OGH 14Os42/07v

OGH14Os42/07v8.5.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. Mai 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Frizberg als Schriftführerin in der Strafsache gegen Anthony O***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall, Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 3 SMG und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 4. September 2006, GZ 28 Hv 26/06t-194, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Oberstaatsanwalt Mag. Holzleithner, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Kier zu Recht erkannt:

 

Spruch:

I. In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Beurteilung der dem Schuldspruch B zugrunde liegenden Tat als Verbrechen der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB und demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst zu Recht erkannt:

Anthony O***** hat durch die im Schuldspruch B angeführte Tat das Vergehen der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB begangen und wird hiefür sowie für den aufrecht gebliebenen Schuldspruch wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall, Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 3 SMG unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 28 Abs 4 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Jahren verurteilt.

Die Vorhaftanrechnung wird dem Erstgericht überlassen.

II. Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

III. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

IV. Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auch einen rechtskräftigen Freispruch enthaltenden Urteil wurde Anthony O***** der Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall, Abs 3 erster Fall und Abs 4 Z 3 SMG (A) sowie der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB (B) schuldig erkannt.

Demnach hat er

A) Ende August/Anfang September 2005 im bewussten und gewollten

Zusammenwirken mit dem (seit 2. Februar 2006 flüchtigen) Solomon Og***** und dem abgesondert verfolgten Chidi O***** in Lagos/Nigeria und Linz gewerbsmäßig den bestehenden Vorschriften zuwider in 25 Holzstatuen versteckte 25.610,15 Gramm Kokain (enthaltend 17.900 +/- 490 Gramm Reinsubstanz), mithin Suchtgift in einer großen Menge (Abs 6), durch Versendung im Luftweg von Nigeria über die Niederlande nach Österreich aus- und eingeführt, wobei er die Tat mit Beziehung auf ein Suchtgift beging, dessen Menge zumindest das 25fache der Grenzmenge (Abs 6) ausmachte, sowie

B) zu einem unbekannten Zeitpunkt zwischen Ende September 2005 und Mitte Oktober 2005 in Linz Solomon Og***** durch gefährliche Drohung mit dem Tod, nämlich durch die in der Justizanstalt Linz getätigte Äußerung: „Wenn du meinen Namen nennst, bringe ich dich um; du sollst deine Aussage ändern", zu einer Handlung in Form einer ihn (Anthony O*****) entlastenden Aussage zu nötigen versucht.

Der vom Angeklagten dagegen aus den Gründen der Z 3, 4, 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt teilweise Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Die Verfahrensrüge (Z 3), wonach die Voraussetzungen für die Verlesung der Aussagen des flüchtigen Mitangeklagten Solomon Og***** nicht vorgelegen wären, weil das Erstgericht „nicht einmal den einfachsten Versuch einer direkten Zusendung der Ladung an die angeführte nigerianische Anschrift unternommen" habe, was aber in Anbetracht der Schwere des Tatvorwurfs zwingend erforderlich gewesen wäre, stellt solcherart die Verlesungsermächtigung nach § 252 Abs 1 Z 1 StPO in Frage, die (ua) dann vorliegt, wenn das persönliche Erscheinen eines Mitbeschuldigten (oder Zeugen) wegen unbekannten oder entfernten Aufenthalts füglich nicht bewerkstelligt werden kann. Sie wurde vom Erstgericht jedoch zutreffend darauf gestützt, dass der Mitangeklagte Og***** unbekannten Aufenthaltes ist, zumal er auch trotz der unmittelbar nach seiner Flucht am 2. Februar 2006 erlassenen nationalen und Europäischen Haftbefehle vom 2. Februar 2006 (ON 145 und 146) und der am 27. Februar 2006 veranlassten weltweiten Fahndung (ON 158) nicht ausgeforscht werden konnte. Damit war aber auch die „direkte Zusendung der Ladung" an die - frühere - nigerianische Anschrift entbehrlich, durfte das Erstgericht doch mit Recht davon ausgehen, der Mitangeklagte Solomon Og***** werde für längere Zeit unerreichbar sein (vgl im Übrigen die Angaben des Zeugen AI Andreas K*****, dass sich Og***** laut einem Informanten in Ghana aufhalten solle und mehrfache Interpolkontaktaufnahmen nach Nigeria unbeantwortet blieben; S 515 ff/IV) und somit dessen Aussagen unter Abstandnahme von einer unmittelbaren Beweisaufnahme gemäß leg cit verlesen (RIS-Justiz RS0098248).

Der weiteren Beschwerde (Z 4) zuwider handelt es sich bei der begehrten Vernehmung des Solomon Og***** aus den oben dargelegten Gründen um einen aussichtslosen und undurchführbaren Beweis (Mayerhofer StPO5 § 281 Z 4 E 106 und 109a), weil auch der Beschwerdeführer bei Antragstellung keine ladungsfähige Anschrift anzugeben vermochte und vielmehr nur vermuten konnte, dass Solomon Og***** nach seiner Flucht aus der geschlossenen Abteilung der Wagner-Jauregg Landesnervenklinik wieder in seine Heimat Nigeria zurückgekehrt sei.

Auch die (allein zum Schuldspruchfaktum A) begehrte Aussage des Zeugen Chidi O*****, gegen den gerichtliche Vorerhebungen wegen „§ 28 Abs 2, 3 und 4 Z 3 SMG" geführt werden (S 3aa verso der ON 1) und von dem nur der Vor- und Zuname, sonst aber keine weiteren Daten bekannt sind (weshalb auch seine Ausschreibung zur Fahndung nicht möglich ist; vgl ON 179b), ist ein unerreichbares Beweismittel, weil sich dieser angeblich im Ausland, nämlich in seiner Heimat Nigeria, befinden soll und so jedenfalls nicht in absehbarer Zeit vor Gericht gestellt werden kann. Hinzu kommt, dass der Genannte, weil er im Verdacht der Mittäterschaft steht, nicht einmal zu einer Aussage veranlasst werden könnte (Kirchbacher, WK-StPO § 246 Rz 31; Mayerhofer StPO5 § 246 E 7, § 252 E 27a und 29, § 281 Z 4 E 106). Der lapidare Einwand einer fehlenden Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellung zum Faktum A, wonach der Beschwerdeführer mit Chidi O***** und Solomon Og***** zu einem nicht mehr näher feststellbaren Zeitpunkt den Kokainimport von Nigeria über die Niederlande nach Österreich vereinbarte, übergeht gänzlich die ausführlichen Beweiserwägungen, in denen die Tatrichter - logisch und empirisch einwandfrei - aus einer kritischen Gesamtschau der Verfahrensergebnisse (auch) diese Urteilsannahme folgerten (US 15 ff, insbesondere 19 ff).

Entgegen dem weiteren Beschwerdeeinwand kann von einer fehlenden bzw allenfalls auch nur unzureichenden Begründung (Z 5 vierter Fall) der Gewerbsmäßigkeit der Tatbegehung zu Punkt A keine Rede sein, leitete doch das Erstgericht diese Urteilsannahme denkmöglich und somit formal einwandfrei aus dem äußeren Tatgeschehen, nämlich der von langer Hand geplanten, äußerst raffinierten und professionellen Vorgangsweise in Bezug auf eine überaus große Suchtgiftmenge ab (vgl insbesondere US 26).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a), den Feststellungen seien keinerlei konkrete Ausführungshandlungen des Angeklagten zu A zu entnehmen, orientiert sich nicht am Urteilssachverhalt in seiner Gesamtheit, der für die rechtliche Annahme der unmittelbaren Täterschaft des Angeklagten an der Aus- und Einfuhr des in Rede stehenden, in Holzstatuen versteckten Kokains eine durchaus zureichende Grundlage darstellt.

Für die Verwirklichung des (alternativen) Tatbestandes der Ein- und Ausfuhr von Suchtgift ist es nämlich nicht erforderlich, dass sich das Suchtgift im Zeitpunkt und am Ort des Grenzübertritts im Gewahrsam des - unmittelbaren - Täters befindet; es genügt vielmehr die auf welche Weise immer (zB Suchtgifttransport durch die Post oder ein anderes „Werkzeug") bewirkte Verbringung des Suchtgifts aus einem Land in ein anderes (Hinterhofer in Hinterhofer/Rosbaud SMG § 27 Rz 34 und § 28 Rz 44; Foregger/Litzka/Matzka SMG § 27 Anm IV.5). Nicht jeder Mittäter muss daher am Transport des Suchtgifts direkt beteiligt sein (Mayerhofer Nebenstrafrecht5 SMG § 28 E 64). Der Tatbestand der Ein- und Ausfuhr erstreckt sich eben nicht nur auf die Phase des unmittelbaren Grenzübertritts, sondern auch auf das ganze Geschehen von der Übergabe des Suchtgifts zur Beförderung im Ausland bis zur Übernahme desselben im Inland (Kodek/Fabrizy SMG § 27 Anm 2.2).

Den maßgeblichen Konstatierungen zufolge hatten Chidi O*****, Solomon Og***** und der Angeklagte die Einfuhr des Kokains von Nigeria über die Niederlande nach Österreich von langer Hand geplant. Das Suchtgift wurde sodann im bewussten und gewollten Zusammenwirken der drei genannten Personen von Lagos im Luftweg über die Niederlande nach Österreich aus- und eingeführt, indem sie die Verfrachtung des Suchtgifts im arbeitsteiligen Zusammenwirken organisierten, wobei von Anfang an der Angeklagte - tatplangemäß - das Kokain in Österreich in Empfang nehmen sollte. Letztgenannter hatte mit Solomon Og***** vor und zur Tatzeit des Suchtgifttransfers mehrfach telefonischen Kontakt (US 2 iVm [insb] 6, 11, 14 und 19 f).

Im Recht ist der Beschwerdeführer indes, soweit er zu Punkt B - nach der Aktenlage nicht begründbare - (weitere) Konstatierungen vermisst (Z 10), aus denen sich die Eignung der gegenständlichen Drohung mit dem Umbringen, dem bedrohten Solomon Og***** begründete Besorgnisse im Sinne der Realisierung des angekündigten schweren Übels, nämlich des Todes (iSd § 106 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB), einzuflößen, ableiten lässt.

Denn das Erstgericht stellte dazu bloß fest, dass der Angeklagte zu einem unbekannten Zeitpunkt zwischen Ende September 2005 und Mitte Oktober 2005 in Linz zu Solomon Og***** sagte: „Wenn du meinen Namen nennst, bringe ich dich um; du sollst deine Aussage ändern", wobei es ihm anlässlich dieser Äußerung darauf ankam, jenen durch eine gefährliche Drohung mit dem Tod zu einer Handlung in Form einer ihn (Anthony O*****) entlastenden Aussage zu zwingen (US 14). Die Rechtsfrage der Besorgniseignung im oben aufgezeigten Sinn kann aber fallbezogen unter Anlegung eines objektiv-individuellen Maßstabs (Jerabek in WK2 [2006] § 74 Rz 33 f; Kienapfel/Schroll BT I5 § 105 Rz 44; Schwaighofer in WK2 [2006] § 105 Rz 61 ff und § 106 Rz 2 f) auf Basis der erstrichterlichen Konstatierungen nicht bejaht werden, weil die (rein) verbale Todesdrohung - wie vom Beschwerdeführer zutreffend aufgezeigt wird - durch keine weiteren, besonders besorgniserregenden Umstände manifestiert wird. Grundlagen für zu erwartende andere Beweisergebnisse lägen nicht vor (Ratz, WK-StPO § 288 Rz 24). Bei der infolge der Teilkassation des Urteils notwendig gewordenen Strafneubemessung war das Zusammentreffen eines mehrfach qualifizierten Verbrechens mit einem Vergehen als erschwerend, als mildernd hingegen der bisherige ordentliche Lebenswandel des Angeklagten und die Umstände zu werten, dass das tatverfangene Suchtgift sichergestellt werden konnte (A), es teilweise beim Versuch blieb (B) und die Ausfertigung des Urteils mehr als fünf Monate in Anspruch nahm (Ebner in WK2 § 34 Rz 43).

Bei der vom Angeklagten übernommenen Rolle kann von einer untergeordneten Beteiligung keine Rede sein.

Berücksichtigt man, dass das in vorgeblichen Kunstgegenständen versteckte Suchtgift ca das 47fache der Übermenge ausmachte, mithin geeignet war einer unübersehbaren Anzahl von Abnehmern mit allen weiteren Konsequenzen massive Gesundheitsschäden zuzufügen, erweist sich bei einem bis zu 15 Jahre reichenden Rahmen eine neunjährige Freiheitsstrafe als dem Unrechtsgehalt der Taten und der Schuld des - selbst nicht suchtgiftabhängigen - Angeklagten angemessen. Die Vorhaftanrechnung wird dem Erstgericht überlassen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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