OGH 10ObS35/08g

OGH10ObS35/08g10.6.2008

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Maggale (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei El-Sayad S*****, ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Dr. Thomas Krankl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. Jänner 2008, GZ 7 Rs 5/08v-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 5. September 2007, GZ 24 Cgs 75/07f-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 15. 9. 1957 geborene Kläger hat im Jahr 1992 eine Ausbildung zum Heilbademeister und Heilmasseur nach der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Sanitätshilfsdienste, BGBl 1961/216 idF der VO BGBl 1975/407, erfolgreich absolviert und innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (1. 1. 2007) ausschließlich als Heilbademeister und Heilmasseur gearbeitet.

Er ist auch unter Berücksichtigung seiner näher festgestellten Leidenszustände noch in der Lage, leichte Arbeiten im Sitzen, Stehen und Gehen in der üblichen Arbeitszeit und mit den üblichen Pausen zu verrichten. Es bestehen keine Einschränkungen bezüglich der Anmarschwege. Arbeiten in ständiger Nässe und Kälte, unter ständigem besonderen Zeitdruck und an höhenexponierten Stellen sind auszuschließen. Bei kalkülsgerechter Tätigkeit sind Krankenstände im Ausmaß von vier bis fünf Wochen pro Jahr zu erwarten.

Aufgrund dieses Leistungskalküls ist der Kläger nicht mehr in der Lage, die Tätigkeit eines Heilbademeisters und Heilmasseurs auszuüben. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könnte er noch die Tätigkeiten eines Portiers in Bürohäusern, als Kassenkraft in Selbstbedienungstankstellen oder eines Verpackers verrichten.

Mit Bescheid vom 14. 2. 2007 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Invaliditätspension ab.

Das Erstgericht wies die vom Kläger dagegen erhobene und auf die Gewährung der Invaliditätspension ab 1. 1. 2007 gerichtete Klage ab. Der Kläger habe lediglich eine theoretische und praktische Ausbildung im Ausmaß von insgesamt 210 Stunden absolviert. Auch wenn er gemäß § 80 des Medizinischen Masseur- und Heilmasseurgesetzes - MMHmG, BGBl I 2002/169, zur Ausübung des Berufs des Medizinischen Masseurs und zur Führung der Berufsbezeichnung „Medizinischer Masseur" berechtigt sei, genieße er keinen Berufsschutz im Sinne des § 255 Abs 1 und 2 ASVG, weil selbst die im MMHmG nunmehr vorgesehene Ausbildung zum Medizinischen Masseur eine theoretische und praktische Ausbildung in der Dauer von insgesamt lediglich 1.690 Stunden umfasse und daher ein einem Lehrberuf vergleichbares Ausbildungsniveau nicht erreiche. Der Kläger müsse sich daher auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisen lassen und sei daher nicht invalid im Sinn des § 255 Abs 3 ASVG.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge und schloss sich im Wesentlichen der Rechtsansicht des Erstgerichts an. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung nicht zulässig sei, weil bereits eine gefestigte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vorliege, unter welchen Umständen die sogenannten Sanitätshilfsdienste ausnahmsweise als erlernte Tätigkeit im Sinn des § 255 Abs 1 ASVG anzusehen seien.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Frage, ob Heilmasseuren nach Inkrafttreten des Medizinischen Masseur- und Heilmasseurgesetzes, BGBl I 2002/169, Berufsschutz nach § 255 ASVG zukommt, noch nicht vorliegt. Sie ist aber nicht berechtigt.

Das Krankenpflegegesetz 1961 - MTF-SHD-G, BGBl 1961/102, unterscheidet den Krankenpflegefachdienst, die medizinisch-technischen Dienste und die Sanitätshilfsdienste. Während die beiden erstgenannten Dienste eine umfangreiche theoretische und praktische Ausbildung voraussetzten, wurden die Kenntnisse für die Sanitätshilfsdienste im Allgemeinen durch relativ kurze Kurse erworben, die weit unter dem Maß lagen, die allgemein nach den Ausbildungsvorschriften für Lehrberufe gefordert werden. So hatte die Ausbildung für Heilbademeister mindestens 70 Stunden, für Heilmasseure mindestens 130 und höchstens 210 Unterrichtsstunden zu umfassen. Daraus folgerte der Oberste Gerichtshof, dass es sich bei der - auch vom Kläger ausgeübten - Tätigkeit eines „Heilbademeisters und Heilmasseurs" nach dem Krankenpflegegesetz 1961, BGBl 1961/102, weder um einen erlernten noch einen angelernten Beruf im Sinn des § 255 Abs 1 und 2 ASVG handle, weil ein 130 bis 210 Stunden umfassender Kurs weit unter dem Maß liege, das allgemein nach den Ausbildungsvorschriften für einen Lehrberuf gefordert werde. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn der Versicherte im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit Fortbildungskurse besuche (SSV-NF 2/71; vgl auch SSV-NF 7/49 mwN). Der Kläger genießt daher aufgrund seiner Ausbildung nach der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die Sanitätshilfsdienste, BGBl 1961/216 idF der VO BGBl 1975/407, keinen Berufsschutz im Sinn des § 255 Abs 1 und 2 ASVG.

Die Richtigkeit dieser Rechtsansicht wird auch vom Kläger nicht in Zweifel gezogen. Er meint allerdings, dass ihm nunmehr aufgrund der Bestimmungen des Medizinischen Masseur- und Heilmasseurgesetzes - MMHmG, BGBl I 2002/169, ein Berufsschutz zukomme.

Mit dem am 1. 4. 2003 in Kraft getretenen MMHmG wurde die Tätigkeit eines Heilmasseurs, welche bisher im Krankenpflegegesetz 1961 normiert und ursprünglich ein den Sanitätshilfsdiensten zugeordneter Beruf war, in einem eigenen Bundesgesetz geregelt. Dieses Gesetz regelt die Berufe und die Ausbildungen des medizinischen Masseurs und des Heilmasseurs. Der Beruf des medizinischen Masseurs umfasst die Durchführung von klassischer Massage, Packungsanwendungen, Thermotherapie, Ultraschalltherapie und Spezialmassagen zu Heilzwecken nach ärztlicher Anordnung unter Anleitung und Aufsicht eines Arztes oder eines Angehörigen des physiotherapeutischen Dienstes (§ 5 Abs 1 MMHmG). Die Ausbildung zum medizinischen Masseur umfasst einen theoretischen Unterricht einschließlich praktischer Übungen in der Dauer von insgesamt 815 Stunden sowie eine praktische Ausbildung in der Dauer von 875 Stunden, somit insgesamt 1690 Stunden (§ 17 Abs 1 MMHmG). Die Ausbildung zum Heilmasseur besteht aus einem „Aufschulungsmodul", das insgesamt 800 Stunden umfasst (§ 52 Abs 1 MMHmG). Voraussetzung für die Aufnahme zur Ausbildung zum Heilmasseur ist die Berechtigung zur Ausübung des Berufs des medizinischen Masseurs (§ 50 Abs 1 MMHmG). Nach der Übergangsbestimmung des § 80 Abs 1 MMHmG sind Personen, die - wie der Kläger - zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes eine Berufsberechtigung als „Heilbademeister und Heilmasseur" gemäß dem MTF-SHD-G, BGBl Nr 102/1961, besitzen, zur Ausübung des Berufs des medizinischen Masseurs und zur Führung der Berufsbezeichnung „Medizinischer Masseur" berechtigt. Nach § 80 Abs 2 MMHmG sind Personen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes eine Berufsberechtigung als „Heilbademeister und Heilmasseur" gemäß MTF-SHD-G besitzen, zur Ausübung der Spezialqualifikation der Hydro- und Balneotherapie und zur Führung der Zusatzbezeichnung „Medizinischer Bademeister" in Klammer berechtigt.

Auch unter Berücksichtigung dieser soeben zitierten Übergangsbestimmung des § 80 Abs 1 MMHmG, mit der bisher tätige Heilbademeister und Heilmasseure in das Berufsbild des medizinischen Masseurs übergeführt wurden, kommt dem Kläger nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts schon deshalb kein Berufsschutz nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG zu, weil auch eine theoretische und praktische Ausbildung in der Dauer von insgesamt 1.690 Stunden noch deutlich unter dem Maß liegt, das allgemein nach den Ausbildungsvorschriften für einen Lehrberuf gefordert wird (vgl insb SSV-NF 19/35; 14/61 zum Beruf Pflegehelfer). Entgegen der Ansicht des Klägers kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, dass der Gesetzgeber im MMHmG „die Berufe des medizinischen Masseurs und Heilmasseurs" mit der bereits erwähnten Ausbildungsdauer geregelt hat, sondern es ist allein entscheidungswesentlich, ob der Kläger im Bereich des Pensionsversicherungsrechts eine Qualifikation erworben hat, die einen Berufsschutz im Sinn des § 255 Abs 1 und 2 ASVG bewirkt. Auch aus der Bestimmung des § 10 MMHmG über die Anerkennung einer in einem EWR-Vertragsstaat von einem EWR-Staatsangehörigen erfolgreich absolvierten Ausbildung lässt sich für den Prozessstandpunkt des Klägers nichts gewinnen, weil der Kläger eine solche Ausbildung nicht absolviert hat. Auch daraus, dass seine Tätigkeit mit besonderer Verantwortung verbunden war und deshalb auch eine Fortbildungsverpflichtung bestand, ist für den Kläger nichts gewonnen. Auch wenn ein Beruf mit hoher Verantwortung verbunden ist, ist er nicht als angelernter Beruf im Sinn des § 255 Abs 2 ASVG qualifiziert, wenn die für seine Ausübung erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten - wie im vorliegenden Fall - nicht an einen Lehrberuf heranreichen (SSV-NF 7/49 ua).

Die Vorinstanzen sind daher zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Kläger Berufsschutz nicht zukommt. Die Invalidität des Klägers ist daher nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen, so dass er sich auf die vom Erstgericht genannten Verweisungstätigkeiten verweisen lassen muss, weil sein Leistungskalkül den darin gestellten Anforderungen genügt. Der Revision musste daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und sind aus der Aktenlage nicht ersichtlich.

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