OGH 13Os157/07y

OGH13Os157/07y23.4.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. April 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart des Richteramtsanwärter MMag. Klaus als Schriftführer in der Strafsache gegen Heimo R***** wegen Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBI 1974/60 über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 4. September 2007, GZ 22 Hv 102/07b-19, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auch einen Teilfreispruch umfassenden angefochtenen Urteil wurde der österreichische Staatsbürger Heimo R***** je einer unbestimmten Anzahl von Verbrechen der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBI 1974/60 (I.) sowie von Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (II.) schuldig erkannt.

Danach hat er

I. unmündige Personen auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht missbraucht, und zwar

1. in B*****, damals Jugoslawien, an nicht näher bekannten Tagen im Sommer 1985 in mehreren Angriffen den am 6. April 1972 geborenen Oliver-Robert K*****, indem er sich mit dessen Hand selbst befriedigte sowie den Penis des Genannten betastete und zur Durchführung des Oralverkehrs in seinen Mund nahm,

2. den am 2. September 1973 geborenen Christian M***** in wiederholten Angriffen, indem er den Penis des Genannten betastete und sich mit dessen Hand selbst zu befriedigen versuchte, und zwar

  1. a. im Jahr 1986 in B*****, damals Jugoslawien und
  2. b. zu Ostern oder Pfingsten 1986 oder 1987 in J*****, Italien,

    3. den am 11. September 1987 geborenen Manuel P***** in wiederholten Angriffen an nicht näher bekannten Tagen, indem er den Penis des Genannten berührte, und zwar

  1. a. in B*****, Ungarn, zwischen 6. August 1996 und 26. August 1996,
  2. b. in B*****, Ungarn, zwischen 31. Juli 1997 und 20. August 1997,
  3. c. in B*****, Ungarn, zwischen 30. Juli 1998 und 19. August 1998;

    II. mit nachgenannten minderjährigen Personen, die seiner Aufsicht unterstanden, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber diesen Personen eine geschlechtliche Handlung vorgenommen oder von einer dieser Personen an sich vornehmen lassen, und zwar

    1. in wiederholten Angriffen an nicht näher bekannten Tagen mit nicht näher bekannten männlichen Minderjährigen, indem er diesen auf die Hoden griff,

    a. im Sommer 1989, 1990 und 1991 in H***** bzw K*****, damals Jugoslawien,

    b. im Sommer 1992, 1993 und 1994 in B*****, Ungarn,

    2. zu nicht näher bekannten Zeitpunkten zwischen 1993 und 1996 in B*****, Ungarn, in wiederholten Angriffen mit dem am 18. Jänner 1979 geborenen Rene W*****, indem er sich vom Genannten mit der Hand befriedigen ließ und den Penis des Genannten zur Durchführung des Oralverkehrs in den Mund nahm.

Rechtliche Beurteilung

Die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und (der Sache nach) Z 9 lit a und b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

Den Urteilsfeststellungen zufolge übernahm der Angeklagte von 1971 bis 1999 ehrenamtlich die Leitung der von der Organisation der „Kinderfreunde" in Jugoslawien und nachfolgend in Kroatien und in Ungarn veranstalteten Ferienlager. Als Lagerleiter kam ihm eine besondere Autoritätsstellung über die teilnehmenden, seiner Aufsicht unterstehenden Minderjährigen zu (US 6). Die Taten an Oliver-Robert K***** (I/1), Manuel P***** (I/3) und Rene W***** (II/2) wurden den Konstatierungen zufolge auf solchen Ferienlagern begangen (US 7 f, 10 f, 12 f), jene an Christian M***** (I/2) auf Kurzurlauben mit dem Angeklagten und in dessen Wohnung (US 8 bis 10).

Die Verfahrensrüge (Z 4) bezieht sich zunächst auf den vom Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Vernehmung einer Vielzahl namentlich genannter Zeugen, die an den in Rede stehenden Ferienlagern als Betreuer teilgenommen haben sollen (S 417 iVm ON 16).

Die Anträge wurden zu Recht abgewiesen. Ob der Angeklagte, worauf der Beweis abzielte, als Lagerleiter eine „gewissenhafte und verantwortungsvolle Haltung" einnahm, ist unerheblich. Weshalb die verlangten Zeugen in der Lage gewesen sein sollen, die inkriminierten Vorgänge auf Grund der örtlichen Gegebenheiten um den vom Angeklagten in den Ferienlagern benützten Wohnwagen auszuschließen, ging auch aus dem Antrag nicht hervor.

Für den Beschwerdeführer ist aus dem Umstand, dass auch die in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen Dr. Peter N***** und Mag. Martina W***** (S 384 f, 386) keine Tatzeugen waren, nichts zu gewinnen. Denn die vom Angeklagten gar nicht bestrittenen Umstände seiner ersten Konfrontation mit von dritter Seite erhobenen Vorwürfen, über welche die beiden Zeugen vernommen wurden, schuf keineswegs eine dem zweiten Fall des Art 6 Abs 3 lit d MRK subsumierbare Situation, die es erfordern würde, zur Frage Stellung zu nehmen, ob unzulässig in der Hauptverhandlung vorgenommene Erkundungsbeweise zur Belastung des Angeklagten umgekehrt ein subjektives Recht auf entsprechende Erkundungsbeweisführung zur Folge haben könnte (vgl auch § 281 Abs 3 erster Satz StPO).

Soweit der Zeuge Michael D***** - ohne dass dies von der Anklage umfasst gewesen wäre - behauptete, der Angeklagte hätte ihn vor vielen Jahren „vornehmlich in der Nacht, wenn" er „geschlafen habe", am Penis berührt, kann angesichts der polizeilichen Angaben dieses Zeugen von Erkundungsbeweisführung keine Rede sein, sodass sich mangels „derselben Bedingungen" (Art 6 Abs 3 lit d MRK) darauf bezogen die Frage ebenso wenig stellt.

Weiters wendet sich die Verfahrensrüge gegen die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf „Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Gebiet der Neurologie bzw Psychiatrie zur Erstellung eines Befundes und Gutachtens hinsichtlich des Angeklagten" zum Beweis dafür, dass er „keine pädophilen Wesenszüge aufweist und somit beim Angeklagten kein Motiv zu finden ist", das die ihm angelasteten Tathandlungen erklären würde (S 417 f). Auch dieser Antrag wurde vom erkennenden Gericht zutreffend abgelehnt, denn keineswegs wurde die Glaubwürdigkeit des Angeklagten durch eine der beantragten Beweisaufnahme entsprechende Gegenbeweisführung zu erschüttern versucht. Im Übrigen ist das - hier unter Beweis gestellte - Motiv weder für die Schuld- noch für die Subsumtionsfrage von Bedeutung (RIS-Justiz RS0088761). Die Mängelrüge (Z 5) unternimmt mit dem Einwand, die Fülle der Widersprüche (in den Zeugenaussagen), die das Erstgericht „in seinen eigenen Feststellungen" aufzeige, sei entgegen der Ansicht der Tatrichter sehr wohl von besonderer Bedeutung, „diese vom Erstgericht als unwesentliche Details beschriebenen Tatumstände" sprächen „eindeutig gegen offensichtlich gleich dargestellte strafrechtliche Handlungen des Angeklagten gegenüber den Zeugen", und mit dem in entsprechender Weise anschließenden Vorbringen gegen die dem Urteil zu Grunde gelegte Glaubwürdigkeit der Befragten einen zur Anfechtung kollegialgerichtlicher Urteile in der Verfahrensordnung nicht vorgesehenen Angriff auf die Beweiswürdigung nach Art einer Schuldberufung, ohne einen Begründungsmangel in der Bedeutung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes aufzuzeigen. Die Stellungnahme der Tatrichter zu einzelnen Aussagedetails aber war keineswegs undeutlich und die angesprochenen Widersprüche wurden erörtert. Die Tatsachenrüge (Z 5a) bezieht sich auf die nach Lage des Falles für den Schuldspruch - wovon die Beschwerde im weiteren Vorbringen selbst ausgeht - nicht entscheidende Feststellung, dass der Angeklagte seine Autoritätsstellung auch während des Schuljahres aufrecht hielt, indem er Engagement für die Minderjährigen zeigte und beispielsweise Anfang der 70-er Jahre einen sogenannten „Lernclub" im Haus der Jugend ins Leben rief (US 6 letzter Absatz). Der Einwand, das Erstgericht habe „die im Akt ersichtlichen Beweismittel trotz deren Relevanz überhaupt nicht verwertet und dadurch eine umfassende Beurteilung des Gesamtsachverhaltes verhindert", lässt die bei Ausführung der Tatsachenrüge gebotene Bezugnahme auf konkrete Beweismittel vermissen (RIS-Justiz RS0117446).

Dass der Angeklagte nicht zu jedem der mit ihm in Kontakt gekommenen Jugendlichen sexuelle Beziehungen unterhielt, erweckt keine erheblichen Bedenken des Obersten Gerichtshofes gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde liegenden entscheidenden Tatsachen. Davon abgesehen ist der Bericht des Stadtpolizeikommandos Graz vom 29. November 2006 (S 173) in der Hauptverhandlung gar nicht vorgekommen (S 419) und hat der Beschwerdeführer nicht behauptet, an darauf abzielender Antragstellung gehindert worden zu sein. Warum „hinsichtlich einzelner bzw sämtlicher Tathandlungen des Angeklagten" Verjährung eingetreten sei, sagt die Rechtsrüge (9 lit b) nicht.

Inwiefern die Feststellungen des Erstgerichts zur subjektiven Tatseite „nur als mangelhaft bezeichnet werden" können, legt die Beschwerde entgegen dem Gebot deutlicher und bestimmter Bezeichnung angeblich Nichtigkeit bewirkender Umstände (§§ 285 Abs 1, 285a Z 2 StPO) nicht dar.

Welche über die zu I/1 bis 3 getroffenen noch hinausgehenden Feststellungen der Angeklagte vermisst, dem „keine geordnete Überprüfung" der ihm „angelasteten Tathandlungen" auch im Hinblick darauf möglich erscheint, ob die Tatopfer jeweils noch unmündig waren, lässt sein Vorbringen offen.

Im Übrigen:

Angesichts der Tatzeiten aus 1985 (I/1), 1986 oder 1987 (I/2), 1989, 1990, 1991, 1992, 1993, 1994 (II/1), 1996, 1997 und „zwischen 30. Juli und 19. August 1998" (I/3) kam es im Hinblick auf die den Taten zugrunde liegende gleiche schädliche Neigung (§ 58 Abs 2 StGB) bei der fünfjährigen Verjährungsfrist des § 57 Abs 3 dritter Fall StGB (Strafdrohungen zu I fünf Jahre und zu II drei Jahre) nicht zur Verjährung, bevor die Bestimmung des § 58 Abs 3 Z 3 StGB idF BGBl I 1998/153 mit 1. Oktober 1998 in Kraft trat, der zufolge die Zeit bis zur Erreichung der Volljährigkeit des Verletzten einer strafbaren Handlung ua nach § 207 oder § 212 StGB nicht in die Verjährungszeit einzurechnen ist. Die Volljährigkeit des am 11. September 1987 geborenen (US 12) Tatopfers zu I/3 trat mit Ablauf des 11. September 2005 ein. Von da weg lief die fünfjährige Verjährungsfrist, die zufolge § 58 Abs 2 StGB für alle Taten gilt, weil die zu I/3 abgeurteilten vor Eintritt der Verjährung der Strafbarkeit der anderen begangen wurden (zum Ganzen eingehend E. Fuchs in WK² [2006] § 58 Rz 30).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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