OGH 13Os62/08d

OGH13Os62/08d11.6.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Juni 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Just als Schriftführerin in der Strafsache gegen Wolfgang R***** und eine andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB, AZ 40 Hv 98/04x des Landesgerichts Wr. Neustadt, über die von der Generalprokuratur gegen die Übermittlung einer Urteilsausfertigung an die G***** AG erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, und der Masseverwalterin im Konkurs über das Vermögen der Verurteilten Irene H*****, jedoch in Abwesenheit der Verurteilten Irene H***** und deren Verteidigers Mag. Tomanek zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Mit (nunmehr rechtskräftigem) Urteil des Landesgerichts Wr. Neustadt vom 1. Juli 2005 wurde (ua) Irene H***** des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB schuldig erkannt (ON 24).

Am 20. Mai 2005 war bei der Staatsanwaltschaft Wr. Neustadt ein Schreiben der G***** AG eingelangt, in dem - mit der Begründung, die Verurteilte sei eine Mitarbeiterin dieses Versicherungsunternehmens - um die Zustellung einer Urteilsausfertigung ersucht worden war. Aufgrund einer Anordnung der Geschäftsabteilung 40 des Landesgerichts Wr. Neustadt vom 21. September 2005 wurde diesem Ersuchen entsprochen.

Die Generalprokuratur erachtet das Gesetz aus folgenden Erwägungen als verletzt:

Die Akteneinsicht nach rechtskräftiger Beendigung des Strafverfahrens hatte sich fallaktuell (noch) an der Regelung des § 82 StPO aF auszurichten (Fabrizy StPO9 § 82 Rz 1; RIS-Justiz RS0096779). Nach dieser Bestimmung ist für die Gewährung von Einsicht in Strafakten bzw die Bewilligung von Ausfolgung von Abschriften aus solchen das Gericht zuständig, das aufgrund des ihm eingeräumten Ermessens (welches sich an den Umständen des Einzelfalles zu orientieren hat) entscheidet; dabei handelt es sich um einen Akt der Rechtsprechung (Fabrizy aaO Rz 2; vgl auch Mayerhofer StPO5 § 82 E 1).

Nach § 8 Abs 1 StPO aF iVm §§ 10 Z 2 und 13 Abs 1 und 2 StPO aF war fallbezogen der Einzelrichter des Landesgerichtes Wr. Neustadt zur Gerichtsbarkeit in Strafsachen berufen. Daraus erhellt, dass allein dieser und nicht eine andere Gerichtsperson zur Entscheidung der Frage, ob Akteneinsicht gewährt wird, befugt ist.

Da in casu aber ein nichtrichterlicher Gerichtsbediensteter die Übersendung einer Urteilsausfertigung an die G***** AG veranlasste, wurde das Gesetz in der Bestimmung des § 82 StPO aF verletzt.

Solche Eigenmächtigkeiten von Gerichtsbediensteten unterliegen als gesetzwidrige Vorgänge eines Strafgerichts dem Anwendungsbereich der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (siehe die Gesetzesverletzung Pkt. 3./ in der Entscheidung 15 Os 126/06b).

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 23 Abs 1 StPO kann die Generalprokuratur gegen Urteile der Strafgerichte, die auf einer Verletzung oder unrichtigen Anwendung des Gesetzes beruhen, sowie gegen jeden gesetzwidrigen Beschluss oder Vorgang eines Strafgerichts Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes erheben.

Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Ergreifung dieses Rechtsbehelfs ist somit das Vorliegen eines von einem strafgerichtlichen Organwalter veranlassten Vorgangs. Tätigkeiten der Verwaltung hingegen scheiden von vornherein aus dem Anwendungsbereich der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes aus (zum Ganzen: Ratz, WK-StPO § 292 Rz 2, 7; Schroll, WK-StPO § 33 aF Rz 16).

Entgegen der Ansicht der Generalprokuratur ist dem Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs vom 22. Jänner 2007, AZ 15 Os 126/06b, 127/06z, keineswegs Gegenteiliges zu entnehmen. Diesem lag nämlich - soweit hier von Interesse - eine hinreichend deutlich auf Verletzung richterlicher Protokollierungs- und Belehrungspflichten bezogene Beschwerdeführung zugrunde, die zur Feststellung eben dieser führte.

Da hingegen in der aktuellen Beschwerde rechtwidriges Handeln oder Unterlassen eines richterlichen Organwalters nicht behauptet wurde, war sie zu verwerfen.

Stichworte