OGH 11Os61/07s

OGH11Os61/07s21.8.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. August 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gutlederer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johann S***** wegen der Verbrechen des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht St. Pölten vom 5. März 2007, GZ 20 Hv 146/06v-57, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Johann S***** der Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (Punkt 1 des Urteilssatzes) und des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB (2) schuldig erkannt. Danach hat er am 22. September 2006 in Königstetten

1) der Sieglinde F***** eine schwere Körperverletzung absichtlich zugefügt, indem er im Zuge eines Nachbarschaftsstreites mehrfach mit einer Hacke auf sie einschlug, wodurch sie einen offenen Schädelbruch im Bereich des Scheitelbeins rechts und einen offenen Unterarmbruch rechts mit Verletzung des Speichennerves, sohin eine an sich schwere Verletzung erlitt, und

2) den Martin F***** zu töten versucht, indem er im Zuge eines Nachbarschaftsstreites mehrfach mit einer Hacke auf ihn einschlug, wodurch dieser einen offenen Schädelbruch im Scheitel- und Hinterhauptbereich, einen Bruch des fünften Mittelhandknochens rechts, Rissquetschwunden in der linken Schläfenregion und hinter dem linken Ohr und eine Prellung des linken Schlüsselbeins mit Abschürfung erlitten hat.

Die Geschworenen verneinten die Hauptfrage I nach versuchtem Mord an Sieglinde F***** und bejahten die Eventualfrage (II) nach absichtlicher schwerer Körperverletzung, worauf die Beantwortung der Eventualfrage (III) nach schwerer Körperverletzung iSd §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und Abs 2 Z 1 StGB folgerichtig unterblieb; die Hauptfrage IV nach versuchtem Mord an Martin F***** wurde hingegen bejaht. Die Zusatzfragen nach Notwehr (VII), Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (VIII), Putativnotwehr (IX) und nach Putativnotwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (X) wiederum wurden von den Geschworenen - stimmeneinhellig - verneint, weshalb die Eventualfragen in Richtung § 87 Abs 1 StGB und §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und Abs 2 Z 1 StGB (V und VI) ebenso wie jene nach fahrlässiger Körperverletzung zum Nachteil der beiden Tatopfer (XI) unbeantwortet blieben.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Gründe der Z 4, 6, 8 und 10a des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, welcher indes keine Berechtigung zukommt. Aus § 345 Abs 1 Z 4 StPO releviert der Beschwerdeführer eine Verletzung des nichtigkeitsbewehrten Gebotes der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung (§ 228 Abs 1 StPO) mit der Behauptung, das Tor zum Gerichtsgebäude sei am Tag der Hauptverhandlung (5. März 2007) nach der gegen 15.00 Uhr geschlossenen Verhandlung um 15.30 Uhr versperrt worden, wodurch interessierte Prozessbeobachter keinen Zugang zur Verkündung des Urteils nach Wiedereröffnung der Sitzung (17.20) gehabt hätten; indes zu Unrecht.

Es kann dahin gestellt sein, ob - die Richtigkeit der Sachbehauptung vorausgesetzt - die unter Nichtigkeitssanktion stehende Bestimmung des § 228 Abs 1 StPO hiedurch überhaupt verletzt wurde. Denn nach § 345 Abs 3 StPO kann der Nichtigkeitsgrund der Z 4 zum Vorteil des Angeklagten nicht geltend gemacht werden, wenn unzweifelhaft erkennbar ist, dass die in Rede stehende Formverletzung auf die Entscheidung keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluss geübt hat. Dass aber der Umstand, dass zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung die Öffentlichkeit nicht in vollem Umfang gegeben gewesen sein sollte, auf die zuvor in geheimer Beratung erfolgte Urteilsfindung der Geschworenen und des Schwurgerichtshofes irgendeinen Einfluss gehabt haben konnte, ist auszuschließen, weshalb der geltend gemachte Verfahrensmangel dem angefochtenen Urteil nicht anhaftet. Die zu § 345 Abs 1 Z 6 StPO vorgetragene Kritik, die Frage nach dem Vorliegen einer Notwehrsituation (Zusatzfrage VII) habe sich bei beiden Opfern nur auf die Zufügung der Verletzungen, nicht aber auf den Mordversuch bezogen (Hauptfragen I und IV), ist schon deshalb verfehlt, weil diese Zusatzfrage ausdrücklich (auch) für den Fall der Bejahung der Hauptfragen I und IV gestellt wurde. Weshalb der Umstand, dass die Frage an die tatsächlichen Tatfolgen, nämlich die Verletzungen der Sieglinde (richtig: F*****) und des Martin (richtig: F*****) anknüpft, dazu angetan gewesen sein sollte, die Geschworenen diesbezüglich irrezuführen, erklärt die Beschwerde nicht. Gleiches gilt für den gegen die kumulative Anführung beider Tatopfer in den Zusatzfragen VII bis X erhobenen Einwand. Ebenso wie eine - gemäß § 317 Abs 2 StPO im Ermessen des Schwurgerichtshofes gelegene - Zusammenfassung der Fragen, ob mehrere Angeklagte eine ihnen angelastete Tat begangen haben, in Betracht kommt, wenn die Verfahrensergebnisse für alle Angeklagten im Wesentlichen gleichartig sind und die Frage unter diesem Gesichtspunkt für alle gleich beantwortet werden kann (Schindler, WK-StPO § 317 Rz 16), ist die Stellung einer nach den einzelnen Opfern eines tätlichen Angriffs eines Angeklagten nicht differenzierenden Zusatzfrage zulässig, wenn das Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung nur eine für alle Tatopfer gleichlautende Beurteilung zulässt.

Dies trifft, worauf die Generalprokuratur in ihrer Stellungnahme zutreffend hinweist, im vorliegenden Fall zu, weil sich der Angeklagte dahin verantwortet hat, auf Sieglinde F***** und deren später hinzugekommenen Ehemann Martin F***** erst mit der Hacke eingeschlagen zu haben, als er bereits von beiden festgehalten worden sei und sich demnach einem einzigen Angriff beider gegenüber gesehen habe (S 10 bis 13 des Hauptverhandlungsprotokolles ON 56). Für die Frage nach dem Vorliegen einer (Putativ-) Notwehrsituation lag sohin ein in Ansehung beider Tatopfer einheitliches Tatsachenvorbringen vor, weshalb die Gefahr einer für den Angeklagten nachteiligen pauschalen Beurteilung der einzelnen ihm vorgeworfenen Handlungen nicht bestand. Mit dem Vorbringen, dass angesichts der Darstellung der Sieglinde F*****, wonach sie bei der ersten Attacke des Beschwerdeführers bei der Gewindestange gehockt sei und sofort laut um Hilfe geschrien habe, worauf Martin F***** sofort zu ihr gelaufen sei, „unschwer eine Situation vorstellbar sei", in der sich der Angeklagte einem (vermeintlichen) Angriff des Martin F***** ausgesetzt gesehen habe, entfernt sich die Beschwerde in spekulativer Weise vom Tatsachenvorbringen des Angeklagten, welches allein die Annahme einer Notwehrsituation indizierte, und verfehlt solcherart eine prozessordnungsgemäße Darstellung des relevierten Nichtigkeitsgrundes.

Lediglich der Vollständigkeit halber sei bemerkt, dass sämtliche Zusatzfragen (VII bis X) in einer alternativen Zusatzfrage zusammenzufassen gewesen wären, um dem Willen der Mehrheit der Geschworenen auch bei unterschiedlicher Beantwortung der einzelnen Fragen zweifelsfrei Ausdruck zu verleihen (Schindler, WK-StPO § 313 Rz 32, § 317 Rz 19, 20). Fallbezogen ist aber auszuschließen, dass dem Angeklagten durch die gesonderte Fragestellung nach Notwehr, Notwehrüberschreitung, Putativnotwehr und Putativnotwehrüberschreitung ein Nachteil entstand, wurde doch jede einzelne dieser Fragen von den Laienrichtern jeweils stimmeneinhellig verneint.

Dem unsubstantiierten Beschwerdevorbringen zuwider wurde die unter anderem für den Fall der Bejahung einer der Zusatzfragen VIII, IX und X zu beantwortende Eventualfrage XI (nach fahrlässiger Körperverletzung) rechtsrichtig nach den Zusatzfragen gestellt (Schindler, WK-StPO § 317 Rz 29).

Auch die Instruktionsrüge (Z 8) schlägt fehl.

Unrichtig ist eine Rechtsbelehrung, wenn sie mit den einschlägigen Gesetzen oder Grundsätzen des Straf- oder Strafverfahrensrechtes im Widerspruch steht (Fabrizy StPO9 § 345 Rz 11 mwN). Weshalb dies bei der vorliegenden - wenngleich entbehrlichen - Zusammenfassung der Vorsatzformen der Wissentlichkeit und Absichtlichkeit unter den Begriff des „bösen" Vorsatzes, wie er noch in § 1 des vor dem Strafgesetzbuch geltenden Strafgesetzes verwendet wurde, der Fall sein soll, ist nicht nachvollziehbar.

Die den Geschworenen schriftlich erteilte Rechtsbelehrung beschreibt die Charakteristika des bedingten Vorsatzes zwar dahin, dass der Täter das verbrecherische Übel ernsthaft für möglich hält und - bezüglich der Folgen seiner Handlung - darin einwilligt, es billigt, damit einverstanden ist oder sich damit abfindet, bringt damit jedoch unmissverständlich zum Ausdruck, dass schon ein Sich-Abfinden (§ 5 Abs 1 StGB) mit dem ernstlich für möglich gehaltenen Taterfolg zur Tatbestandsverwirklichung hinreicht. Wenn die Rechtsbelehrung höhere Anforderungen an die Erfüllung des gesetzlichen Tatbestandes stellen würde als im Gesetz vorgesehen, könnte dies im Übrigen - unbeschadet des absoluten Charakters dieses Nichtigkeitsgrundes - zu Gunsten des Angeklagten nicht geltend gemacht werden, weil dieser dadurch nicht beschwert ist.

In Ansehung der Hauptfragen nach versuchtem Mord (I und IV) kritisiert die Beschwerde das Fehlen der Abgrenzung des bedingten Vorsatzes (§ 5 Abs 1 StGB) von bewusster Fahrlässigkeit (§ 6 Abs 2 StGB), legt aber nicht dar, weshalb eine derartige Abgrenzung angesichts des Inhaltes der Hauptfragen in Verbindung mit dem vom Angeklagten zugestandenen Versetzen von Schlägen mit einer Hacke auf den Kopf (S 10 bis 13 des Hv-Protokolls ON 56) erforderlich gewesen wäre. Aus der Niederschrift der Geschworenen ist diesbezüglich für den Standpunkt des Beschwerdeführers nichts zu gewinnen, denn die laienhaften Formulierungen lassen nicht darauf schließen, dass die Geschworenen unzureichend über die maßgeblichen rechtlichen Grundlagen unterrichtet worden wären.

Auch der Einwand, dass der Begriff der Fahrlässigkeit erst unter Bezugnahme auf die von den Geschworenen schließlich nicht beantwortete Eventualfrage nach fahrlässiger Körperverletzung (XI) unter einleitender Wiedergabe des Textes des § 6 Abs 1 StGB erklärt wurde, lässt eine gesetzesgemäße Darstellung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes vermissen, weil er außer Acht lässt, dass die Rechtsbelehrung als Einheit aufzufassen ist und zudem eine mündliche Besprechung des Vorsitzenden mit den Geschworenen (§ 323 Abs 2 StPO) stattgefunden hat, die die Zurückführung der in die Fragen aufgenommenen gesetzlichen Merkmale auf den konkreten Sachverhalt zum Gegenstand hatte.

Weshalb es angesichts der ausführlichen Erläuterung der Voraussetzungen für die Annahme eines Notwehrexzesses, einer Putativnotwehr oder eines Putativnotwehrexzesses zu den Zusatzfragen VIII, IX und X erforderlich gewesen sein sollte, zu erklären, was dogmatisch unter einem Entschuldigungsgrund zu verstehen ist, führt die Beschwerde nicht aus.

Dem Beschwerdevorbringen zuwider findet sich die Belehrung darüber, was unter asthenischem und asthenischem Affekt zu verstehen ist, im Anschluss an die Verwendung dieser Begriffe. Inwieweit die Geschworenen einer näheren Beschreibung des Wortes „Affekt" bedurft hätten, wird in der Beschwerde gleichfalls nicht dargelegt. Nach Prüfung des Vorbringens zur Tatsachenrüge (Z 10a) anhand des Akteninhalts ergeben sich keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch festgestellten Tatsachen. Dies gilt für den Umstand, dass sowohl die Zeugin Sieglinde F***** als auch der Zeuge Martin F***** vor Gericht in einigen Details ausdrücklich von früheren Aussagen abwichen ebenso wie für die Aussage der Sieglinde F***** in der Hauptverhandlung, wonach sie das Tatgeschehen mit ihrem Ehemann unter wechselseitiger Ergänzung rekonstruiert habe. Dass der Angeklagte die in unmittelbarer Nähe zum Tatort verwahrten Schusswaffen unberührt ließ, löst ebenfalls keine Zweifel der geforderten Art an dessen, von den Geschworenen mit der Bejahung der Hauptfrage IV festgestellten Tötungsvorsatz aus.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher teils als nicht gesetzesgemäß ausgeführt, teils als offenbar unbegründet, bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§§ 344, 285 d StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Wien zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 344, 285i StPO).

Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.

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