OGH 5Ob26/08x

OGH5Ob26/08x3.6.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen/Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Grohmann und Dr. Roch als weitere Richter in der Grundbuchssache der Antragsteller 1. Karin E*****, 2. Franz E*****, beide vertreten durch Dr. Michael Seifner, öffentlicher Notar in Mattersburg, wegen Einverleibung der Löschung eines Vor- und Wiederkaufsrechts ob der Liegenschaft EZ ***** GB *****, über den ordentlichen Revisionsrekurs der Antragsteller gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 23. Oktober 2007, AZ 18 R 185/07w, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Ebreichsdorf vom 28. August 2007, TZ 2089/07, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem ordentlichen Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Antragsteller sind jeweils Hälfteeigentümer der Liegenschaft EZ ***** GB 04101 *****.

Ob dieser Liegenschaft ist sub C-LNR 1a das Vor- und Wiederkaufsrecht für die Marktgemeinde S***** einverleibt.

Die Antragsteller begehrten aufgrund der Löschungserklärung vom 22. 1. 2007 und der Zeichnungsbestätigung der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 3. 7. 2007 die Einverleibung der Löschung des ob ihrer Liegenschaft sub C-LNR 1a einverleibten Vor- und Wiederkaufsrechts. Die Löschungserklärung vom 22. 1. 2007 hat folgenden, wesentlichen Wortlaut:

„Die Marktgemeinde S*****, erteilt unter gleichzeitigem Verzicht auf alle sich zu ihren Gunsten ergebenden Rechte und Pflichten ihre ausdrückliche Einwilligung, dass ohne ihr weiteres Wissen, jedoch nicht auf ihre Kosten, auf der genannten Liegenschaft die Einverleibung der Löschung des zu ihren Gunsten einverleibten Vorkaufs- und Wiederkaufsrechtes vorgenommen werden kann."

Die Löschungserklärung ist (nur) vom Bürgermeister der Marktgemeinde S***** (notariell beglaubigt) unterfertigt und mit dem Gemeindesiegel versehen.

Das Erstgericht wies das Grundbuchsgesuch ab. Gemäß § 55 niederösterreichische Gemeindeordnung (nö GemO) seien Urkunden vom Bürgermeister und einem Mitglied des Gemeindevorstands zu fertigen und mit dem Gemeindesiegel zu versehen. Betreffe die Urkunde eine Angelegenheit, zu welcher der Beschluss des Gemeinderats erforderlich sei, so sei in der Urkunde auch diese Genehmigung ersichtlich zu machen, und zwar durch Mitfertigung zweier Mitglieder des Gemeinderats. Da die Löschungserklärung nur vom Bürgermeister alleine unterfertigt worden sei, somit die weiteren Unterschriften fehlten, sei das Gesuch abzuweisen gewesen.

Das Rekursgericht gab dem gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs der Antragsteller nicht Folge. Den Antragstellern sei darin beizupflichten, dass die vorliegende Löschungserklärung nicht zu den in § 35 nö GemO taxativ aufgezählten Zuständigkeiten des Gemeinderats gehöre, weshalb § 55 Abs 2 nö GemO nicht zur Anwendung komme. Entgegen der Ansicht der Antragsteller stelle die Löschungserklärung allerdings eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung und damit ein Rechtsgeschäft dar, mit der die Zustimmung zur Aufhebung des Vor- und Wiederkaufsrechts zum Ausdruck gebracht werde. § 55 Abs 1 nö GemO sehe die Fertigung durch den Bürgermeister und ein Mitglied des Gemeindevorstands sowie die Anbringung des Gemeindesiegels für Urkunden über Rechtsgeschäfte vor, bei denen eine Ausfertigung „von den Vertragsteilen" unterschrieben werde. Die Konstellation, dass eine Urkunde über ein Rechtsgeschäft nur seitens der Gemeinde, nicht aber vom anderen Vertragspartner unterzeichnet werde, sei in § 55 Abs 1 nö GemO offenkundig nicht bedacht worden. Die Kollektivzeichnung solle eine gewisse Richtigkeitsgewähr dafür bieten, dass der Urkunde tatsächlich eine Beschlussfassung des Gemeinderats zugrunde gelegen sei. Dieser Zweck gelte auch bei Urkunden, bei denen eine schriftliche Ausfertigung nur seitens der Gemeinde unterzeichnet werde. Es sei daher auch für die vorliegende Löschungserklärung neben der Unterfertigung durch den Bürgermeister auch jene durch ein Mitglied des Gemeindevorstands und die Anbringung des Gemeindesiegels zu fordern.

Das Rekursgericht sprach aus, der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, welche urkundlichen Voraussetzungen eine von einer (nö) Gemeinde abgegebene Erklärung erfüllen müsse, mit der die Einwilligung zur Löschung eines Vor- und Wiederkaufsrechts erteilt werde. Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs der Antragsteller mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Bewilligung des Einverleibungsgesuchs. Es sei nicht nachvollziehbar, warum das Rekursgericht in der Löschungserklärung eine „empfangsbedürftige" Willenserklärung erkenne. Die Löschungserklärung verfolge bloß den Zweck einer Nachricht über Tatsachen und ändere daher die Rechtslage nicht. Die Gemeinde sei inzwischen nicht mehr berechtigt, das Vor- und Wiederkaufsrecht auszuüben, weil die diesen Rechten zugrunde gelegenen Verpflichtungen bereits gegenstandslos geworden seien. Vorliegend sei daher die Löschungserklärung funktionell mit einer Quittung im Sinn des § 1426 ABGB vergleichbar und stelle keine Willens-, sondern (nur) eine Wissenserklärung dar, dass das seinerzeit eingeräumte Vor- bzw Wiederkaufsrecht bereits gegenstandslos geworden und löschungsreif sei. Eine solche Urkunde bedürfe nicht einmal der Angabe eines Rechtsgrunds. Mangels Rechtsgeschäftseigenschaft der Löschungserklärung müsse diese als „übrige Urkunde" nur vom Bürgermeister unterfertigt werden. Auch der vom Rekursgericht angesprochene Schutzzweck erfordere keine ausdehnende Auslegung des § 55 Abs 1 nö GemO, weil Gefahren für die Gemeinde typischerweise nur von Rechtsgeschäften ausgingen, bei denen die schriftliche Ausfertigung von beiden Vertragsteilen unterschrieben werden müsse.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

1. § 35 nö GemO zählt bestimmte Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde auf, die dem Gemeinderat vorbehalten sind. Dazu gehören nach § 35 Z 22 nö GemO bestimmte Angelegenheiten der Vermögenswirtschaft, ua der Erwerb, die Veräußerung, die Verpfändung oder sonstige Belastung von unbeweglichem Vermögen (lit a). Gemäß § 38 Abs 1 nö GemO obliegen im eigenen Wirkungsbereich dem Bürgermeister ua die laufende Verwaltung, insbesondere hinsichtlich des Gemeindevermögens, jedenfalls Ersatzanschaffungen zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebs, wobei die Gebote der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu beachten sind (Z 3).

Nach § 55 Abs 1 nö GemO sind Urkunden über Rechtsgeschäfte, bei denen eine schriftliche Ausfertigung von den Vertragsteilen unterschrieben wird, soweit es sich nicht um Angelegenheiten gemäß § 38 Abs 1 Z 3 nö GemO handelt, zu ihrer Rechtsverbindlichkeit vom Bürgermeister und einem Mitglied des Gemeindevorstands (Stadtrats) zu fertigen und mit dem Gemeindesiegel zu versehen. Betrifft die Urkunde dagegen eine Angelegenheit, zu welcher ein Beschluss des Gemeinderats oder die Genehmigung der Aufsichtsbehörde erforderlich ist, so ist gemäß § 55 Abs 2 nö GemO in der Urkunde überdies diese Genehmigung ersichtlich zu machen, und zwar im ersten Fall durch Mitfertigung zweier Mitglieder des Gemeinderats, im zweiten Fall auch durch amtliche Fertigung der Aufsichtsbehörde. Alle übrigen Urkunden und anderen Schriftstücke sind nach § 55 Abs 3 nö GemO unbeschadet der Bestimmungen des § 42 Abs 4 nö GemO vom Bürgermeister zu unterfertigen.

2. Rechtsgeschäfte bestehen aus Willenserklärungen, die auf die Herbeiführung von Rechtsfolgen gerichtet sind (Bollenberger in KBB², § 859 ABGB Rz 8 mwN). Einseitige Rechtsgeschäfte bestehen aus nur einer Willenserklärung, zwei- oder mehrseitige Rechtsgeschäfte (Verträge) setzen zwei oder mehrere übereinstimmende Willenserklärungen voraus (Bollenberger in KBB², § 859 ABGB Rz 13 mwN). Im Gegensatz zur Willenserklärung ist die Wissenserklärung (Vorstellungsmitteilung) eine bloße Nachricht über Tatsachen und ändert daher die Rechtslage nicht (Bollenberger in KBB², § 859 ABGB Rz 10 mwN).

3. Die Antragsteller berufen sich in ihrem Revisionsrekurs zunächst darauf, es sei die Gemeinde inzwischen nicht mehr berechtigt, das Vor- und Wiederkaufsrecht auszuüben, weil die diesen Rechten zugrunde gelegenen Verpflichtungen bereits gegenstandslos geworden seien. Die Antragsteller leiten daraus ab, die Löschungserklärung sei hier funktionell mit einer Quittung vergleichbar und stelle keine Willens-, sondern (nur) eine Wissenserklärung dar.

Diese Argumentation der Antragsteller trägt aber schon deshalb nicht, weil sie aufgrund der die Eintragungsgrundlage bildenden Löschungserklärung vom 22. 1. 2007 nicht nachvollzogen werden kann. Dort erteilt die Marktgemeinde S***** „unter gleichzeitigem Verzicht auf alle sich zu ihren Gunsten ergebenden Rechte und Pflichten ihre ausdrückliche Einwilligung, .... dass .... die Einverleibung der Löschung des zu ihren Gunsten einverleibten Vorkaufs- und Wiederkaufsrechtes vorgenommen werden kann". Die Löschungserklärung vom 22. 1. 2007 enthält also nach ihrem eindeutigen Wortlaut einen Rechtsverzicht der Marktgemeinde S*****.

4. Der Verzicht (Entsagung; § 1444 ABGB) führt zum Erlöschen verzichtbarer Rechte (Dullinger in Rummel³, § 1444 ABGB Rz 1; Heidinger in Schwimann³, § 1444 ABGB Rz 1). Er erfolgt nach überwiegender Rechtsprechung und einem Teil der Lehre durch Vertrag (Vertragstheorie; Dullinger in Rummel³, § 1444 ABGB Rz 3; Griss in KBB², § 1444 ABGB Rz 2; Heidinger in Schwimann³, § 1444 ABGB Rz 3 jeweils mwN) und stellt daher ein Rechtsgeschäft dar, sodass insoweit § 55 Abs 1 nö GemO einschlägig ist.

5. Nach den in Frage kommenden (Schutz-)Zwecken dieser Regelung (Rechtssicherheit und Schutz für die Gemeinde bzw für die Vertragspartner und/oder Beweissicherung; vgl dazu näher Wilhelm, Die Vertretung der Gebietskörperschaften im Privatrecht, 146 ff; Thunhart, Rechtsgeschäftliche Vertretungsregeln im Gemeinderecht, 94

ff) kann nur der Charakter als „Rechtsgeschäft" den entscheidenden Unterschied begründen zwischen den Zeichnungsanforderungen des § 55 Abs 1 nö GemO und jenen für „übrige Urkunden und andere Schriftstücke" im Sinn der Auffangregelung des § 55 Abs 3 nö GemO. Dass die maßgeblichen Willenserklärungen nicht in ein und derselben schriftlichen Urkunde (Ausfertigung) enthalten sind, kann dagegen nach den bezeichneten (Schutz-)Zwecken dieser Regelung keinen Unterschied machen, hängt doch davon Risikoträchtigkeit und wirtschaftliche Bedeutung des betreffenden Rechtsgeschäfts nicht entscheidend ab.

Zusammengefasst folgt daher:

Für die Anwendung der Zeichnungsvorschriften des § 55 Abs 1 nö GemO ist in Abgrenzung zu § 55 Abs 3 nö GemO der Rechtsgeschäftscharakter der von der Gemeinde abgegebenen Erklärung, nicht aber der Umstand entscheidend, dass die dafür maßgeblichen Erklärungen in einer (einzigen) von beiden (allen) Vertragsparteien zu unterschreibenden Ausfertigung enthalten sind.

Da hier die Löschungserklärung vom 22. 1. 2007 nach ihrem eindeutigen Wortlaut einen Rechtsverzicht und damit eine rechtsgeschäftliche Erklärung der Marktgemeinde S***** enthält, war den Zeichungsvorschriften des § 55 Abs 1 nö GemO zu entsprechen. Die Löschungserklärung bedurfte daher auch der Unterfertigung durch ein Mitglied des Gemeindevorstands; deren Fehlen muss zur Gesuchsabweisung führen.

Dem Revisionsrekurs muss daher ein Erfolg versagt bleiben.

Stichworte