OGH 6Nc17/07p

OGH6Nc17/07p13.9.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Pimmer als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schenk und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Pflegschaftssache mj Bärbel S*****, geboren am *****, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichtes Linz vom 31. Mai 2007, GZ 20 P 133/07v-S-19, gemäß § 111 Abs 1 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Führung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht St. Veit an der Glan wird nicht genehmigt.

Text

Begründung

Beim Bezirksgericht Linz ist ein Verfahren betreffend die Obsorge der mj Bärbel S***** anhängig. Mit Beschluss vom 31. Mai 2007 übertrug das Bezirksgericht Linz die Zuständigkeit zur Besorgung dieser Pflegschaftssache gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht St. Veit an der Glan. Dies wurde damit begründet, dass sich das „Kind" (richtig: die Kindesmutter) ständig in 3074 „Mistelbach" (richtig: Michelbach) bei St. Pölten aufhalte. Es sei daher zweckmäßiger, wenn das Bezirksgericht St. Veit an der Glan diese Pflegschaftssache führe. Dieser Beschluss wurde den Kindeseltern am 8. 6. 2007 bzw 11. 6. 2007 zugestellt. Die Kindesmutter richtete ein Schreiben an das Bezirksgericht Linz, welches letztlich als Rekurs gegen den Übertragungsbeschluss gewertet wurde, in der Folge jedoch von der Sachwalterin der Kindesmutter nicht genehmigt wurde. Von Seiten des Kindesvaters wurde kein Rechtsmittel erhoben.

Das Bezirksgericht St. Veit an der Glan lehnte die Übernahme der Zuständigkeit ab. Im Moment sei kein stabiler Aufenthaltsort der Minderjährigen gegeben. Vor der Obsorgeentscheidung stehe nicht fest, ob das Kind im Sprengel des Bezirksgerichtes St. Veit an der Glan auch verbleiben werde. Aufgrund des Zusammenhangs des Verfahrens sei die Bearbeitung der gegenständlichen Pflegschaftssache durch das Bezirksgericht Linz vorteilhafter. Dieses Gericht habe sich auch bereits eingehend mit dem konkreten Antrag befasst. Allfällige weitere Einvernahmen der Kindesmutter sowie des Kindesvaters und der Minderjährigen könnten ohne weitere Verzögerungen vom bisher mit der Pflegschaftssache befassten Bezirksgericht Linz vorgenommen und die Entscheidung gefällt werden, ohne dass dadurch Interessen der Minderjährigen gefährdet würden.

Erst anlässlich der Vorlage der Akten an den Obersten Gerichtshof führte das Bezirksgericht Linz als Begründung für seinen Beschluss vom 31. 5. 2007 an, die Minderjährige halte sich seit Dezember 2006 ständig in Mödritsch bei ihrem Vater auf, dem schließlich auch die vorläufige alleinige Obsorge übertragen worden sei. Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 111 Abs 1 JN kann, wenn dies im Interesse eines Pflegebefohlenen gelegen erscheint und namentlich wenn dadurch die wirksame Handhabung des dem Pflegebefohlenen zugedachten vormundschafts- oder kuratelsbehördlichen Schutzes voraussichtlich befördert wird, das zur Besorgung der vormundschafts- oder kuratelsbehördlichen Geschäfte zuständige Gericht von Amts wegen oder auf Antrag seine Zuständigkeit zur Gänze oder die Aufsicht und Fürsorge über die Person des Pflegebefohlenen oder die Ausübung der dem Gerichte in Ansehung der Vermögensangelegenheiten des Pflegebefohlenen zukommenden Obliegenheiten ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen. Die Übertragung wird nach § 111 Abs 2 JN wirksam, wenn das andere Gericht die Zuständigkeit oder die ihm übertragenen Geschäfte übernimmt. Im Falle der Weigerung des anderen Gerichtes bedarf die Übertragung zu ihrer Wirksamkeit der Genehmigung des den beiden Gerichten zunächst übergeordneten gemeinsamen höheren Gerichtes.

Als Ausnahmebestimmung ist § 111 JN grundsätzlich restriktiv auszulegen (Fucik in Fasching2 § 111 JN Rz 2). Die Regelung bezweckt die Sicherstellung der wirksamsten Handhabung des pflegschaftsbehördlichen Schutzes (Fucik aaO Rz 3). Verlegt daher der Pflegebefohlene seinen ständigen Aufenthalt - und damit den Mittelpunkt seiner gesamten Lebensführung und wirtschaftlichen Existenz - in einen anderen Gerichtssprengel, so kann eine Zuständigkeitsübertragung an jenes Gericht erfolgen, in dessen Sprengel der nunmehrige Lebensmittelpunkt liegt.

Der Umstand, das noch offene Anträge vorliegen, ist kein grundsätzliches Übertragungshindernis (Fucik aaO Rz 3). Allerdings wird die Übertragung der Zuständigkeit von der Rechtsprechung in der Regel dann abgelehnt, wenn noch nicht endgültig über die Obsorge entschieden ist, solange der Aufenthalt des gesetzlichen Vertreters und damit des Kindes instabil ist (Fucik aaO mwN). Weiters wird die Übertragung der Zuständigkeit dann abgelehnt, wenn offene Anträge vorliegen, zu deren Erledigung das bisher zuständige Gericht, insbesondere nach unmittelbarer Beweisaufnahme, abgeschlossenen Ermittlungen oder wegen seiner Tatsachenkenntnisse und seiner eingehenden Vertrautheit mit den Problemen, besser geeignet ist (Fucik aaO Rz 3 mwN), wie dies etwa in der Endphase eines Pflegschaftsverfahrens (Fucik aaO Rz 3 mwN) der Fall ist. Im vorliegenden Fall hält sich die Minderjährige seit 20. 12. 2006 bei ihrem Vater in Kärnten auf und besucht seit 8. 1. 2007 die Volksschule in Altenmarkt. Demgegenüber hält sich die Kindesmutter nunmehr in Michelbach bei St. Pölten auf. Im Hinblick auf das Fehlen einer endgültigen Obsorgeentscheidung kann zum derzeitigen Zeitpunkt aber noch nicht endgültig beurteilt werden, ob der Aufenthaltswechsel der Minderjährigen von Dauer sein wird. Dazu kommt, dass das Bezirksgericht Linz bereits umfangreiche Erhebungen gepflogen hat und auch bereits das Landesgericht Linz als Rekursgericht eingeschritten ist. Bei dieser Sachlage erscheint aber die vom Erstgericht ausgesprochene Übertragung der Zuständigkeit verfrüht. Eine Übertragung zum derzeitigen Zeitpunkt würde dem Ausnahmecharakter der Regelung des § 111 JN nicht ausreichend Rechnung tragen, würde dann doch letztlich jeder - wenn auch vorübergehende - Aufenthaltswechsel des Kindes eine Änderung der Zuständigkeit des Pflegschaftsgerichtes nach sich ziehen. Der Übertragung der Zuständigkeit war daher die Genehmigung zu versagen.

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