OGH 11Os29/08m

OGH11Os29/08m5.3.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. März 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab und Mag. Lendl, in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Klaus als Schriftführer, in der Strafsache gegen Philipp S***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1, Abs 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 29 Ur 147/07f des Landesgerichts Wiener Neustadt, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten Robert W***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 4. Jänner 2008, AZ 20 Bs 347/07m (ON 84 der Ur-Akten), in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Robert W***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht der Beschwerde des Robert W***** - gegen den beim Landesgericht Wiener Neustadt (die schon am 10. Dezember 2007 geschlossene) Voruntersuchung wegen (ua) der Verbrechen der betrügerischen Krida und des schweren Betrugs nach §§ 156 Abs 1, Abs 2; 146, 147 Abs 3 StGB geführt wurde - gegen den Beschluss der Untersuchungsrichterin vom 10. Dezember 2007, mit dem dessen am 9. August 2007 verhängte Untersuchungshaft perpetuiert wurde, nicht Folge und ordnete deren Fortsetzung aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit a, lit b und lit c StPO an.

Danach steht Robert W***** im dringenden Tatverdacht, er habe als faktischer Geschäftsführer der Holding KSW Vermögensverwaltung GmbH

1. im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Philipp S*****, Johann R***** und Stefan N***** zu einem noch festzustellenden Zeitpunkt die Zahlungsunfähigkeit der Holding KSW mit Sitz in Lichtenwörth-Nadelburg geplant herbeigeführt und Bestandteile des Vermögens dieser Gesellschaft wirklich bzw zum Schein verringert, indem er ua die praktisch wertlose, nicht operativ tätige „Firma R*****" in Ungarn um 85.000 EUR in die Holding KSW einbrachte, wobei der Betrag Robert W***** und zwei weitere Gesellschaftern dieses Unternehmens im Verhältnis ihrer Beteiligungen zu Gute kam, indem er weiters die Ausstellung von Scheinrechnungen zur Verschleierung von Entnahmen aus der Kassa und zur Senkung des Kassenstandes veranlasste und indem er unmittelbar vor Eröffnung des Konkursverfahrens über die Holding KSW drei Fahrzeuge des Unternehmens an die „Firma G*****" durch scheinbare Gegenverrechnung (nicht bestehender Forderungen) veräußerte;

2. im Zeitraum zwischen 19. Oktober 2006 und 5. April 2007 in Eisenstadt und an anderen Orten im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit Philipp S***** als Mittäter Verfügungsberechtigte der Einzelunternehmen Adolf Sa*****, Friedrich St***** und Norbert K***** unter der Vorspiegelung der Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit der Holding KSW als deren kaufmännischer Verantwortlicher zur Erbringung von Werkleistungen im Wert von mehr als 100.000 EUR (nämlich 29.000 EUR, 24.755,47 EUR und 50.908,87 EUR) verleitete.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Beschluss des Oberlandesgerichts richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten W*****, die sich - bei unbestrittenem dringenden Tatverdacht - gegen die Annahme von Tatbegehungsgefahr und die unterbliebene Anwendung gelinderer Mittel sowie die mangelnde Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft wendet. Die rechtliche Annahme einer der (nunmehr) von § 173 Abs 2 StPO (idgFd BGBl I 2004/19) genannten Gefahren wird vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens dahin überprüft, ob sie aus den in der angefochtenen Entscheidung angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durften, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als unvertretbar angesehen werden müsste (RIS-Justiz RS0117806).

Dem Beschwerdevorbringen zuwider hat das Oberlandesgericht den Haftgrund der Tatbegehungsgefahr konkret und ohne willkürliche Annahmen auf ausreichend bestimmte Tatsachen gestützt. Es ging nämlich - zum Teil unter Verweisung auf seine ausführliche Begründung in der Vorentscheidung vom 9. Oktober 2007, AZ 20 Bs 265/07b (ON 67) - davon aus, dass der Rechtsmittelwerber, der bereits zwei einschlägige Vorstrafen - wegen der Vergehen nach § 114 ASVG und der fahrlässigen Krida nach § 159 StGB aF sowie zuletzt wegen des Verbrechens des versuchten schweren Betrugs als Beteiligter nach §§ 12, 15, 146, 147 Abs 3 StGB (Strafregisterauskunft S 43 f/II) - aufweist, als für die kaufmännischen Belange der Holding KSW (deren Zweck ua war, Tochtergesellschaften zu gründen und im Falle der Insolvenz einer der involvierten Gesellschaften mit den verbleibenden anderen weiter arbeiten zu können) zuständiger faktischer Geschäftsführer mit Mittätern der finanziell angeschlagenen Gesellschaft (zum Teil durch Scheinrechnungen) erhebliche Vermögenswerte entzogen, anderen betrügerisch Werkleistungen herausgelockt und letztlich mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Holding KSW im auffallendem Widerspruch stehenden Aufwand getrieben habe. Die aus diesen angenommenen Tatsachen, insbesondere den massiven vermögensschädigenden Umtrieben des Robert W***** gefolgerte aktuelle Gefahr, der Beschuldigte werde ungeachtet des gegen ihn geführten Strafverfahrens in einer derartigen oder ähnlichen Position - vorzugsweise der Baubranche - strafbare Handlungen mit nicht bloß leichten bzw eine strafbare Handlung mit schweren Folgen begehen, die ebenso wie die ihm angelasteten strafbaren Handlungen mit schweren Folgen gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet sind wie jene strafbare Handlungen, deretwegen er bereits zweimal verurteilt worden ist, erfolgte demnach logisch und empirisch korrekt: die reale Befürchtung neuerlicher Straffälligkeit im beruflichen Umfeld ist aus den geradezu als typische Unternehmerdelikte zu bezeichnenden Straftatbeständen nach §§ 114 ASVG und 159 StGB aF, derer sich der Beschwerdeführer in der (wenngleich weiteren) Vergangenheit schuldig gemacht hat, in Verbindung mit Art und Umfang der ihm nunmehr zur Last liegenden fortgesetzten verschiedenartigen Malversationen im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit sachlich gerechtfertigt abgeleitet. Soweit sich die Beschwerde auf die wiederholende Zitierung von Rechtssätzen aus der Judikatur des Obersten Gerichtshofs beschränkt, ohne deren Entscheidungsrelevanz im vorliegenden Fall aufzuzeigen, ist sie einer inhaltlichen Erwiderung nicht zugänglich. Solcherart erläutert sie nämlich nicht, aus welchem Grund die Gefahr weiterer strafbarer Handlungen für fremdes Vermögen von einer prekären Finanzlage des Beschuldigten, die behauptetermaßen wegen eines aus unselbständiger Tätigkeit resultierenden Einkommens seiner Ehegattin tatsächlich nicht vorläge, abhängen sollte. Ebenso unerfindlich bleibt, weshalb sich das Erstgericht mit einer - angesichts der dem Beschuldigten angelasteten Taten gar nicht in Rede stehenden - von ihm ausgehenden Gefahr für Leib oder Leben oder der Begehung von Verbrechen in einer kriminellen Organisation (§ 173 Abs 3 zweiter Satz StPO) auseinandersetzen hätte sollen. Nach dem Gesetz ist die hafttragende Annahme von Tatbegehungsgefahr nämlich keineswegs stets von der Bejahung solcher spezieller Gefährlichkeit des Beschuldigten abhängig.

Dass sich die Verhältnisse, unter welchen der Beschuldigte nach den Annahmen des Oberlandesgerichts die ihm angelasteten Taten begangen habe, zwischenzeitig geändert haben, hat das Beschwerdegericht ohnedies berücksichtigt. Zutreffend - und mit Blick auf die Vorverurteilungen des Beschuldigten ebenfalls keineswegs unhaltbar - gelangte es zu dem Schluss, dass der Umstand der Konkurseröffnung über das Vermögen der Holding KSW, der GZG Hausbau GmbH und der GZG Handels GmbH, sohin jener Unternehmen, die dem Angeklagten zur Begehung seiner aktuellen Straftaten dienten, in Verbindung mit dem nunmehrigen Verlust seiner darauf bezogenen Handlungs- und Vertretungsmöglichkeiten die Tatbegehungsgefahr fallbezogen nicht zu entkräften vermag, weil dieser Haftgrund lediglich auf die Begehung (irgend-) einer gegen dasselbe Rechtsgut gerichteten strafbaren Handlung mit schweren bzw nicht bloß leichten Folgen und nicht auf die Vorhersage konkreter Taten abstellt (RIS-Justiz RS0113445). Damit hat das Oberlandesgericht logisch und empirisch einwandfrei zum Ausdruck gebracht, dass dem Beschuldigten aufgrund seiner bisherigen kriminellen Karriere und der nunmehrigen Verdachtslage der neuerliche Aufbau einer künftiger Tatbegehung dienenden Stellung in der Privatwirtschaft konkret zuzusinnen ist.

Mit dem Einwand, der Beschuldigte „habe auf Grund der Eröffnung des Konkursverfahrens und der lang andauernden Haft faktisch keine Chance mehr und sei auch nicht willens, als Selbständiger in der Baubranche Fuß zu fassen", zeigt der Beschwerdeführer keine Überschreitung des dem Oberlandesgericht bei der Beurteilung der Tatbegehungsgefahr zukommenden Ermessens auf.

Dem weiteren ins Treffen geführten Umstand, dass sich mit einer Ausnahme sämtliche präsumtive Mittäter des Angeklagten auf freiem Fuß befänden, kommt von vornherein keine Entscheidungsrelevanz zu, sind die Voraussetzungen der Untersuchungshaft doch stets für jeden Beschuldigten gesondert zu prüfen.

Schließlich kann von einem längeren Zurückliegen der angelasteten Taten keine Rede sein, ebensowenig dauerte die Haft am 4. Jänner 2008 annähernd sechs Monate.

Das Oberlandesgericht hat die Substituierung der Haft durch das - vom Beschuldigten angestrebte - gelindere Mittel der Weisung, sich bestimmter selbstständiger Tätigkeiten in der Baubranche oder einer verwandten Branche zu enthalten, mit der Begründung der mangelnden Überwachbarkeit abgelehnt.

Mit dem sinnfällig vom Gegenstand gelösten Argument, in anderen Fällen würde sehr wohl von der Weisung, bestimmte Lokale oder eine bestimmte Szene zu meiden, Gebrauch gemacht, legt der Beschwerdeführer ebenso wenig wie mit dem Ansinnen, die Einhaltung der Weisung könne durch ein Gelöbnis des Beschuldigten „abgesichert" werden, einen Fehler in der Begründung des Beschwerdegerichts dar. Ins Leere geht letztlich das substratlose Beschwerdevorbringen, „die Aufrechterhaltung der Haft stehe zum Zweck der Maßnahme, nämlich der Begegnung der angenommenen Tatbegehungsgefahr, außer Verhältnis". Bei Anordnung oder Fortsetzung der Untersuchungshaft ist vielmehr gemäß § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO die Relation dieser Maßnahme zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe zu überprüfen. Angesichts des durch die angeschuldigten Taten des vorbestraften Inhaftierten mutmaßlich herbeigeführten hohen Schadens, der die Qualifikationsgrenze von 50.000 EUR deutlich übersteigt, und der Sanktionsdrohung von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe (§ 156 Abs 2, § 147 Abs 3 StGB) hat das Oberlandesgericht die zum Entscheidungszeitpunkt knapp fünf Monate andauernde Haft zutreffend als nicht unverhältnismäßig beurteilt.

Robert W***** wurde demnach durch den angefochtenen Beschluss im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu vom Rechtsmittelwerber erstatteten Äußerung - seine Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

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