OGH 14Os158/07b (14Os159/07z)

OGH14Os158/07b (14Os159/07z)18.12.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Dezember 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp und Hon.-Prof. Dr. Schroll sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Aschaber als Schriftführerin in der Strafsache gegen Birgit W***** wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB über die vom Generalprokurator gegen zwei Vorgänge im Verfahren AZ 3 U 42/07b des Bezirksgerichtes Traun erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Gegenwart des Vertreters der Generalprokuratur, Staatsanwältin Dr. Michel-Kwapinski, und des Verteidigers Dr. Jäger, jedoch in Abwesenheit der Verteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Im Verfahren AZ 3 U 42/07b des Bezirksgerichtes Traun verletzen

1. die in der Hauptverhandlung vom 26. Februar 2007 vorgenommene Verlesung der sicherheitsbehördlichen Angaben des Zeugen Emanuel El S***** § 252 Abs 1 StPO iVm § 458 Abs 5 StPO;

2. die Unterlassung der Zustellung des Hauptverhandlungsprotokolls an die Beschuldigte spätestens zugleich mit der Urteilsausfertigung § 271 Abs 6 letzter Satz StPO.

Das Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichtes Traun vom 26. Februar 2007 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Der Sachwalter wird mit seiner Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Im Strafverfahren gegen Birgit W***** wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB, AZ 3 U 42/07b des Bezirksgerichtes Traun wurde am 26. Februar 2007 gemäß § 459 StPO die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Beschuldigten durchgeführt, weil diese trotz gehöriger - durch Hinterlegung erfolgter - Ladung (S 1) nicht erschienen war.

Nach Verlesung des „wesentlichen Akteninhalts" wurde Birgit W***** mit Abwesenheitsurteil (ON 5) wegen des genannten Vergehens zu einer Geldstrafe verurteilt.

Die Urteilsbegründung stützt sich auf die - in der Strafanzeige (ON 2) enthaltenen - „Beobachtungen" des in der Hauptverhandlung nicht vernommenen Kaufhausdetektivs Emanuel El S*****.

Am selben Tag verfügte die Bezirksrichterin die Zustellung einer Urteilsausfertigung samt Rechtsbelehrung, nicht aber einer Ausfertigung des Protokolls über die Hauptverhandlung an die Beschuldigte (S 27).

Gegen das am 1. März 2007 der Beschuldigten zugestellte Urteil erhob deren Sachwalter (und nun bevollmächtigter Verteidiger) Rechtsanwalt Dr. Alfred J*****, der mit Beschluss des Bezirksgerichtes Linz-Land vom 27. August 2002, GZ 14 P 279/01i-27, zwecks Einkommens- und Vermögensverwaltung, Vertretung bei Rechtsgeschäften, Vertretung bei Ämtern, Behörden und Gerichten und Organisation psychosozialer Betreuungsmaßnahmen bestellt worden war, am 20. August 2007 „volle" Berufung, über welche bislang nicht entschieden wurde.

Rechtliche Beurteilung

Folgende Vorgänge stehen - wie der Generalprokurator in seiner deshalb zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

1. Nach der - gemäß § 458 Abs 5 StPO auch im Verfahren vor dem Bezirksgericht geltenden - Regelung des § 252 Abs 1 StPO dürfen (ua) gerichtliche und sonstige amtliche Protokolle über die Vernehmung von Zeugen sowie andere amtliche Schriftstücke, in denen Aussagen von Zeugen festgehalten worden sind, bei sonstiger Nichtigkeit nur in den im Gesetz genannten Fällen (§ 252 Abs 1 Z 1 bis 4 StPO) verlesen werden. Da im vorliegenden Fall nach der Aktenlage keiner dieser Ausnahmetatbestände vorlag, war die Verlesung der Angaben des Zeugen Emanuel El S***** unzulässig. Insbesondere kann aus dem Nichterscheinen der Beschuldigten zur Hauptverhandlung nicht deren Einverständnis iSd § 252 Abs 1 Z 4 StPO abgeleitet werden (Kirchbacher, WK-StPO § 252 Rz 103).

Die unzulässige Verlesung war nach der Beweiswürdigung des Bezirksgerichtes die Grundlage für den Schuldspruch, sodass die Formverletzung der Beschuldigten auch zum Nachteil gereichte. Im neu durchzuführenden Verfahren wird allenfalls deren Zurechnungsfähigkeit im Tatzeitpunkt sowie die Verhandlungsfähigkeit zu prüfen und der - dem Erstgericht erst durch seine Eingabe vom 10. August 2007 (ON 16) bekannt gewordene - Sachwalter zu beteiligen sein.

2. Gemäß § 271 Abs 6 letzter Satz StPO idF der Strafprozessnovelle 2005 ist eine Ausfertigung des Protokolls über die Hauptverhandlung den Parteien, soweit sie nicht darauf verzichtet haben, ehest möglich, spätestens aber zugleich mit der Urteilsausfertigung zuzustellen (Danek, WK-StPO § 271 Rz 40; Fabrizy StPO9 ErgH § 271 Rz 6). Indem das Bezirksgericht Traun der Beschuldigten bloß das Urteil mit Rechtsmittelbelehrung zustellen ließ, ist es dieser Verpflichtung nicht nachgekommen.

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