OGH 12Os30/08s

OGH12Os30/08s13.3.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. März 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. T. Solé als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pulker als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Anton P***** wegen des Vergehens der Tierquälerei nach § 222 Abs 1 Z 1 zweiter Fall StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 23. August 2007, AZ 14 Bl 51/07i (GZ 5 U 10/07z-13 des Bezirksgerichts Ebreichsdorf), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 23. August 2007, AZ 14 Bl 51/07i, verletzt das Gesetz in den §§ 470 Z 3, 471 Abs 1, 474 StPO aF.

Dieses Urteil wird aufgehoben und die Sache an das Landesgericht Wiener Neustadt zur Entscheidung über die Berufung der Staatsanwaltschaft anlässlich eines Gerichtstags zur öffentlichen Verhandlung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichts Ebreichsdorf vom 26. Februar 2006, GZ 5 U 10/07z-9, wurde Anton P***** des Vergehens der Tierquälerei nach § 222 Abs 1 Z 1 zweiter Fall StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Während der Beschuldigte das Urteil nicht bekämpfte, erhob die Staatsanwaltschaft Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe, und zwar mit dem ausschließlichen Begehren auf Anhebung des Tagessatzes (ON 10).

Mit dem gemäß § 460 (gemeint offenbar: § 469) StPO aF, § 470 Z 3 StPO aF in nichtöffentlicher Sitzung ergangenen Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 23. August 2007, AZ 14 Bl 51/07i (ON 13), wurde der Berufung der Staatsanwaltschaft wegen des Ausspruchs über die Strafe Folge gegeben, das angefochtene Urteil (zu ergänzen: im Strafausspruch) aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Rechtliche Beurteilung

Das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht verletzt - wie der Generalprokurator in seiner Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt - das Gesetz in den §§ 470 Z 3, 471 Abs 1, 474 StPO aF.

Die im § 469 StPO in der ursprünglichen Fassung von 1873 vorgesehene grundsätzliche (vgl S. Mayer Commentar Band 3, 681 f und noch Lohsing/Serini Strafprozessrecht4, 590) Erledigung von Berufungen wegen des Ausspruchs über die Strafe in nichtöffentlicher Sitzung wurde wegen der damals zulässigen Beteiligung der Anklagevertretung an der nichtöffentlichen Sitzung und des damit offenkundig vorgelegenen Widerspruchs zu den Garantien eines fairen Verfahrens nach Art 6 MRK (vgl EBRV StPNov 1962, 729 BlgNR, 9. GP , 4 f) durch die StPNov 1962, BGBl 1962/229, aufgehoben.

Damit war es nach der StPNov 1962 und ist es nach gegenwärtiger Rechtslage gestattet, eine Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe unter den Voraussetzungen des § 470 Z 1 StPO (alte wie neue Fassung) in nichtöffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen (vgl EBRV StPNov 1962, 729 BlgNR, 9. GP , 7; Bertel/Venier Strafprozessrecht2 Rz 538; St. Seiler Strafprozessrecht8 Rz 1045). Von diesem Ausnahmefall abgesehen sollte aber nach den Intentionen der StPNov 1962 über Berufungen wegen des Ausspruchs über die Strafe nur mehr anlässlich eines zur öffentlichen Verhandlung angeordneten Gerichtstags entschieden werden (vgl EBRV StPNov 1962, 729 BlgNR, 9. GP , 5 und 7).

Wird (nur) die Strafe bekämpft, ersetzt das allenfalls ergehende reformatorische Berufungsurteil die erstgerichtliche Strafentscheidung, ohne dass es einer Urteilsaufhebung im Strafausspruch bedarf (vgl Ratz, WK-StPO § 295 Rz 2). Die dem Berufungsgericht nach § 470 Z 3 StPO (alte wie neue Fassung) zukommende gebundene Ermessensentscheidung (vgl Ratz, WK-StPO § 470 Rz 3) zielt hingegen darauf, das Urteil (also zumindest einen Teil des Schuldspruchs samt Strafausspruch) schon vor einer öffentlichen Verhandlung über eine zulässig erhobene (und daher nicht schon nach § 470 Z 1 StPO zurückgewiesene) Berufung aufzuheben. Dies macht schon die Entstehungsgeschichte zur StPO deutlich, denn die ursprüngliche Fassung des § 470 in der StPO von 1873 war darauf gerichtet, eine auf Grund einer Berufung wegen Schuld unumgängliche Beweiswiederholung in erster Instanz zu ermöglichen (vgl S. Mayer Commentar Band 3, 682; vgl auch Lohsing/Serini Strafprozessrecht4, 591 f). Die in der Folge (StPNov 1931, BGBl 1932/12) geänderte Fassung des § 470 StPO samt Ausdehnung des Wirkungsbereichs bei Vorliegen von Nichtigkeitsgründen, welche eine (zumindest teilweise) Aufhebung des Urteils gebieten, bezog sich mit dem Hintergrund der anfänglich auf Schuldberufungen eingeengten Anwendung, also bei historischer Interpretation, nur auf ein erfolgreiches Rechtsmittel, mit welchem der Schuldspruch oder zumindest ein Teil desselben bekämpft wird. Die Aufhebung des Strafausspruchs bloß zur Strafneubemessung widerspräche überdies den auch in der Straffrage eine Entscheidung durch ein Richterkollegium anstrebenden Intentionen des Berufungsverfahrens gegen Einzelrichterurteile (vgl Ratz, WK-StPO § 474 Rz 7) und käme daher auch bei Vorliegen des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs 1 Z 11 StPO iVm § 468 Abs 1 Z 4 StPO (bzw § 489 Abs 1 StPO) nicht in Betracht.

Demgemäß ist die Ausnahmebestimmung des § 470 Z 3 StPO (vgl Fabrizy StPO9 § 470 Rz 3) auf Berufungen wegen des Ausspruchs über die Strafe nicht anwendbar. Sie müssen in einem Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung erledigt werden (vgl Ratz, WK-StPO § 470 Rz 3 iVm § 295 Rz 2 und Rz 4 sowie § 474 Rz 7; Bertel/Venier Strafprozessrecht2 Rz 587 iVm Rz 539 f; St. Seiler Strafprozessrecht8 Rz 1059 iVm Rz 1046).

Das Landesgericht Wiener Neustadt als Berufungsgericht wäre daher verhalten gewesen, gemäß § 471 Abs 1 StPO aF (§ 471 StPO nF) einen Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung anzuberaumen und bei diesem gemäß § 474 StPO (alte wie neue Fassung) in der Sache selbst zu erkennen.

Angesichts dieser festgestellten Gesetzesverletzungen sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, eine konkrete Wirkung auszusprechen (§ 292 letzter Satz StPO).

Das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 23. August 2007, AZ 14 Bl 51/07i, war aufzuheben und die Sache an das Rechtsmittelgericht zur Entscheidung über die Berufung der Staatsanwaltschaft anlässlich eines Gerichtstags zur öffentlichen Verhandlung zu verweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte