OGH 11Os154/07t

OGH11Os154/07t29.1.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. Jänner 2008 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp, Dr. Danek und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wieltschnig als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Hannes L***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichts beim Landesgericht Wiener Neustadt vom 3. Oktober 2007, GZ 037 Hv 131/06f-53, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Hannes L***** wurde mit Urteil des Geschworenengerichts beim Landesgericht Wiener Neustadt vom 22. Mai 2006, GZ 43 Hv 9/06h-32, mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB (I), mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (II) sowie des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB (III) schuldig erkannt. Danach hat er zwischen dem Jahr 2003 und dem Jahresbeginn 2005

I. wiederholt sein Glied in den Anus des am 11. Dezember 1996 geborenen Johannes L***** eingeführt, wobei die Taten eine massive psychische Störung des Unmündigen von weit über 24tägiger Dauer zur Folge hatten;

II. durch die zum Schuldspruch I beschriebenen Tathandlungen mit seinem minderjährigen Sohn mehrmals geschlechtliche Handlungen vorgenommen und III. Johannes L***** durch die Drohung, er werde widrigenfalls dessen Mutter und Schwester töten, zur Unterlassung der Mitteilung einer der zum Schuldspruch I beschrieben Tathandlungen genötigt. Einer gegen dieses Urteil erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde gab der Oberste Gerichtshof mit Urteil vom 26. September 2006, GZ 11 Os 82/06b-6, teilweise Folge, hob den Wahrspruch der Geschworenen, wonach die von der Hauptfrage I umfasste Tat eine schwere Körperverletzung der unmündigen Person zur Folge gehabt habe, und das darauf beruhende Urteil in der Unterstellung dieser dem Schuldspruch

I zugrunde liegenden Tat unter die Qualifikationsnorm des § 206 Abs 3 erster Fall StGB sowie demzufolge auch im Strafausspruch auf und verwies die Strafsache an ein anderes Geschworenengericht beim Landesgericht Wiener Neustadt zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung zurück.

Mit dem nunmehr angefochtenen Urteil wurde Hannes L***** unter Einbeziehung (und unter unnötiger Wiederholung - vgl Ratz, WK-StPO § 293 Rz 6) des rechtskräftigen Teiles des Urteiles des Geschworenengerichts beim Landesgericht Wiener Neustadt vom 22. Mai 2006, GZ 43 Hv 9/06h-32, ua schuldig erkannt, durch die dort zu I angeführten Tathandlungen dem am 11. Dezember 1996 geborenen Johannes L***** eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine massive psychische Störung „bzw" eine posttraumatische Belastungsstörung von weit über 24tägiger Dauer zugefügt und dadurch das Verbrechen nach § 206 Abs 1 und 3 erster Fall StGB begangen zu haben.

Die Geschworenen hatten die einzig gestellte (uneigentliche) Zusatzfrage nach Vorliegen einer schweren Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) als Folge des (bereits im ersten Rechtsgang in Rechtskraft erwachsenen) schweren sexuellen Missbrauchs bejaht.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Annahme der Qualifikation des § 206 Abs 3 erster Fall StGB richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 5, 8 und 12 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Die Verfahrensrüge (Z 5) kritisiert die Abweisung des Antrages des zweiten Verteidigers auf „Einholung eines weiteren psychologisch/psychiatrischen Sachverständigengutachtens durch einen anderen SV auf diesem Gebiet, da ausschließlich ein Test über das Entwicklungsalter, jedoch nicht die persönliche Begutachtung durchgeführt wurde" mit der Begründung, das Gutachten des Sachverständigen Univ.-Prof. Dr. Werner L***** sei „nicht lege artis" durchgeführt worden (S 123 f/II). Der mündlich gestellte Antrag verweist dabei nur auf nicht zum Akt genommene Stellungnahmen von Privatgutachtern, ohne selbst darzulegen, ob und welche Mängel iSd §§ 125 f StPO aF die in der Hauptverhandlung eingeholte Expertise aufweisen soll. Nur bei Vorliegen der in diesen Gesetzesstellen genannten Voraussetzungen wäre vom Erstgericht aber ein weiteres Gutachten einzuholen gewesen.

Im Übrigen hat der Sachverständige Univ.-Prof. Dr. Werner L***** sein Gutachten nicht nur auf den von ihm hilfsweise herangezogenen Test über das Entwicklungsalter, sondern insbesondere auf das Studium der Krankengeschichte, aller Vorbefunde von Psychologen und Ärzten sowie auf die persönliche Untersuchung des Kindes gestützt (S 115/II). Warum dessen ungeachtet ein weiterer Persönlichkeitstest hätte durchgeführt werden sollen, wird bei Antragstellung nicht dargetan. Die in der Beschwerde erstmals behaupteten Gutachtensmängel durch Hinweis auf isoliert herausgegriffene, insgesamt nicht entscheidungsrelevante Details sind im Hinblick auf das Neuerungsverbot im Nichtigkeitsverfahren unbeachtlich. Gleichfalls konnte der Antrag auf Einholung eines Gutachtens aus dem Gebiet der Chirurgie „zur Klärung der psychischen Schäden" zum Beweis dafür, „dass bei der festgestellten Penetration spätere sichtbare Schäden auftreten müssen und aufgrund des Nichtauftretens nur leichte psychische Folge aufgetreten sind" (S 125/II), ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgelehnt werden, lief er doch - abgesehen von der evidenten Unschlüssigkeit - nicht nur auf eine Erkundungsbeweisführung hinaus, sondern ist er auch im Hinblick auf die Nichtannahme einer körperlichen Verletzung nicht entscheidungswesentlich.

Soweit die Beschwerde - obwohl sie selbst zugesteht, dass der StPO ein Recht der Parteien, die vom Gericht ausgewählten Sachverständigen formell abzulehnen, fremd ist (vgl Hinterhofer, WK-StPO § 120 Rz 5) und eine Überprüfung von Expertisen prozessordnungskonform nur mittels erheblicher Einwendungen (§ 120 StPO aF) erwirkt werden kann - gleichwohl behauptet, die Ablehnung des Sachverständigen, „da er mit Prof. Max F***** in Kontakt steht" (S 127/II), sei vom Gericht unter rechtsirriger Annahme, es bestehe „kein förmliches Ablehnungsrecht der Parteien gegenüber dem Sachverständigen" (S 129/II), verworfen worden, verkennt sie, dass auf den Anschein der Befangenheit gegründete Einwendungen nur dann beachtlich sind, wenn zu erkennen ist, dass der Sachverständige sein Gutachten auch dann zu ändern nicht gewillt sein würde, wenn Verfahrensergebnisse dessen Unrichtigkeit aufzeigen (RIS-Justiz RS0115712). Dies wird aber weder im Beweisantrag noch in der Beschwerde behauptet.

Im Übrigen sind die Erwägungen des Schwurgerichtshofes zutreffend, dass die bloße Kritik an einem (zulässigen, weil zum Aufgabenbereich eines Sachverständigen zur Befunderhebung gehörenden) Kontakt des Gutachters mit dem behandelnden Arzt nicht geeignet ist, irgendwelche, geschweige denn substanzielle, Zweifel an seiner vollen Unbefangenheit zu wecken.

Der Instruktionsrüge (Z 8) zuwider hat die den Geschworenen schriftlich zu erteilende Belehrung nur eine Darlegung von Rechtsbegriffen zu enthalten. Elemente des zu beurteilenden Sachverhalts, wie hier der Tatumstände, die einen Eintritt einer „massiven psychischen Störung bzw einer posttraumatischen Belastungsstörung von über 24tägiger Dauer" erkennbar machen, sind - wie etwa auch in Gutachten oder Aussagen vorkommende Fachausdrücke - Gegenstand der nach § 323 Abs 2 StPO abzuhaltenden Besprechung, in der die in die Fragen aufgenommenen gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung auf den ihnen zugrunde liegenden Sachverhalt zurückzuführen sind (Philipp, WK-StPO § 321 Rz 10, 16). Aus welchen Gründen die in der schriftlichen Rechtsbelehrung aufscheinende Anführung jener Kriterien, die bei Beurteilung des Vorliegens einer „länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsstörung" iSd § 84 Abs 1 StGB zu berücksichtigen sind (S 146/II; vgl Fabrizy StGB9 § 84 Rz 2, 5), zur Beurteilung des Schweregrades einer psychischen Beeinträchtigung nicht ausreichen soll, ist der Beschwerde nicht zu entnehmen. Die Subsumtionsrüge (Z 12) richtet sich gegen die Annahme der Qualifikation der schweren Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), erschöpft sich jedoch in der Behauptung, die im Wahrspruch festgestellten tatbestandserfüllenden Tatsachen könnten mangels „Feststellung" eines „suizidalen Impulses oder eines Borderline-Syndroms" nicht als schwere Körperverletzung gewertet werden. Dabei versäumt sie jedoch jegliche juristische Argumentation, warum die angeführten Elemente für die rechtliche Qualifikation im vorliegenden Fall von Bedeutung sein sollten. Der unter Hinweis auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs erfolgte bloße Vergleich unterschiedlicher Sachverhalte entspricht keineswegs den Anfechtungskriterien dieses materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrunds. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher teils als unbegründet, teils als nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO).

Daraus folgt, dass zur Entscheidung über die Berufung das Oberlandesgericht Wien zuständig ist (§§ 285i Abs 1, 344 StPO). Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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