OGH 11Os31/08f

OGH11Os31/08f27.2.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Februar 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Klaus als Schriftführer, in der Strafsache gegen Laszlo M***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall StGB, AZ 13 Hv 172/07f des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz vom 24. Jänner 2008, AZ 11 Bs 24/08z (ON 159), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Laszlo M***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Dem Bund wird der Ersatz der mit 700 EUR zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer bestimmten Beschwerdekosten auferlegt.

Text

Gründe:

Laszlo M***** wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 8. Jänner 2008 (ON 161) des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßigen schweren Betruges als Beteiligter nach §§ 12 dritter Fall, 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall und 15 StGB schuldig erkannt. Über ihn wurde eine Freiheitsstrafe von drei Jahren verhängt, von der gemäß § 43a Abs 4 StGB iVm § 43 Abs 1 StGB ein Teil von zwei Jahren für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Der Angeklagte meldete Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an.

Einen nach Verkündung des Urteils gestellten Enthaftungsantrag des Angeklagten Laszlo M***** wies der Schöffensenat ab und setzte die am 28. Juli 2007 gemäß § 180 Abs 1, Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit a und lit b StPO aF verhängte Untersuchungshaft (S 191/I) aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 1, Abs 2 Z 1 StPO fort, wobei diese Entscheidung mündlich damit begründet wurde, dass der Angeklagte nach eigenen Angaben seinen Aufenthalts- und Wohnort in Ungarn habe und schon aufgrund des Urteils erster Instanz die Gefahr bestehe, dass er sich in Ungarn verborgen halten werde (S 312/IV). In der Beschlussausfertigung wurde der Haftgrund ausschließlich auf die fehlende inländische, jedoch aufrechte ungarische Integration gestützt (ON 162).

Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Graz mit dem angefochtenen Beschluss nicht Folge und führte zum (ausschließlich angenommenen) Haftgrund der Fluchtgefahr aus, dass sich das Erstgericht mängelfrei auf das Fehlen jeglicher Integration im Inland habe stützen dürfen. Der Beschwerdeführer lebe mit seiner Gattin und einer gemeinsamen 18-jährigen Tochter in einem in seinem Eigentum befindlichen Einfamilienhaus in Ungarn, beziehe dort eine monatliche Pension von 600 EUR und habe einen offenen Kredit in der Höhe von 6.200 EUR zu bedienen. Er habe Ende 2006 die zur Gänze ihm gehörige „M***** Bau Management Service GmbH" in Wien gegründet, wobei die Herkunft der aufgebrachten Hälfte der Mindeststammeinlage von 35.000 EUR fraglich sei. Bis zur Konkurseröffnung am 22. September 2007 sei er dieser Gesellschaft als alleiniger Geschäftsführer vorgestanden. Zweck der Gründung des Unternehmens seien den Angaben des Angeklagten folgend in Ungarn in dieser Höhe nicht erzielbare Einkünfte gewesen. Während der aktiven Geschäftstätigkeit der Gesellschaft bis zum Konkurs sei er in einer Mietwohnung in Wien aufhältig und teilweise polizeilich gemeldet gewesen, an den meisten Wochenenden habe er seine Angehörigen in Ungarn besucht. Durch die Insolvenz der GmbH sei die berufliche Integration weggefallen. Auch wenn er in Ungarn privat integriert sei, zeige „die unschwere Verlagerung seiner Tätigkeit nach Österreich zum Zwecke besserer Verdienstmöglichkeit ein ihm weiterhin zu unterstellendes Bestreben, eventuell außerhalb seines Heimatlandes beruflich tätig zu sein". Trotz fehlender Anhaltspunkte für zurückliegende Änderungen des Wohnsitzes in Ungarn bzw für einen sonstigen Auslandsbezug des unbescholtenen Beschwerdeführers, der im Falle der Haftentlassung bei seiner Familie in Ungarn Wohnung zu nehmen beabsichtigt, sei „bei diesen persönlichen Verhältnissen konkret zu befürchten, er werde sich der Strafverfolgung durch die österreichischen Behörden durch (zweitweiliges) Verlassen seines ungarischen Wohnortes zum Zwecke der Beschäftigungsaufnahme auch außerhalb seines Heimatlandes zu entziehen versuchen". Daran ändere auch der Umstand nichts, dass das inländische Strafverfahren im Falle einer allenfalls erfolgreichen Auslieferung oder Übergabe aus Ungarn nach erheblicher Verzögerung fortgesetzt werden könne. Auch der erstinstanzlich verhängte unbedingte Teil der Freiheitsstrafe, von dem erst die Hälfte verbüßt sei, bilde einen nicht zu vernachlässigenden Fluchtanreiz. Das Beschwerdegericht verneinte die Substituierbarkeit der Haft durch die gelinderen Mitteln des Gelöbnisses und der Abnahme des Reisepasses, setzte aber für eine Aufhebung der Untersuchungshaft eine Kaution in der Höhe von 30.000 EUR fest.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten Laszlo M*****, die sich ausschließlich gegen die Annahme des Haftgrundes der Fluchtgefahr und ergänzend gegen die Höhe der festgesetzten Kaution richtet.

Nach seinem Vorbringen sei er in Ungarn sozial integriert und an der Adresse des in seinem Eigentum stehenden Hauses wohnhaft und erreichbar. Weder bestehe aufgrund bestimmter Tatsachen die Gefahr, er werde auf freiem Fuß wegen des Ausmaßes der ihm voraussichtlich bevorstehenden Strafe oder aus anderen Gründen flüchten oder sich verborgen halten, noch stehe ein Aufenthalt in Ungarn einem in Österreich geführten Strafverfahren entgegen, zumal Ungarn ein Mitgliedstaat der Europäischen Union sei, dem Schengengebiet angehöre und in Vollziehung des Europäischen Haftbefehls auch eigene Staatsbürger ausliefere.

Die rechtliche Annahme einer der in (nunmehr) § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren wird vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens dahin überprüft, ob sie aus den angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durften, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich angesehen werden müsste.

Bestimmte Tatsachen, auf die die Sachverhaltsannahme zu einem Haftgrund gegründet sein müssen, können sowohl äußere als auch innere - wie Charaktereigenschaften und Wesenszüge des Beschuldigten - Umstände sein, wobei sie sich jedenfalls aus dem aktuellen Einzelfall ergeben müssen und nicht bloß allgemeine Erfahrungstatsachen darstellen dürfen (Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 180 Rz 28). Solche konkreten Tatsachen, aus denen die Annahme der Fluchtgefahr abgeleitet werden durfte, sind der Entscheidung des Oberlandesgerichts Graz nicht zu entnehmen.

Die spekulative Möglichkeit neuerlicher Versuche, bessere Verdienstquellen im Ausland zu erschließen, vermag aufgrund der bisherigen und auch für die Zukunft unterstellten sozialen Integration in Ungarn nicht die Annahme des Haftgrundes der Fluchtgefahr zu begründen, zumal das Beschwerdegericht selbst lediglich davon ausgeht, der Angeklagte könnte „zeitweilig" seinen ungarischen Wohnort „aus Beschäftigungsgründen" - nicht somit, um sich durch Flucht dem österreichischen Strafverfahren zu entziehen - verlassen.

Soweit sich das Beschwerdegericht auf die unbestrittene fehlende inländische Integration stützt, steht dem die attestierte - mangels konkreter Anhaltspunkte auch für die Zukunft gefestigt anzunehmende - Integration in Ungarn gegenüber, wobei zu berücksichtigen ist, dass einem Vollzug eines europäischen Haftbefehles kein ungarischer Vorbehalt für eigene Staatsbürger entgegensteht.

In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokutur war demnach auszusprechen, dass durch den angefochtenen Beschluss eine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit des Laszlo Ferenc M***** stattgefunden hat, und diese Entscheidung zu kassieren. Gemäß § 7 Abs 2 GRBG sind die Gerichte verpflichtet, mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln unverzüglich einen der Rechtsauffassung des Obersten Gerichtshofs entsprechenden Zustand herzustellen. Die Kostenersatzpflicht des Bundes gründet sich auf § 8 GRBG.

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