OGH 1Ob271/06v

OGH1Ob271/06v27.3.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rene Elias W*****, vertreten durch Dr. Hans Kröppel, Rechtsanwalt in Kindberg, wider die beklagte Partei Land Steiermark, wegen 5.000 EUR sA und Feststellung (Feststellungsinteresse 2.000 EUR), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 17. Oktober 2006, GZ 6 R 205/06w-6, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Graz vom 20. Juli 2006, GZ 41 C 756/06v-3, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rekurs- und Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der minderjährige Kläger wurde am 20. 1. 2005 im Rahmen einer Schulimpfung gegen Masern-Mumps-Röteln geimpft.

Mit seiner beim Bezirksgericht eingebrachten Klage begehrte er 5.000 EUR sA an Schmerzengeld sowie die Feststellung, dass ihm das beklagte Land für all jene Schäden hafte, die er aus der Impfung in Zukunft erleide, ausgenommen jene Schäden, die durch das Impfschadengesetz abgedeckt seien. Die Impfung sei im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung des Landes erfolgt. Vor der Impfung habe das Sanitätsreferat der beklagten Partei an die Eltern ein Informationsblatt geschickt, in welchem nur die positiven Wirkungen einer solchen Impfung unterstrichen worden seien. Aus diesem Grund hätten sich die Eltern des Klägers mit der Schulimpfung einverstanden erklärt. Auf allfällige Nebenwirkungen und ernsthafte Schäden, die im Zusammenhang mit der Impfung auftreten könnten, sei nicht hingewiesen worden. Die Impfung sei durch eine Amtsärztin (eine Landesbeamtin) vorgenommen worden, ohne dass zuvor eine Untersuchung auf Impfverträglichkeit erfolgt wäre. Die Impfung habe eine schwere Erkrankung, nämlich eine Immunthrombozytopenie hervorgerufen, weshalb eine stationäre Behandlung an der Universitätsklinik notwendig gewesen sei. Die Beklagte hafte für die Tätigkeiten ihrer Amtsärztin sowie für die mangelnde Aufklärung durch das Bezirkssanitätsreferat. Ein Schmerzengeld von 5.000 EUR sei angemessen. Das Feststellungsbegehren sei für den Fall des Wiederauftretens der Erkrankung erforderlich. Das zuständige Bundessozialamt habe über Antrag des Klägers den Impfschaden bescheidmäßig anerkannt.

Das Erstgericht wies die Klage a limine wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück. Die Organe der beklagten Partei hätten eine Aufgabe besorgt, die überwiegend der Erreichung hoheitlicher Ziele gedient habe, nämlich „dem Schutz der Allgemeinheit im öffentlichen Interesse". Dritten gegenüber sei jedenfalls der Anschein erweckt worden, dass die Impfung ein Akt der Hoheitsverwaltung sei. Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Da sich das Impfschadengesetz nach seinem Regelungszweck auf ganz bestimmte und eng umschriebene Tatbestände beziehe, welche die Klageansprüche laut Klagebehauptungen nicht deckten, stehe der ordentliche Rechtsweg (und nicht der Verwaltungsweg) offen. Es sei zu prüfen, ob der Klageanspruch nach dem AHG beurteilt werden müsse, da hievon die sachliche Zuständigkeit abhänge. Die Impfung sei als sogenannte „Schulimpfung" von einer Amtsärztin durchgeführt und im Impfpass eingetragen worden. Dies spreche eindeutig dafür, dass die Impfung als Ausfluss eines Hoheitsakts zu qualifizieren sei, da nach dem äußeren Anschein „der Staat" eine Tätigkeit im Rahmen der üblichen Impfaktionen in einer staatlichen Schule entfaltet habe. Der Revisionsrekurs des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger legt dar, die Empfehlungen des Obersten Sanitätsrats, bestimmte Impfungen durchzuführen, seien keine behördlichen Anordnungen, sondern bewirkten bloß, dass staatliche Impfaktionen für die Bevölkerung kostenlos erfolgen könnten. Erwachse jemandem aus einer empfohlenen Impfung ein Schaden, gäbe es Ansprüche nach dem Impfschadengesetz. Die Empfehlungen des Obersten Sanitätsrats hätten zwar die „Volksgesundheit" zum Ziele, es bestehe aber in Österreich keine Impfpflicht. Jede Impfung sei freiwillig und geschehe auf rechtsgeschäftlicher Basis zwischen dem „Impfling" und dem Arzt bzw dem (jeweiligen) Rechtsträger im Falle einer Impfung durch den Amtsarzt. Allein die Tatsache, dass es sich um eine „Schulimpfung" handle, widerspiegle keinesfalls ein hoheitliches Handeln. Die Vornahme von Impfungen in Schulen sei für die Landessanitätsdirektionen kostensparend und effizient, weil die entsprechenden Jahrgänge leicht erfassbar seien. Es handle sich auch nicht um eine „Schulveranstaltung", sondern übernehme die Schule nur gewisse organisatorische Tätigkeiten wie die Verständigung der Eltern und die Einholung deren Zustimmungserklärung. Verweigerten die Eltern die Zustimmung, so dürfe die Impfung nicht vorgenommen werden. Die Impfung sei daher im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung der beklagten Partei erfolgt.

Dazu ist auszuführen:

Gemäß § 5 Impfschadengesetz bleiben andere, über die Leistung nach dem Impfschadengesetz hinausgehende Ansprüche auf Grund anderer Rechtsvorschriften unberührt. Dabei kann es sich um Amtshaftungsansprüche handeln, falls eine Impfung von einem Amtsarzt in Vollziehung der Gesetze - allenfalls in Form eines verfahrensfreien Verwaltungsakts - vorgenommen wird. Für solche Ansprüche ist gemäß § 9 AHG das in erster Instanz mit der Ausübung der Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen betraute Landesgericht ausschließlich zuständig, also auch dann, wenn - wie hier - der Anspruch die Wertgrenzenzuständigkeit der Bezirksgerichte unterschreitet. Im Sinn des § 5 Impfschadengesetz unberührt bleibende Ansprüche sind aber auch Schadenersatzansprüche aus einem ärztlichen Behandlungsvertrag über die Vornahme einer Impfung, beispielsweise zufolge mangelnder Aufklärung über etwaige Nebenwirkungen und Risiken. Ob ein Amtshaftungsanspruch geltend gemacht wird, ist primär allein danach zu beurteilen, auf welche Behauptungen der Kläger seinen Anspruch stützt. Bei dieser Beurteilung hat das angerufene Gericht von den Klageangaben auszugehen und nur eine abstrakte Prüfung der Zuständigkeit unter Annahme der Richtigkeit der Klageangaben vorzunehmen (SZ 70/161; Mayr in Rechberger, ZPO3, § 41 JN Rz 3 mwN). Begründen diese Tatsachenbehauptungen die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht, führt dies zur Klagszurückweisung. Begründen sie dieselbe, erweisen sie sich aber im Verlauf des Verfahrens als unrichtig, dann ist die Klage mit Urteil abzuweisen. Im vorliegenden Fall behauptet der Kläger ein Fehlverhalten des beklagten Rechtsträgers, der ihm den behaupteten Schaden nicht in Vollziehung der Gesetze zugefügt haben soll, sondern im Wege der Nichterfüllung von Verpflichtungen aus einem im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung abgeschlossenen Behandlungsvertrag über die Vornahme einer Impfung. Er meint, das beklagte Land hafte wegen der nicht ausreichenden Aufklärung über die Risiken dieser Impfung wie auch für das Unterlassen der Impfverträglichkeitsuntersuchung. Der Ansicht der Vorinstanzen, die Impfung sei ausschließlich dem Bereich der Hoheitsverwaltung zuordenbar, weswegen gemäß § 9 Abs 1 AHG das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz zuständig sei, ist nicht beizupflichten:

Amtsärzte sind die bei den Sanitätsbehörden hauptberuflich tätigen Ärzte, die behördliche Aufgaben zu vollziehen haben (§ 41 Abs 1 Ärztegesetz 1998). Die Stellung von Amtsärzten setzt somit die Vollziehung behördlicher Aufgaben voraus. Eine solche Vollziehung liegt dann vor, wenn nach den einschlägigen Rechtsvorschriften die jeweilige Behörde verbindliche Normen einseitig erlassen oder Zwangsakte setzen kann. Dann wird sie im Rahmen der Hoheitsverwaltung tätig (Herdega in Emberger/Wallner, Ärztegesetz 1998, 161). Den Sanitätsbehörden kommt aber auch die Besorgung weiterer Aufgaben im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung (Art 17 B-VG) zu, sofern dies im Interesse der Volksgesundheit unerlässlich geboten ist. Dies ist etwa - auch ohne entsprechenden ausdrücklichen Gesetzesbefehl - dann der Fall, wenn seitens der Gesundheitsverwaltung Leistungen zur Vorbeugung von Krankheiten (zB Impfungen) angeboten werden (Kux/Emberger/Neudorfer/Chlan/Mahn, Ärztegesetz³, 361; Herdega aaO, 164). Eine Impftätigkeit durch Amtsärzte im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung ist also nicht ausgeschlossen. Die abstrakte Prüfung der Klageangaben ergibt, dass die Tatsachenbehauptungen des Klägers die Zuständigkeit des Bezirksgerichts begründen. Den Klagsbehauptungen zufolge hat das für die beklagte Partei tätig gewordene Sanitätsreferat die am Kläger vorgenommene Impfung empfohlen, also angeboten, ohne dass ein gesetzlicher Zwang für diese Impfung bestand. Die Eltern des Klägers stimmten diesem Anbot zu, sodass eine vertragliche Übereinkunft erzielt wurde. Dass sich die beklagte Partei bei der Vornahme der Impfung des bei ihr beschäftigten Amtsarztes bediente, bedeutet kein hoheitliches Tätigwerden. Ein solches läge nur vor, wenn die Impfung gesetzlich geboten gewesen wäre (siehe Loebenstein/Kaniak, Kommentar zum AHG, 46). Dass „die Schule" - offensichtlich zur Vereinfachung der praktischen Abwicklung - in die Impfung einbezogen wurde, vermag am privatwirtschaftlichen Handeln der beklagten Partei nichts zu ändern.

Gewiss könnte die beklagte Partei auch aus dem Titel der Amtshaftung in Anspruch genommen werden, würde die Impfung hier konkret im Wege der Hoheitsverwaltung vorgenommen worden sein. Dies ist - ausgehend von den Klagsangaben - aber nicht der Fall. Dass der Amtsarzt (regelmäßig) in Vollziehung der Gesetze handle, wenn er Schulkinder impft (so wortgleich Schragel, AHG³ Rz 72 und Loebenstein/Kaniak aaO, 164), ist für den erkennenden Senat nicht nachvollziehbar, insbesondere wenn man die zuvor schon zitierte Ansicht von Loebenstein/Kaniak (aaO, 46) als richtig ansieht.

In Stattgebung des Revisionsrekurses ist somit spruchgemäß zu entscheiden.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf die § 52 ZPO.

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