OGH 9ObA56/06k

OGH9ObA56/06k30.5.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl. Ing. Rudolf Pinter und Franz Gansch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Zentralbetriebsrat der V***** AG, *****, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei V***** AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG (Streitwert EUR 21.800), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Februar 2006, GZ 9 Ra 114/05h-11, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 23. Mai 2005, GZ 2 Cga 93/05t-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.189,44 (darin EUR 198,24 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Vom vorliegenden Feststellungsbegehren sind mehr als drei Arbeitnehmer in Betrieben betroffen, deren Belegschaft vom klagenden Betriebsrat vertreten wird. Auf die entsprechenden Arbeitsverhältnisse ist der Kollektivvertrag für Arbeiter der Elektrizitätsversorgungsunternehmen anzuwenden.

Abschnitt VI („Arbeitszeit") des Kollektivvertrages enthält folgende Z 16 („Verteilung der Normalarbeitszeit"), welche erst im Jahre 2001 Eingang in den KollV fand:

Die Wochenarbeitszeit ist nach Möglichkeit gleichmäßig auf fünf Tage zu verteilen. Soweit nicht durch Schichteinteilung eine andere Arbeitszeit erforderlich ist, hat die Normalarbeitszeit an Samstagen um 13.00 Uhr zu enden. Die tägliche Normalarbeitszeit kann bei regelmäßiger Verteilung der Gesamt-Wochenarbeitszeit auf vier zusammenhängende Tage durch Betriebsvereinbarung auf bis zu zehn Stunden ausgedehnt werden. Der arbeitsfreie Tag darf nicht auf einen Feiertag fallen.

Die wesentlich ältere und in ihrem Wortlaut gleich gebliebene Z 24 („Arbeitszeit am 24. und 31. Dezember") desselben Abschnitts VI lautet:

„Der 24. und 31. Dezember sind unter Lohnfortzahlung (bei Ausschluss der nicht pauschalierten Überstundenvergütungen) dienstfrei. Wird aus betrieblichen Erfordernissen am 24. oder 31. Dezember gearbeitet, so sind bezüglich der Abgeltung der Arbeitsleistung in der Normalarbeitszeit bis 12.00 Uhr Betriebsvereinbarungen abzuschließen; bezüglich Arbeiten nach 12.00 Uhr gelten die Bestimmungen über die Feiertagsentlohnung."

Entsprechend der Ermächtigung des Abschnittes VI Z 16 des Kollektivvertrages wurde zwischen den Streitteilen für die Betriebe Drau, Obere Donau, Kaprun/Salzach, Untere Donau, Malta/Reißeck und Zillertal eine Betriebsvereinbarung geschlossen, welche auszugsweise wie folgt lautet:

„1. Allgemeines:

Mit dieser Regelung wird für alle betroffenen Dienstnehmer die Normalarbeitszeitverteilung neu definiert und dem im Kollektivvertrag der Energieversorgungsunternehmen Österreich vorgesehen Ausmaß entsprechend, das sind derzeit 38,5 Stunden pro Woche, festgelegt.

...

3. Festlegung der Normalarbeitszeit:

Entsprechend den Bestimmungen der Kollektivverträge für die Angestellten und Arbeiter der EVU-Ö beträgt die wöchentliche Normalarbeitszeit 38,5 Stunden. Verteilung der täglichen Normalarbeitszeit (Standardmodell): Montag: 7.00 Uhr bis 17.00 Uhr,

Dienstag: 7.00 Uhr bis 17.00 Uhr, Mittwoch: 7.00 Uhr bis 17.00 Uhr,

Donnerstag: 7.00 bis 16.50 Uhr (jeweils inklusive einer halbstündigen Pause, die Mittagspause wird wie folgt festgelegt ...). ... Von dieser Pause werden an jedem der vier Arbeitstage zehn Minuten an die zu erbringende Wochenarbeitszeit angerechnet. Die Festlegung der Beginn- und Endzeiten der täglichen Normalarbeitszeit bzw der Pausen erfolgt für alle Dienstnehmer an den einzelnen Standorten einheitlich. ...

4. Sonstige Festlegungen: ...

Fällt auf den arbeitsfreien Freitag ein Feiertag, so gilt der letzte davor liegende Tag, an dem zu arbeiten ist, als arbeitsfrei. Wird an diesem Tag gearbeitet, so enthält der Dienstnehmer als Ersatz dafür an einem anderen Tag frei (Ersatz als Normalarbeitszeit 1 : 1)."

Von der Betriebsvereinbarung sind rund 800 Dienstnehmer betroffen. Im Jahre 2004 waren der 24. und 31. Dezember jeweils Freitage. Die von der „Vier-Tage-Woche" betroffenen Arbeitnehmer, welche von Montag bis Donnerstag in diesen Wochen gearbeitet hatten, erhielten keinen zusätzlichen freien Tag.

Mit seiner Feststellungsklage nach § 54 Abs 1 ASGG begehrt der Kläger die Feststellung, dass die im Rahmen der Arbeitseinteilung „4-Tage-Woche" tätigen Arbeitnehmer Anspruch darauf hatten, dass in den Kalenderwochen 52 und 53 des Jahres 2004, in die der 24. und 31. Dezember fielen, jeweils ein anderer Arbeitstag der Woche neben diesen beiden Tagen arbeitsfrei zu geben war. Zusammengefasst bringt der Kläger dazu vor, dass auch der 24. und 31. Dezember als „kollektivvertragliche Feiertage" zu beurteilen seien, für die die Regelung des Abschnitts VI Z 16 des Kollektivvertrags in Verbindung mit der Betriebsvereinbarung anzuwenden sei. Die betroffenen Arbeitnehmer hätten ihre Arbeitspflicht in den jeweiligen Wochen voll erfüllt und wären gegenüber solchen Arbeitnehmern, welche eine 5-Tage-Woche hätten, schlechter gestellt. Letztere hätten dienstfrei, ohne einer Arbeitsverpflichtung unterworfen zu sein, während nach dem Willen der Beklagten die von der 4-Tage-Woche betroffenen Arbeitnehmer mit dem 24. und 31. Dezember 2004 als freie Tage vorlieb nehmen müssten, ohne zu einem Ersatztag zu kommen. Eine solche Absicht könne jedoch den Parteien des Kollektivvertrages nicht unterstellt werden.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Beim 24. und 31. Dezember handle es sich nicht um Feiertage iSd Abschnitts VI Z 16 KollV. Wenn die Kollektivvertragsparteien dies gewollt hätten, wäre dies aus Abschnitt VI Z 24 entsprechend formuliert hervorgegangen. Da dies nicht der Fall sei, sei zwischen „Feiertagen" einerseits und „dienstfreien Tagen" andererseits zu unterscheiden. Falle daher nach vier Tagen Arbeit der fünfte Tag auf einen nur „dienstfreien" Tag, begründe dies keinen Anspruch auf einen weiteren freien Tag.

Das Erstgericht schloss sich der Rechtsauffassung der Beklagten an und wies das Klagebegehren ab.

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und somit dem Klagebegehren statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass eine vernünftige und den Interessen der Kollektivvertragspartner Rechnung tragende Auslegung nur dazu führen könne, dass auch der 24. Dezember und 31. Dezember als „Feiertage" iSd Art VI Z 16 KollV zu beurteilen seien und daher den Arbeitnehmern, welche im Rahmen der 4-Tage-Woche von Montag bis Donnerstag gearbeitet haben, für die Feiertage 24. und 31. Dezember 2004 jeweils ein weiterer freier Tag zustehe. Die Auslegung durch das Berufungsgericht trifft zu, sodass auf die Richtigkeit der eingehenden Begründung des angefochtenen Urteils verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO).

Lediglich ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin entgegenzuhalten:

Der von der Beklagten ins Treffen geführte „Anhang VI, Anmerkungen" enthält lediglich Auszüge aus dem ARG, dem Urlaubsgesetz, dem Bundesgesetz vom 3. Februar 1983, BGBl Nr. 81 (über die Änderungen von urlaubsrechtlichen Bestimmungen in Nebengesetzen). Aus dieser auszugsweisen, wörtlichen Wiedergabe von Rechtsquellen, die offensichtlich einer über den KollV hinausgehenden Information der Leser dient, ist somit für die Interpretation des Kollektivvertrags selbst nichts zu gewinnen.

Bei der Auslegung einer kollektivvertraglichen Norm darf den Kollektivvertragsparteien zumindest im Zweifel unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen und einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und daher eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten. Dabei ist auch ein „Blick über den Kollektivvertrags-Rand" als zusätzliches Auslegungskriterium heranzuziehen (RIS-Justiz RS0008897; RS0008828). Die Bestimmung des Abschnitts VI Z 16 KollV ist dahin zu interpretieren, dass es den Kollektivvertragsparteien darum ging, Arbeitnehmer mit einer 4-Tage-Woche hinsichtlich des Feiertagskonsums nicht schlechter zu stellen als Arbeitnehmer mit einer 5-Tage-Woche. Mit anderen Worten, Arbeitnehmer mit 4-Tage-Woche sollen den ihnen nach vier Arbeitstagen zustehenden Erholungstag nicht an einem Feiertag konsumieren müssen, der für Arbeitnehmer mit einer 5-Tage-Woche jedenfalls dienstfrei wäre. Die Arbeitszeitregelung des Abschnitts VI Z 24 betreffend 24. und 31. Dezember bezeichnet diese Tage zwar nicht ausdrücklich als „Feiertage", doch ist dem klaren Wortlaut zu entnehmen, dass auch diese Tage unter voller Lohnfortzahlung dienstfrei sein sollen. Für die Arbeiten ab 12.00 Uhr an diesen Tagen verweist der Kollektivvertrag sogar ausdrücklich auf die Bestimmungen über die Feiertagsentlohnung. Liegt nun der Zweck des Abschnitts VI Z 16 darin, Arbeitnehmer mit einer 4-Tage-Woche davor zu bewahren, ihren daran anschließenden Erholungstag an einem ohnehin für alle Arbeitnehmer dienstfreien Tag konsumieren zu müssen, ist - zumindest für den Anwendungsbereich der Z 16 - auch der 24. und 31. Dezember als „kollektivvertraglicher Feiertag" zu beurteilen. Die Entscheidung 4 Ob 132/84 (= JBl 1985, 694 = Arb 10.432 ua) steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Einerseits wurde damals die Regelung über 24. und 31. Dezember in § 4 des KollV für die Angestellten der EVU aus dem Blickwinkel des Urlaubsrechts beurteilt. Zum anderen konnte sich damals die Frage einer durch Kollektivvertrag bzw Betriebsvereinbarung festgelegten 4-Tage-Woche noch gar nicht stellen (s die Änderung des § 4a AZG durch BGBl I 46/1997). Eine solche Regelung fand auch erst 2001 Eingang in die KollV der Angestellten und Arbeiter der EVU.

Der Revision der Beklagten war daher ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 ZPO iVm § 14 lit a RATG.

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