OGH 12Os121/07x

OGH12Os121/07x10.4.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. April 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. T. Solé als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Klaus als Schriftführer, in der Strafsache gegen Hans S***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und Abs 2 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 8. Mai 2007, GZ 124 Hv 118/06s-78, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Staatsanwältin Dr. Geymayer, der Angeklagten Hans S*****, Thomas D***** und Norbert P***** sowie ihrer Verteidiger Dr. Lirsch (für S***** und D*****) und Mag. Fidesser (für P*****, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil zur Gänze aufgehoben und die Strafsache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden die Angeklagten Hans S*****, Thomas D***** und Norbert P***** von den Vorwürfen, sie haben (A) grob fahrlässig durch - im Urteilstenor detailliert wiedergegebenes - kridaträchtiges Handeln (§ 159 Abs 5 StGB) (a) Hans S***** als tatsächlicher und Thomas D***** als eingetragener Geschäftsführer der S***** Gesellschaft mbH

1) in der Zeit vom Jahr 1997 bis zum 31. Dezember 1998 die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens herbeigeführt sowie

2) in der Zeit vom 31. Dezember 1998 bis zum 31. Dezember 2000 unter Begründung neuer Verbindlichkeiten in der Höhe von zumindest 50.700 Euro die Befriedigung der Unternehmensgläubiger vereitelt oder geschmälert und

(b) Hans S***** als tatsächlicher und Norbert P***** als eingetragener Geschäftsführer der S***** GmbH

1) in der Zeit vom Jahr 1997 bis zum 31. Dezember 1998 die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens herbeigeführt sowie

2) in der Zeit vom 31. Dezember 1998 bis zum 22. März 2001 unter Begründung neuer Verbindlichkeiten in der Höhe von 171.100 Euro die Befriedigung der Unternehmensgläubiger geschmälert, weiters (B) Vermögensbestandteile verheimlicht, beiseite geschafft, veräußert, nicht bestehende Verbindlichkeiten vorgeschützt oder anerkannt oder sonst Vermögen wirklich oder zum Schein verringert und dadurch die Befriedigung jeweils wenigstens eines Gläubigers vereitelt oder geschmälert, nämlich

(a) Hans S***** als tatsächlicher und Thomas D***** als eingetragener Geschäftsführer der S***** Gesellschaft mbH durch vorgetäuschte Leistungen für die Erbringung von Büroarbeiten, die einen Geldfluss zur A***** GmbH bewirkten, nämlich

  1. 1) im Jahr 1998 von 95.000 Euro sowie
  2. 2) in den Jahren 1999 und 2000 von 48.300 Euro sowie (b) Hans S***** als tatsächlicher und Norbert P***** als eingetragener Geschäftsführer der S***** GmbH durch vorgetäuschte Leistungen aus dem Untermietvertrag über ein Lokal, dem Mietvertrag über Büromaschinen, den Titeln Time-Sharing, S***** und S***** sowie aus Scheinrechnungen, die einen Geldfluss
  3. 1) im Jahr 1998 von 121.700 Euro und
  4. 2) in den Jahren 1999 sowie 2000 von 135.704 Euro

    an die S***** mbH bewirkten,

    gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 5 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist im Recht. Zum Freispruch A a hält die Mängelrüge zutreffend fest, dass sich die angefochtene Entscheidung hinsichtlich des Vorwurfs, Jahresabschlüsse nicht ordnungsgemäß erstellt zu haben (§ 159 Abs 5 Z 5 StGB), nicht hinreichend mit dem Buch-Sachverständigen-Gutachten auseinandersetzt (Z 5 zweiter Fall). Allein die Erörterung der Rechtzeitigkeit der Abschlüsse (US 41 f) greift nämlich zu kurz, weil der Sachverständige überdies inhaltliche Mängel der Jahresabschlüsse aufzeigt (S 13/V iVm S 187 ff/II). In diesem Zusammenhang weist die Beschwerde auch zu Recht darauf hin, dass der Buch-Sachverständige aus der Sicht des ordentlichen Unternehmers zudem die Erstellung von Finanzplänen und Budgets als geboten erachtete (S 41/V), was unter dem Aspekt des § 159 Abs 5 Z 4 StGB entscheidungswesentlich ist, im Ersturteil aber nicht behandelt wird.

In Bezug auf den Vorwurf, sogenannte Scheinrechnungen in die geschäftlichen Aufzeichnungen aufgenommen zu haben, trifft der Einwand zu, dass sich die angefochtene Entscheidung nicht mit der gutachterlichen Kritik auseinandersetzt, wonach sich diesbezüglich in den Buchhaltungsunterlagen weder Leistungsnachweise noch Zeitaufzeichnungen finden (S 13/V iVm S 137 ff/II und 307/II). Das Urteilsargument, die in diesen Rechnungen ausgewiesenen Stundensätze von (richtig:) 1.720 S (ds 125 Euro) für Beratungsleistungen und 400 S (ds ca 29 Euro) für Assistenzdienste (US 14) entsprächen „bei lebensnaher Betrachtung .... den üblichen wirtschaftlichen Gepflogenheiten" (US 44), genügt dem Begründungsgebot des § 270 Abs 2 Z 5 StPO nicht (Z 5 vierter Fall). Mit Blick auf die Ausführungen des Sachverständigen, wonach den Buchhaltungsunterlagen nicht einmal der Inhalt der verrechneten Leistungen zu entnehmen sei (S 13/V iVm S 137/II), hätte das Erstgericht insoweit darlegen müssen, welche Leistungen es überhaupt als erbracht angesehen hat, und sodann auf dieser Basis anhand konkreter, brancheninterner Vergleiche zu erläutern gehabt, aus welchem Grund es - dem Gutachten zuwider - von angemessenen Stundensätzen ausgegangen ist.

Auch hinsichtlich der vom Sachverständigen als nicht leistungskongruent erachteten Honorarnoten an die Kunden G***** St. Pölten und W***** wendet die Beschwerde zutreffend einen Begründungsmangel ein. Nach der Aktenlage haben diese beiden Kunden nämlich im Ausgleichsverfahren der S***** Gesellschaft mbH Forderungen in der Gesamthöhe von rund 3 Mio S (ds etwa 218.000 Euro) mit der Begründung angemeldet, Honorarzahlungen geleistet, aber hiefür keine Gegenleistungen erhalten zu haben (Beilagen 7/7 und 7/8 zu ON 41). Hievon ausgehend ist aber das - im Übrigen nicht aktenkonforme (Beilage 7/8 zu ON 41) - Urteilsargument, der Umstand, dass diese Forderungen nicht bestritten worden sind, spreche für die korrekte Leistungsabrechnung (US 46), mit den Gesetzen der Logik nicht vereinbar.

Zum Freispruch A b beschränkt sich das Ersturteil - wie die Rüge (Z 5 zweiter Fall) zutreffend aufzeigt - hinsichtlich des Vorwurfs, die Jahresabschlüsse nicht ordnungsgemäß erstellt zu haben (§ 159 Abs 5 Z 5 StGB), in der Begründung ebenfalls auf die Frage der Rechtzeitigkeit dieser Abschlüsse (US 49), ohne auf die Kritik des Sachverständigen am Abschlussinhalt einzugehen (S 37/V iVm S 223/III).

Demgemäß ist auch dem Argument, aufgrund der fristgerechten Erstellung von Jahresabschlüssen sei es - dem Gutachten (S 41/V) zuwider - nicht geboten gewesen, Finanzpläne und Budgets zu erstellen (§ 159 Abs 5 Z 4 StGB), die Basis entzogen.

Der gutachterlichen Schlussfolgerung, sowohl die S***** Gesellschaft mbH als auch die S***** GmbH sei per 31. Dezember 1998 zahlungsunfähig gewesen (S 13/V iVm S 281/II und S 37/V iVm S 215/III), folgt das Erstgericht mit der Begründung nicht, die Expertise des Sachverständigen sei teilweise unschlüssig (US 47 f). Damit wird es seiner Begründungspflicht nicht einmal ansatzweise gerecht, weil es jede inhaltliche Erörterung der umfangreichen, detaillierten Ausführungen zum Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit (S 13/V iVm S 95-265/II und 269-281/II sowie S 37/V iVm S 29-211/III und 215 f/III) unterlässt. Der Versuch, aus den Darlegungen des Sachverständigen zum Schuldspruch B die Gutachtensunschlüssigkeit abzuleiten, vermag hieran nichts zu ändern, weil diese die Erwägungen zum Insolvenzeintritt (Schuldspruch A) nicht tangieren.

Auch zum Freispruch B a hält die Beschwerde zutreffend fest, dass sich die angefochtene Entscheidung nicht hinreichend mit dem Gutachten des Buch-Sachverständigen auseinandersetzt (Z 5 zweiter Fall). Sie erörtert nämlich diesbezüglich nur die - dem Sachverständigen lediglich als Argumentationshilfe dienende - Problematik der Höhe der auf den Rechnungen der A***** GmbH ausgewiesenen Stundensätze für Bürotätigkeiten (US 51 bis 53), ohne auf den insoweit wesentlichen Einwand einzugehen, dass die Leistungserbringung an sich mangels entsprechender Leistungsnachweise nicht nachvollziehbar ist (S 13/V iVm S 143 f/II).

Hinzu kommt, dass auch die tatrichterlichen Überlegungen zu den Stundensätzen eine mängelfreie Auseinandersetzung mit dem Gutachten vermissen lassen. Diesbezüglich stellt das Ersturteil nämlich der - auf detaillierten Berechnungen (S 13/V iVm S 145/II) basierenden - Schlussfolgerung, der angemessene Stundensatz hätte rund 245 S (ds etwa 18 Euro) betragen, die nicht konkretisierte Behauptung entgegen, unter Einbeziehung „der Produktionskosten und Aufwendungen" sei bei „lebensnaher Betrachtung" ein Stundensatz von 880 S (ds ca 64 Euro) adäquat gewesen (US 52 f).

Das - gegen die Schlüssigkeit des Gutachtens gerichtete - Urteilsargument, der Sachverständige habe nicht erklären können, aus welchem Grund er in einem anderen Fall den Stundensatz für Bürotätigkeiten mit nur 159 S angesetzt hat, ist iSd Z 5 fünfter Fall aktenwidrig (S 53 f/V).

Zum Freispruch B b legt das Erstgericht zwar dar, aus welchen Gründen es die vom Sachverständigen ursprünglich angenommene - im Übrigen in der Hauptverhandlung ohnedies nicht aufrecht erhaltene (S 51/V) - Mietzinsüberhöhung für das Lokal ***** und die Büromaschinen verneint hat, lässt aber nicht erkennen (Z 5 zweiter Fall), aufgrund welcher exakter Prämissen es entgegen dem Gutachten (s insbes S 37/V iVm S 61 ff/III, 245 ff/III) davon ausgegangen ist, dass den insoweit inkriminierten Beträgen tatsächlich erbrachte, kongruente Leistungen gegenübergestanden sind (US 55 f).

Die angefochtene Entscheidung war daher zur Gänze aufzuheben. Im zweiten Rechtsgang wird im Rahmen der Hauptverhandlung besonderes Augenmerk auf das Prinzip der materiellen Wahrheit (§ 3 StPO) und die diesem dienende diskretionäre Gewalt des Vorsitzenden (§ 254 StPO) zu legen sein. Dies bringt zunächst die Verpflichtung mit sich, als relevant erachtete Beweismittel - wie hier beispielsweise den Bericht über die Betriebsprüfung der S***** Gesellschaft mbH (vgl US 47) - beizuschaffen und allfällige Unklarheiten durch entsprechende Fragestellung auszuräumen. Im Fall von Zweifeln an der Expertise eines Sachverständigen wird den Bestimmungen des § 127 StPO zu entsprechen sein. Die auf der Basis eines solcherart fundierten Beweisverfahrens zu treffenden Feststellungen werden den Gesetzen der Logik und grundlegenden Erfahrungssätzen folgend zu begründen sein, wobei allfällige den Konstatierungen widersprechende Verfahrensergebnisse einer eingehenden Erörterung bedürfen.

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