OGH 14Os26/08t (14Os27/08i)

OGH14Os26/08t (14Os27/08i)15.4.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. April 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp und Hon.-Prof. Dr. Schroll und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Klaus als Schriftführer in der Strafsache gegen Werner R***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 4 U 295/05k des Bezirksgerichts Vöcklabruck, über den Antrag der Generalprokuratur auf außerordentliche Wiederaufnahme sowie über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des bezeichneten Gerichts vom 11. Dezember 2007 (ON 37) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur Generalanwalt Mag. Bauer und der Verteidigerin Dr. Heindl, jedoch in Abwesenheit des Werner R*****

1. den

Beschluss

gefasst:

Der Beschluss des Landesgerichts Wels vom 20. November 2006, AZ 24 Bl 87/06d, wird im außerordentlichen Weg aufgehoben und die Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens verfügt.

2. zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluss des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom 11. Dezember 2007, GZ 4 U 295/07k-37, verletzt das Gesetz in den §§ 270 Abs 3, 271 Abs 7 StPO iVm § 447 StPO.

Text

Gründe:

Werner R***** wurde mit - zunächst mit 9. Februar 2006 datiertem - Urteil des Bezirksgerichts Vöcklabruck, GZ 4 U 295/05k-20, des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer teilbedingten Geldstrafe verurteilt. Unter einem wurde vom Widerruf einer mit Urteil des Landesgerichts Wels vom 23. Jänner 2004, AZ 15 Hv 122/03i, ausgesprochenen Strafnachsicht abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert (§ 53 Abs 3 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO).

Mit - bei Gericht am 3. März 2006 eingelangtem - Schriftsatz vom 2. März 2006 meldete der Verurteilte „gegen das am 2. März 2006 verkündete Urteil" Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe an (ON 17).

Die am 2. Oktober 2006 (innerhalb der Frist des § 467 Abs 1 StPO; S 137) ausgeführte Berufung des Werner R***** wegen Nichtigkeit sowie wegen der Aussprüche über die Schuld, Strafe und privatrechtliche Ansprüche (ON 23) wurde mit Beschluss des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 20. November 2006, AZ 24 Bl 87/06d (ON 27) wegen verspäteter Rechtsmittelanmeldung als unzulässig zurückgewiesen.

In einer Äußerung an die Oberstaatsanwaltschaft Linz vom 20. August 2007 (ON 34) hielt der Richter des Bezirksgerichts Vöcklabruck fest, dass die Hauptverhandlung tatsächlich am 2. März 2006 durchgeführt wurde. Mit Beschluss des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom 11. Dezember 2007 (ON 37) wurde sodann das ursprünglich mit 9. Februar 2006 datierte Protokoll über die Hauptverhandlung (ON 13) sowie die Urschrift des in der Verhandlung verkündeten Urteils („samt Ausfertigungen") hinsichtlich des Datums jeweils von „9. Februar 2006" auf „2. März 2006" berichtigt.

Rechtliche Beurteilung

1./ Der Oberste Gerichtshof schließt sich nach Prüfung der Akten der im Antrag der Generalprokuratur auf außerordentliche Wiederaufnahme vertretenen Auffassung an:

Angesichts der Verfügung des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom 2. Jänner 2006 auf Anberaumung der Hauptverhandlung für den 2. März 2006 (S 1b), einer mit 2. März 2006 datierten Gebührennote eines Dolmetschers (ON 16), der Äußerung des Richters vom 20. August 2007 und des Berichtigungsbeschlusses vom 11. Dezember 2007 bestehen nämlich erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der der Entscheidung des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 20. November 2006, AZ 24 Bl 87/06d, zugrunde gelegten Tatsache, wonach das erstinstanzliche Urteil am 9. Februar 2006 verkündet worden und die Rechtsmittelanmeldung am 3. März 2006 daher verspätet sei.

Stellt sich heraus, dass eine (nicht vom Obersten Gerichtshof selbst getroffene) letztinstanzliche Entscheidung eines Strafgerichts auf einer in tatsächlicher Hinsicht objektiv falschen Verfahrensgrundlage ergangen ist, ohne dass dem Gericht ein Rechtsfehler anzulasten ist, kommt - wie hier - über besonderen Antrag der Generalprokuratur analoge Anwendung der Bestimmungen über die außerordentliche Wiederaufnahme nach § 362 Abs 1 Z 2 StPO in Betracht (vgl RIS-Justiz RS0117416; Ratz, WK-StPO § 292 Rz 16, § 362 Rz 4).

2./ In ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zeigt die Generalprokuratur zutreffend auf, dass der Beschluss des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom 11. Dezember 2007, GZ 4 U 295/05k-37, mit dem Gesetz nicht im Einklang steht:

Die Ausfertigung der Urteilsurschrift mit unrichtigem Datum bewirkt ein - nicht die im § 260 Abs 1 Z 1 bis Z 3 und Abs 2 StPO erwähnten Punkte betreffendes - Formgebrechen, das der Vorsitzende (der Richter des Bezirksgerichts) allenfalls nach Anhörung der Beteiligten zu berichtigen hat (§ 270 Abs 3 erster Satz StPO iVm § 447 StPO). Die unrichtige Angabe des Tags der Hauptverhandlung im darüber aufgenommenen Protokoll betrifft einen erheblichen Umstand (§ 271 Abs 1 Z 1 StPO; vgl auch Danek, WK-StPO § 271 Rz 44), den der Vorsitzende (der Richter des Bezirksgerichts) auch von sich aus zu berichtigen hat (§ 271 Abs 7 zweiter Satz StPO iVm § 447 StPO), wobei er den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer in Aussicht genommenen Berichtigung binnen angemessener Frist geben muss (§ 271 Abs 7 StPO iVm § 447 StPO), was fallbezogen unterblieb.

Eine Berichtigung des Urteils oder des Protokolls über die Hauptverhandlung ist aber nur solange zulässig, als nicht das Rechtsmittelgericht auf Basis des fehlerhaften Protokolls oder der unrichtigen Urteilsausfertigung entschieden hat (Danek WK-StPO § 270 Rz 51 sowie § 271 Rz 41 und 53 mwN). Dies wurde hier ebenfalls missachtet.

Diese Gesetzesverstöße wirkten sich aber nicht nachteilig für den Verurteilten aus: Zufolge Aufhebung des Beschlusses des Landesgerichts Wels vom 20. November 2006 im außerordentlichen Weg steht dem Urteils - und Protokollsberichtigungsbeschluss die Rechtskraftwirkung einer Rechtsmittelentscheidung nicht mehr entgegen. Nach Rechtskraft des Berichtigungsbeschlusses (siehe S 197) wird das berichtigte Urteil (§ 270 Abs 3 letzter Satz StPO) neuerlich zuzustellen sein, wodurch die Frist zur Ausführung des angemeldeten Rechtsmittels (§ 467 Abs 1 StPO) nochmals ausgelöst werden wird (§ 271 Abs 7 letzter Satz StPO; Danek, WK-StPO § 270 Rz 51 und § 271 Rz 55).

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