OGH 15Os76/08b

OGH15Os76/08b21.8.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. August 2008 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé, Mag. Lendl und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Harammer als Schriftführer in der Strafsache gegen Walter E***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 13. Dezember 2007, GZ 20 Hv 145/07m-24, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Walter E***** der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (1.) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (2.) schuldig erkannt.

Danach hat er von Jänner 2007 bis 11. Juni 2007 in Graz

1) wiederholt an der am 4. Mai 1996 geborenen, mithin unmündigen Johanna P***** außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen vorgenommen, indem er sie an der Scheide betastete,

2) durch die zu Punkt 1) angeführten Tathandlungen mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung als Nachmittagsbetreuer gegenüber dieser Person eine geschlechtliche Handlung vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Schuldspruch richtet sich die auf Z 3 und 4 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie verfehlt ihr Ziel.

Aus Z 3 wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Unterlassung der Verlesung des im Vorverfahren zum Vorliegen von Konfabulationstendenzen des Opfers eingeholten psychologischen Sachverständigengutachtens (ON 11), weil ihm dadurch eine Widerlegung des Gutachtens unmöglich gemacht worden sei. Die Argumentation, das schriftliche Gutachten sei ein „Schriftstück anderer Art, das für die Sache von Bedeutung ist" im Sinne des § 252 Abs 2 StPO, welches im Fall fehlender mündlicher Gutachtenserstattung bzw Erörterung in der Hauptverhandlung verlesen werden müsse, verkennt jedoch, dass die Missachtung des Vorlesungsgebots des § 252 Abs 2 StPO nicht unter Nichtigkeitsanktion steht und auch vom Umgehungsverbot des Abs 4 leg cit nicht umfasst wird (vgl Kirchbacher, WK-StPO 252 Rz 129 ff). Im Übrigen erfolgte die Unterlassung der Verlesung des Gutachtens zu Recht, weil unter Urkunden und Schriftstücken im Sinne der angesprochenen Gesetzesstelle nur außerhalb der Sphäre des Zeugenbeweises und Sachverständigengutachtens gelegene Beweismittel zu verstehen sind (RIS-Justiz RS0106250; zur Verlesungspflicht hinsichtlich des Befundes vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 228). Eine Beeinträchtigung des Unmittelbarkeitsprinzips ist - der Beschwerde zuwider - damit gerade nicht verbunden, weil dieses „Beweismittel" - zufolge Unterlassung der Verlesung - in der Hauptverhandlung nicht vorgekommen ist und folgerichtig auch im Urteil nicht berücksichtigt wurde (§ 258 Abs 1 StPO). Durch die Abweisung mehrerer, in der Hauptverhandlung vom 13. Dezember 2007 (S 252 f) gestellter Beweisanträge wurden - entgegen dem Beschwerdevorbringen (Z 4) - Verteidigungsrechte nicht verletzt. Der Antrag auf zeugenschaftliche Vernehmung der die Ersteinvernahme des Opfers durchführenden Polizeibeamtin Mag. Andrea Er***** zum Beweis dafür, „dass Johanna in dieser Erstbefragung von den später behaupteten Bussis keine Angaben gemacht hat", weshalb diese Depositionen „widersprüchlich zu ihren späteren Angaben" seien, legt nicht dar, wieso aus den verschieden umfangreichen Beschreibungen des Verhaltens des Angeklagten in der in Umfang und Zielsetzung nicht vergleichbaren, kurzen Erstbefragung des Opfers zu den strafrechtlich relevanten Umständen (S 27) einerseits und anlässlich der auch auf das strafrechtlich nicht relevante Umfeld der inkriminierten Tathandlungen eingehenden kontradiktorischen Vernehmung andererseits (S 103 ff) ein widersprüchliches Aussageverhalten des Opfers abzuleiten wäre.

Bei Abweisung des Antrages auf Vernehmung der Schuldirektorin Barbara K***** zum Beweis dafür, „dass auch hier die Angaben der Johanna widersprüchlich zu ihren späteren Angaben getätigt wurden", verwiesen die Tatrichter zutreffend auf den Umstand, dass Aussagen des Mädchens gegenüber der Direktorin nicht aktenkundig sind (vgl S 255). Die ergänzende Argumentation, „dass zugleich danach das Telefonat der Religionslehrerin mit der Direktorin erfolgte" vermag die Notwendigkeit der begehrten Zeugeneinvernahme ebenfalls nicht zu begründen.

Der Antrag auf Vernehmung der Theresia El*****, einer Freundin des Opfers, zum Beweis dafür, dass der Angeklagte dieses Mädchen entgegen der Angaben der Johanna P***** nie unsittlich berührt hätte, bezieht sich auf ein behauptetes Verhalten des Angeklagten gegenüber der Genannten, das keinen Gegenstand dieses Strafverfahrens bildet. Zudem legt der Antrag nicht dar, weshalb die Frage, ob Theresia El***** ihrer Freundin von einem - strafrechtlich nicht relevanten (S 65: „an den Schultern gestreichelt") - Verhalten des Beschwerdeführers berichtet habe, für die Lösung der Schuldfrage im vorliegenden Fall von Belang sei.

Der Beschwerdekritik am Unterbleiben der mündlichen Erörterung des psychologischen Sachverständigengutachtens Dris. W*****, die sich im Zeitpunkt der Hauptverhandlung „auf vorerst unbestimmte Zeit bei ‚Ärzte ohne Grenzen' irgendwo" (S 252 in ON 23) aufhielt, und an der nicht erfolgten Einholung eines (weiteren) Gutachtens aus dem Fachgebiet der Kinderpsychologie ist vorweg zu entgegnen, dass letzteres nicht beantragt wurde.

Darüber hinaus war die Einholung eines (weiteren) Gutachtens bzw die Erörterung des im Vorverfahren eingeholten im vorliegenden Fall jedenfalls entbehrlich, denn die Glaubwürdigkeit von Zeugen hat das Gericht grundsätzlich selbst zu beurteilen (RIS-Justiz RS0098297). Nur in Ausnahmefällen, etwa bei Vorliegen von Indizien für Entwicklungsstörungen oder geistige Defekte unmündiger Zeugen, kommt die Hilfestellung durch einen Sachverständigen in Betracht (RIS-Justiz RS0120634; Lendl, WK-StPO § 258 Rz 23). Eine solcher Sachverhalt wurde vom Beschwerdeführer im Rahmen der Antragstellung aber nicht behauptet. Die Tatrichter verwiesen in diesem Zusammenhang aktenkonform auf das Fehlen von Hinweisen für Konfabulationstendenzen (S 256).

Nicht zuletzt ist der unsubstantiiert Unschlüssigkeit und Widersprüchlichkeit des Gutachtens behauptende Beweisantrag nicht ausreichend begründet, zumal der ins Treffen geführte, auf S 18 des Gutachtens (S 173 in ON 11) aufscheinende Hinweis auf den nicht existierenden „Punkt 4.1" der Expertise zwanglos mit einem Schreibfehler erklärbar ist, da sich die Darlegungen zur „Aussagefähigkeit und Aussagetüchtigkeit", auf die in diesem Zusammenhang verwiesen wird, unter „Punkt 3.3.1" des Gutachtens finden (S 177 in ON 11).

Soweit in der Beschwerde Erwägungen zur Notwendigkeit der begehrten Beweisaufnahmen nachgetragen werden, hat dieses Vorbringen außer Betracht zu bleiben, da bei Prüfung der Berechtigung eines Antrages stets von der Verfahrenslage im Zeitpunkt seiner Stellung und den dabei vorgebrachten Gründen auszugehen ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 325).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Graz für die Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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