Spruch:
Das Strafverfahren steht dem Landesgericht Korneuburg zu. Zur Entscheidung über die Anklageeinsprüche der Beschuldigten Karl K***** und Peter W***** ist das Oberlandesgericht Wien berufen.
Text
Gründe:
Der vorliegende negative Kompetenzkonflikt betrifft die Frage nach der örtlichen Zuständigkeit für ein vom Landesgericht Korneuburg gemäß § 57 StPO ausgeschiedenes Strafverfahren.
Nach Ansicht des Oberlandesgerichtes Wien ist die Zuständigkeit des Landesgerichtes Korneuburg im Hinblick auf § 58 StPO nicht mehr gegeben. Diese Bestimmung ordnet an, dass das Gericht, das eine Ausscheidungsverfügung (§ 57 StPO) getroffen hat, auch für die ausgeschiedene Strafsache zuständig bleibt, es sei denn, dass für sie, abgesehen vom Zusammentreffen mit anderen Strafsachen, ein Gericht niedrigerer Ordnung oder ein Gericht gleicher Ordnung, das einem anderen Gerichtshof zweiter Instanz untersteht, zuständig wäre. In diesem Sinn sei für das ausgeschiedene Verfahren das Landesgericht für Strafsachen Graz zuständig.
Hingegen ist nach Ansicht des Oberlandesgerichtes Graz im ausgeschiedenen Verfahren durchaus ein Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit eines Gerichtes im Sprengel des Oberlandesgerichtes Wien gegeben, sodass zufolge § 58 StPO das Landesgericht Korneuburg für die ausgeschiedene Strafsache weiter zuständig bleibe.
Im Einzelnen:
1. Im Verfahren des Landesgerichtes Korneuburg, AZ 404 Ur 180105k, legte die Staatsanwaltschaft Korneuburg mit Anklageschrift vom 27. September 2006, 4 St 335/05f-10 (ON 23), Karl K***** die Verbrechen der betrügerischen Krida nach §§ 156 Abs 1 und Abs 2, 161 Abs 1 StGB (A/I/) und des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB (A/II/) sowie das Vergehen des Vorenthaltens von Dienstgeberbeiträgen zur Sozialversicherung nach § 153c Abs 1 (und Abs 2) StGB (A/III/) und Dkfm. Peter W***** das Verbrechen der betrügerischen Krida nach §§ 156 Abs 1 und Abs 2, 161 Abs 1 StGB als Beitragstäter nach § 12 dritter Fall StGB (B./) zur Last. Danach haben sie „in Straden
A. Karl K*****
I. als (de facto) Geschäftsführer der K***** GmbH und der Herbert B***** GmbH, sohin als leitender Angestellter einer juristischen Person (§ 161 Abs 1 StGB), die Schuldnerin mehrerer Gläubiger war, Bestandteile des Vermögens der K***** GmbH und der Herbert B***** GmbH beiseite geschafft bzw verringert und dadurch die Befriedigung der Gläubiger vereitelt bzw geschmälert, wobei er durch die Tat einen 50.000 Euro übersteigenden Schaden herbeiführte, indem er
1. im Zeitraum vom 16. Oktober 2003 bis 7. April 2004 die Angestellten der K***** GmbH bzw der Herbert B***** GmbH auf Grund eines Arbeitsüberlassungsvertrages für die Grenzland Vieh- und Fleischhandels GmbH verwendete, ohne dafür den genannten Unternehmen die im Vertrag vereinbarte Zahlung von 1.224 Euro pro Arbeitstag in voller Höhe zukommen zu lassen, somit das Vermögen der K***** GmbH bzw der Herbert B***** GmbH um den wirtschaftlichen Wert dieser Leistung im Betrag von zumindest 53.856 Euro verringert;
2. im Zeitraum vom 16. Oktober 2003 bis 31. Mai 2005 die betrieblichen Anlagen und Fahrzeuge des Schlachthofes der K***** GmbH bzw der Herbert B***** GmbH nutzte, ohne dafür den genannten Unternehmen ein angemessenes Nutzungsentgelt zukommen zu lassen, somit das Vermögen der K***** GmbH bzw der Herbert B***** GmbH um den wirtschaftlichen Wert dieser Nutzung im Betrag von zumindest 57.000 Euro verringert;
3. im Zeitraum vom 18. Oktober 2003 bis 22. Dezember 2003 vom Konto der K***** GmbH bzw der Herbert B***** GmbH beim Bankhaus K***** mit der Nr. 1800-084459 Gelder in mehreren Teilbeträgen im Wert von insgesamt 77.000 Euro behob und nicht für Firmenzwecke der genannten Unternehmen verwendete;
4. im April 2004 ein rechtswirksames Pachtverhältnis zwischen der K***** GmbH bzw der Herbert B***** GmbH und der Grenzland Vieh- und Fleischhandels GmbH vortäuschte und durch die Vorlage eines rückdatierten Unternehmenspachtvertrages untermauerte und dadurch die ordnungsgemäße Übergabe des Schlachthofes an den Masseverwalter per 31. März 2004 verhinderte, weshalb der Masseverwalter ein Räumungsverfahren führen musste, somit das Vermögen der K***** GmbH bzw der Herbert B***** GmbH um den Wert der durch dieses Räumungsverfahren entstandenen Kosten im Betrag von zumindest 22.702 Euro verringert;
II. vom 14. Oktober 2003 bis 30. November 2003 gewerbsmäßig (§ 70 StGB) mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, dadurch, dass er als de facto Geschäftsführer der G***** GmbH als zahlungsfähiger und zahlungswilliger Vertragspartner auftrat und er seine tatsächliche finanzielle Situation, nämlich seine bereits vorliegende Zahlungsunfähigkeit verschwieg, seine Vertragspartner durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen, nämlich zur Lieferung von Waren im Wert von insgesamt zumindest 26.301 Euro verleitet, die sie an ihrem Vermögen schädigten, wobei der Schaden 3.000 Euro überstieg;
III. als Geschäftsführer der G***** GmbH, sohin als vertretungsbefugtes Organ einer juristischen Person, die die Pflicht zur Einzahlung der Beiträge von Dienstnehmern zur Sozialversicherung trifft, solche Beiträge in Höhe von insgesamt 27.555 Euro für den Zeitraum Oktober 2004 bis Februar 2005 dem berechtigten Versicherungsträger, und zwar der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse, vorenthalten.
B. Peter W***** im Zeitraum September 2003 bis Mai 2004 zur Ausführung der von Karl K***** unter den Fakten A/I/1, 2 und 4 angeführten strafbaren Handlungen beigetragen, indem er Karl K***** in diesem Sinn rechtlich beriet, einen rückdatierten schriftlichen Pachtvertrag herstellte und an den Masseverwalter Dr. Norbert S***** übermittelte."
2. Das mit Einsprüchen gegen diese Anklage durch die Beschuldigten Karl K***** und Dkfm. Peter W***** angerufene Oberlandesgericht Wien sprach mit Beschluss vom 29. Jänner 2007, AZ 17 Bs 328/06v, seine Unzuständigkeit aus und trat den Akt zur Entscheidung über die Anklageeinsprüche an das Oberlandesgericht Graz ab. Der Gerichtshof zweiter Instanz begründete dies unter Hinweis auf § 58 StPO im Wesentlichen damit, dass sämtliche den Beschuldigten zur Last gelegten Tathandlungen im Gerichtssprengel des Landesgerichtes für Strafsachen Graz gesetzt wurden, das einem anderen Gerichtshof zweiter Instanz unterstehe.
3. Das Oberlandesgericht Graz erklärte sich mit Beschluss vom 2. März 2007, AZ 10 Bs 47/07y, gleichfalls für unzuständig, weil nach der Aktenlage einer der dem Anklagevorwurf A.II. zugrunde liegenden Geschädigten, nämlich die Firma Josef P*****, im Sprengel des Oberlandesgerichtes Wien, nämlich in Jennersdorf (Burgenland) situiert sei (S 107/11, 795 ff/IV). Da nach der Judikatur beim Betrug als Tatort auch jener Ort in Betracht komme, an dem der Schaden eingetreten ist oder nach der Absicht des Täters hätte eintreten sollen (Mayerhofer StPO5 § 51 E 10), bleibe in Ansehung des Schadenseintritts in Jennersdorf das Landesgericht Korneuburg, das die Verfügung nach § 57 StPO getroffen habe, für die ausgeschiedene Strafsache gemäß § 58 StPO ebenso zuständig wie das Oberlandesgericht Wien als Einspruchsgericht.
Rechtliche Beurteilung
Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen:
Während das materielle Strafrecht bei der Frage nach dem Tatort bewusst der sogenannten Einheitstheorie folgt (Leukauf/Steiniger Komm3 § 67 Rz 4) und neben dem Ort der Handlung auch jenem des (tatsächlichen oder nach der Vorstellung des Täters angestrebten) Erfolgseintritts Bedeutung zumisst (§ 67 Abs 2 StGB), stellt die für die Zuständigkeit der Strafgerichte zu beachtende prozessuale Bestimmung des § 51 Abs 1 StPO in der Regel darauf ab, in welchem Gerichtssprengel die strafbare Handlung begangen wurde, und zwar auch dann, wenn der zum Tatbestand gehörige Erfolg an einem anderen Ort eingetreten ist.
Die dazu vom Oberlandesgericht Graz zitierte Judikatur (EvBl 1973/186 = 9 Os 98/72; ÖJZ-LSK 1981/129 = 12 Nds 34/81) hatte sich teilweise (EvBl 1973/186) nur mit der materiellrechtlichen Frage der inländischen Zuständigkeit zur Ahndung von Auslandstaten zu befassen und gründet sich, soweit sie die prozessuale Bestimmung des § 51 Abs 1 StPO betrifft, im Ergebnis - unter Bezugnahme auf SSt 40/12 sowie eine Glosse von Liebscher, die aber ebenfalls nur zum Umfang des Territorialgrundsatzes (nach § 37 StG) und in diesem Zusammenhang zur (materiellen) Vollendung des Betruges Stellung nimmt (ZfRV 1971, 311 f) - auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 6. Mai 1965, 9 Nds 158/65 (SSt 36/24), wonach die Zuständigkeit des Strafgerichtes zur Verfolgung eines Ehrenbeleidigungsdeliktes (auch) mit jenem Ort bestimmt werde, an dem der die inkriminierte Äußerung beinhaltende (geschlossene) Brief dem Beleidigten zur Kenntnis gelangte. Die Auslegung durch das Oberlandesgericht Graz lässt sich mit dem Wortlaut des § 51 Abs 1 StPO nicht vereinbaren.
Der als Regelfall normierte Gerichtsstand des Tatorts bestimmt sich nach jenem Ort, an dem die Gesetzesverletzung begangen, an dem also die Handlung des Täters gesetzt wurde, mag sie auch an einem anderen Ort eine Wirkung entfaltet haben (Lohsing/Serini4 105 f). Besteht die strafbare Handlung aus einer Mehrheit von Tätigkeiten, entscheidet nach SSt 32/64 für die Bestimmung des Tatortes gemäß § 51 Abs 1 StPO der Ort, an dem der Täter die Tätigkeit ausübt, durch welche die strafbare Handlung vollendet wurde.
Übrigens wird sich auch nach den Bestimmungen des mit 1. Jänner 2008 in Kraft tretenden Strafprozessreformgesetzes, BGBI I Nr 19/2004, die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren und jene des Gerichtes für das Hauptverfahren in erster Linie danach richten, in welchem Sprengel die Straftat ausgeführt wurde oder ausgeführt werden sollte. Nur dann, wenn dieser Ort im Ausland liegt oder nicht festgestellt werden kann, ist subsidiär (Pilnacek/Pleischl, Das neue Vorverfahren [2005] Rz 93) der Ort maßgebend, an dem der Erfolg eingetreten ist oder hätte eintreten sollen (§§ 25 Abs 1, 36 Abs 3 StPO idF BGBI I Nr 19/2004).
Der vom Oberlandesgericht Graz ins Treffen geführte Ort des Schadenseintritts vermag somit keine die örtliche Zuständigkeit begründende Wirkung zu entfalten.
4. Bei Prüfung der örtlichen Zuständigkeit ergibt sich aber aus einem anderen Grund als das Oberlandesgericht Graz vermeinte eine Anknüpfung im Sprengel des Oberlandesgerichtes Wien und damit die Fortdauer der Zuständigkeit des Landesgerichtes Korneuburg:
Beim inkriminierten Vorschützen einer nicht bestehenden Forderung durch Berufung auf einen rückdatierten Unternehmenspachtvertrag (A/I/4 und B der Anklageschrift) lag die zur Vollendung führende Tätigkeit bereits in der Präsentation der „Legende Unternehmenspachtvertrag" durch Peter W***** in der Tagsatzung vor dem Handelsgericht Wien am 29. April 2004, verbunden mit der gleichzeitigen Bestätigung deren Richtigkeit durch Karl K***** (S 125/IV), welche die Notwendigkeit der Klagsführung durch den Masseverwalter und damit den inkriminierten Vermögensschaden für die im Konkurs befindliche Herbert B***** GmbH zur Folge hatte (S 14 f der Anklageschrift).
Damit fiele dieses Faktum, allein betrachtet, in die örtliche Zuständigkeit des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, womit entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichtes Wien keineswegs für die gesamte ausgeschiedene Strafsache ein Gerichtsstand in einem anderen Oberlandesgerichtssprengel gegeben ist. Darauf kommt es in Fällen des § 58 StPO aber an (15 Nds 79/04-6). Zufolge dieser Bestimmung bleibt daher das Landesgericht Korneuburg auch nach der Verfahrensausscheidung weiterhin zuständig.
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