OGH 13Os72/07y

OGH13Os72/07y1.8.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. August 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Höller als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gernot S***** wegen des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 zweiter SatzStGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Jugendschöffengericht vom 9. Februar 2007, GZ 14 Hv 14/07w-33, sowie die (gemäß § 498 Abs 3 StPO implizierte) Beschwerde des Angeklagten gegen den unter einem gefassten Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den zu D und E ergangenen Schuldsprüchen und demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung), weiters der zugleich gefasste Beschluss auf Verlängerung einer Probezeit, aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Soweit mit Nichtigkeitsbeschwerde angefochten, wurde Gernot S***** in Tateinheit begangener Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 2 StGB (D) und der gefährlichen Drohung nach § 107 „Abs 1" StGB (E) schuldig erkannt.

Danach hat er in Graz

D) am 4. April 2006 Senad B***** in verabredeter Verbindung mit zwei

namentlich genannten Personen durch Faustschläge, Zu-Boden-Stoßen und Tritte, wodurch dieser eine Schädelprellung und ein Hämatom am linken Auge erlitt, am Körper verletzt;

E) in Tateinheit mit dem zu D) geschilderten Vorfall zu der mit den Worten: „Ich stech Dich ab!" erfolgten gefährlichen Bedrohung des Senad B***** durch Kevin F***** „mit dem Tod" beigetragen, indem er diesem zur Bekräftigung der Drohung ein aufgeklapptes Klappmesser übergab.

Rechtliche Beurteilung

Der nominell aus Z 3 „bzw 8", der Sache nach aus Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt Berechtigung zu.

Dem angefochtenen Urteil ist nämlich keine Feststellung des Inhalts zu entnehmen, die die rechtliche Beurteilung erlauben würde, dass der am 31. Jänner 2007 gefasste Beschluss, das am 24. Juli 2006 vorläufig eingestellte (§ 7 Abs 1 [§§ 90b, 90d Abs 1 StPO] JGG; ON 16 in ON

30a) Verfahren wegen der zu D und E genannten Tat fortzusetzen (§ 7 Abs 1 [§§ 90b, 90h Abs 2 Z 1 StPO] JGG; ON 23 in ON 30a), im Urteilszeitpunkt in Rechtskraft erwachsen war. Ein in erster Instanz gefasster Fortsetzungsbeschluss vermag das durch die vorläufige Einstellung eingetretene, nur für den Fall der Rechtskraft einer beschlossenen Fortsetzung auflösend bedingte Verfolgungshindernis für sich allein noch nicht zu beseitigen. § 90 l Abs 4 zweiter Satz StPO verleiht einer gegen die nachträgliche Einleitung oder Fortsetzung des Strafverfahrens erhobenen Beschwerde vielmehr aufschiebende Wirkung.

Da das Schöffengericht die zur Beseitigung des von ihm in tatsächlicher Hinsicht konstatierten (vorläufigen) Verfolgungshindernisses erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat, leiden die angefochtenen, solcherart rechtlich unschlüssigen Schuldsprüche zu D und E an einem vom Beschwerdeführer zutreffend aufgezeigten Rechtsfehler, welcher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung deren Aufhebung nach sich zieht (§§ 285e erster Satz, 288 Abs 2 Z 3 zweiter SatzStPO).

Wie der Vollständigkeit halber angemerkt sei, sind fehlende Feststellungen in Betreff eines sog Ausnahmesatzes als Feststellungsmangel geltend zu machen. Machen indes fehlende Feststellungen die rechtliche Beurteilung, hier die Folgerung der nachträglichen Beseitigung eines in tatsächlicher Hinsicht konstatierten Ausnahmesatzes unschlüssig, bedarf es, anders als bei der Geltendmachung von Feststellungsmängeln, keines Hinweises auf ein der Beseitigung entgegenstehendes, in der Hauptverhandlung vorgekommenes Sachverhaltssubstrat. In einem solchen Fall ist nämlich das Vorliegen eines Strafausschließungsgrundes iwS stets als indiziert anzusehen, während es umgekehrt unsinnig wäre, die Gerichte zu verhalten, stets zu allen denkbaren Strafausschließungsgründen iwS negative Feststellungen zu treffen. Letzterenfalls trifft das Gericht nur dann die Pflicht, zu einem Ausnahmesatz in tatsächlicher Hinsicht Stellung zu beziehen, wenn dieser durch ein in der Hauptverhandlung vorgekommenes (vgl § 258 Abs 1 StPO) Sachverhaltsubstrat indiziert ist. Folgerichtig obliegt es dem das Fehlen solcher Feststellungen reklamierenden Beschwerdeführer, auf ein derartiges Sachverhaltssubstrat hinzuweisen, um so klarzustellen, dass das Gericht einer - erst unter dieser Voraussetzung bestehenden - rechtlichen Verpflichtung nicht nachgekommen ist (zur Abgrenzung von Feststellungsmängeln und Rechtsfehlern infolge fehlender Feststellungen vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 598 ff; RIS-Justiz RS0119884, RS0118580; 14 Os 28/05g, EvBl 2005/170, 809; 13 Os 179/03, 13 Os 16/04, EvBl 2005/10, 33 [= SSt 2004/35]; vgl auch Fabrizy StPO9 § 281 Rz 55).

Für die Annahme einer bereits in der vorläufigen Einstellung gelegenen Aburteilung iSd Art 4 7. ZPMRK besteht übrigens nach Ansicht des erkennenden Senats keine Veranlassung, sodass Überlegungen in Richtung der Natur eines rechtskräftigen Fortsetzungsbeschlusses als Wiederaufnahmsgrund iSd Art 4 Abs 2 7. ZPMRK nicht vonnöten sind (vgl aber Thienel/Hauenschild, Verfassungsrechtliches „ne bis in idem" und seine Auswirkung auf das Verhältnis von Justiz- und Verwaltungsstrafverfahren, JBl 2004, 69, 153, welche auf Abs 2 rekurrieren, ohne jedoch zwischen Einstellung und vorläufiger Einstellung zu diffenzieren [158 f], und 1581 BlgNR

22. GP 30 [Pkt 3.3.5.]).

Im Fall erneuter Verurteilung wegen der zu D und E genannten Tat wären die vom Angeklagten erbrachten Leistungen nicht (bloß, wie vorliegend rechtsfehlerhaft geschehen; Z 11 zweiter Fall) auf die Strafe anzurechnen, vielmehr bereits bei der Strafbemessung selbst in Anschlag zu bringen (Schroll, WK-StPO § 90h Rz 16 mit Judikaturnachweis).

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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