angaben der Polizeibeamten und des Bildmaterials als widerlegt angesehen (US 12).
Mit der Tatsachenrüge (Z 5a) versucht der Angeklagte unter Erörterung einzelner Beweisergebnisse sowie mit eigenen hypothetischen und beweiswürdigenden Überlegungen die zu seinen Ungunsten gezogenen, einwandfrei begründeten Schlüsse des Erstgerichts in Zweifel zu ziehen. Damit sowie mit erneuter Bezugnahme auf die Lichtbilder sowie unter der spekulativen Annahme, „die Person auf den Bildern ... könne das Geschehen aus Neugier beobachtet haben", gelingt es ihm nicht, erhebliche Bedenken des Obersten Gerichtshofs gegen die Richtigkeit der entscheidenden Feststellungen zu erwecken.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Mario F*****:
Dem Urteil ist, wie bereits erörtert, eindeutig zu entnehmen, dass die Tatrichter von einer aus 100 bis 150 Personen bestehenden Menschenmenge ausgegangen sind (US 9). Dass zunächst 200 bis 300 kroatische Fans aus ihrem Sektor Richtung Hauptausgang stürmten und in der Folge 100 bis 150 Personen an den Attacken teilnahmen, stellt keinen inneren Widerspruch dar, weil diese beiden Annahmen nach den Denkgesetzen durchaus nebeneinander bestehen können. Der Hinweis auf Beweisergebnisse, die allenfalls gegen eine Feststellung sprechen, ist unter dem Aspekt des § 281 Abs 1 Z 5 dritter Fall StPO unbeachtlich (RIS-Justiz RS0117402).
Die Erklärung des Zeugen Joachim H*****, er könne aus seiner Sicht als Einsatzleiter im Stadion nicht ausschließen, dass die Angriffe nur von kroatischen Fans verübt wurden, bedurfte keiner gesonderten Erörterung, weil der Zeuge mit der Identifizierung der Verdächtigen nicht befasst war (ON 30 S 19).
Ob die Anzahl der Angreifer während der Ausschreitungen konstant blieb oder nicht, betrifft keine für die Lösung der Schuld- oder Subsumtionsfrage entscheidende Tatsache.
Der Einwand, das Erstgericht habe die Aussage des Zeugen H***** unberücksichtigt gelassen, wonach an den Ausschreitungen nur etwa 40 Personen teilgenommen hätten, stellt nur auf eine isoliert aus dem Zusammenhang gelöste Erklärung ab, die sich auf einen Teilbereich des Gesamtgeschehens bezieht (ON 30 S 29, 31), übergeht aber seinerseits dessen Angaben, wonach (insgesamt) 100 bis 150 Personen den Polizisten gegenüberstanden (ON 30 S 27), die in unterschiedlicher Beteiligung wellenförmig angriffen. Die weiteren Aussagen dieses Zeugen über die fehlende Schulung für die Schätzung von Personenzahlen sowie darüber, dass die gegenständliche Ausschreitung die „ersten einer solchen Qualität für ihn" und die Situation für alle Beamten belastend gewesen wäre, betreffen keine entscheidenden oder erheblichen Tatsachen, weswegen für das Erstgericht kein Anlass bestand, sich damit im Einzelnen auseinanderzusetzen (Z 5 zweiter Fall).
Soweit der Beschwerdeführer unter Hinweis auf diese Umstände die Glaubwürdigkeit der vernommenen Beamten in Zweifel zu ziehen versucht, wendet er sich erneut in unzulässiger Weise gegen die Beweiswürdigung.
Auch der Vorwurf der Aktenwidrigkeit (Z 5 letzter Fall) trifft nicht zu. Eine unrichtige oder unvollständige Wiedergabe des Inhalts der Videoaufzeichnungen wird nicht einmal behauptet. Dass auch andere Schlüsse statt jener der Tatrichter möglich gewesen wären, stellt sich erneut als Kritik an der Beweiswürdigung dar (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 467 f).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Matthias R*****:
Der Rechtsmittelwerber moniert in seiner Rechtsrüge - gleichlautend wie der Angeklagte K***** - Feststellungen zur subjektiven Tatseite und zu der Möglichkeit, die Menschenmenge zu verlassen. Für dieses Vorbringen gelten die diesbezüglichen Ausführungen zur Nichtigkeitsbeschwerde des Erstangeklagten, auf welche der Beschwerdeführer verwiesen wird.
Die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten waren daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Graz zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden folgt (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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