Spruch:
Aus Anlass der Revision werden die Urteile der Vorinstanzen und das vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die Wiederaufnahmsklage zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 3.861,81 (darin EUR 546,30 an USt und EUR 584 Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Im Vorprozess begehrte der Wiederaufnahmsbeklagte als damaliger Kläger, die Wiederaufnahmsklägerin und damalige Beklagte schuldig zu erkennen, die Benützung bestimmter im Eigentum des Wiederaufnahmsbeklagten stehender Grundstücke, insbesondere durch Begehen und Befahren, zu unterlassen, da sie dazu nicht berechtigt sei. Die nunmehrige Wiederaufnahmsklägerin wandte dagegen im Wesentlichen ein, sie benütze einen Servitutsweg über eines dieser Grundstücke, der seit jeher befahren und begangen werde. Auch der Rechtsvorgänger des Wiederaufnahmsbeklagten habe ein bestimmtes Grundstück nicht lastenfrei erworben; vielmehr sei immer klar gewesen, dass die Wiederaufnahmsklägerin auf den Servitutsweg angewiesen sei, welcher auch in der Natur deutlich sichtbar gewesen sei. Sie habe finanziell zur Errichtung des Güterwegs beigetragen. Auch wenn dieser Güterweg im strittigen Bereich kein öffentliches Gut darstelle, sei ihr Geh- und Fahrtrecht auf dem gesamten Güterweg immer „klar gewesen".
Das Erstgericht gab der Unterlassungsklage statt, weil ein Wegerecht zu Gunsten der nunmehrigen Wiederaufnahmsklägerin nicht bestehe; die Urteilsausfertigung wurde ihrem Prozessvertreter am 7. 6. 2004 zugestellt. Die von ihr erhobene Berufung blieb erfolglos. Das Berufungsurteil, in dem ausgesprochen wurde, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, wurde ihrem Prozessvertreter am 29. 11. 2004 zugestellt und erwuchs unbekämpft in Rechtskraft. Mit ihrer am 21. 12. 2004 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die Klägerin die (teilweise) Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens, weil im Nachhinein Tatsachen hervorgekommen seien, aus denen sich ergebe, dass sie berechtigt gewesen sei, zwei der insgesamt fünf vom Urteilsspruch im Vorverfahren erfassten Grundstücke zu benutzen. Ihrem Rechtsvertreter sei (am 2. 8. 2004) von der Gemeinde ein Schreiben des Amts der NÖ Landesregierung vom 25. 5. 2004 übermittelt worden, in dem unter anderem darauf hingewiesen worden sei, dass der fragliche Güterweg laut Verordnung der Gemeinde vom 22. 5. 1997 ab dem Zeitpunkt seiner Fertigstellung und Freigabe für den öffentlichen Verkehr gewidmet sei; dieser Weg sei bereits gebaut worden und somit entsprechend der Verordnung ab dem Zeitpunkt der Fertigstellung der Straßenanlage für den öffentlichen Verkehr gewidmet, weshalb es sich seit Eintritt dieser Voraussetzung bereits um eine öffentliche Straße handle. Daraus ergebe sich, dass die Klägerin - ohne dies zu wissen - schon vor Schluss der Verhandlung erster Instanz im Vorverfahren im Rahmen des Gemeingebrauchs berechtigt gewesen sei, den Güterweg in seiner gesamten Länge zu begehen und zu befahren. Hätte sie von diesen Tatsachen bereits vor Verhandlungsschluss Kenntnis gehabt, wäre das Klagebegehren jedenfalls hinsichtlich der beiden Grundstücke, über die die öffentliche Straße verläuft, abzuweisen gewesen. Das Erstgericht wies die Wiederaufnahmsklage (in merito) ab. In Ansehung der Rechtzeitigkeit der Wiederaufnahmsklage bestehe eine Bindung an die Rechtsansicht des Rekursgerichts, das in einem Aufhebungsbeschluss die Auffassung vertreten habe, die Vierwochenfrist des § 534 Abs 1 ZPO habe erst mit der Zustellung des Berufungsurteils im wiederaufzunehmenden Verfahren begonnen. Die Klage sei aber nicht berechtigt, weil auch eine Berücksichtigung des Inhalts der Verordnung im Vorverfahren zu keiner für die Klägerin günstigeren Entscheidung geführt hätte. Die Widmung des Güterwegs für den Verkehr sei nämlich von der Freigabe der Straßenanlage abhängig gemacht worden, die aber bisher nicht stattgefunden habe. Darüber hinaus sei der Klägerin ein Verschulden dahin vorzuwerfen, dass sie sich trotz ausreichender Anhaltspunkte vor Schluss der Verhandlung im Vorverfahren nicht über den Wortlaut des maßgeblichen Gemeinderatsbeschlusses informiert habe.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne einer Klagestattgebung ab, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands EUR 4.000, nicht aber EUR 20.000 übersteige, und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Ein Verstoß gegen die prozessuale Diligenzpflicht nach § 530 Abs 2 ZPO könne der Klägerin nicht vorgeworfen werden. Die Widmung als öffentliche Straße sei nicht von einer formellen Freigabe des Güterwegs abhängig gewesen, zumal auch die Organe der Gemeinde den Verordnungstext nicht in diesem Sinne interpretiert hätten. Der verwendete Begriff „Freigabe" sei in den „zugrunde liegenden" Straßengesetzen nicht definiert. Er sei daher wohl so zu interpretieren, dass es dabei um eine formlose Freigabe nach Vollendung der Bauarbeiten gehen sollte. Bei der Frage des nunmehr von der Klägerin behaupteten Gemeingebrauchs am strittigen Wegteil handle es sich um eine klassische quaestio mixta, also eine gemischte Frage mit Tatsachen- und Rechtselementen. Von der Klägerin bzw ihrem Rechtsvertreter zu verlangen, Nachforschungen anzustellen, um den Wortlaut des Gemeinderatsbeschlusses auszuforschen, mit dem die Weganlage für den öffentlichen Verkehr gewidmet wurde, würde die prozessuale Diligenzpflicht überspannen. Dass die Verordnung im Jahr 1997 an der Amtstafel der Gemeinde angeschlagen gewesen sei, reiche nicht, um eine Kenntnis der Klägerin zu begründen. Die begehrte Wiederaufnahme sei daher zu bewilligen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob die Widmung für den öffentlichen Verkehr im Falle der Verknüpfung mit einer „Freigabe" in der zugrunde liegenden Verordnung eine formelle Freigabe des Wegs voraussetze, fehle.
Der Beklagte macht in der gegen diese Entscheidung erhobenen Revision unter anderem geltend, die Klägerin habe sich in ihrer Wiederaufnahmsklage in Wahrheit nicht auf einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt im Vorverfahren berufen, sondern auf eine unrichtige rechtliche Beurteilung. Die maßgebliche Gemeindeverordnung habe bereits seit dem 22. 5. 1997 dem Rechtsbestand angehört und wäre schon im Vorverfahren zu berücksichtigen gewesen. Der Klägerin wäre auch ein Verstoß gegen ihre prozessuale Diligenzpflicht vorzuwerfen, weil bereits in dem ihr zugestellten Bescheid vom 14. 5. 1997 die Rede davon gewesen sei, dass es sich beim Güterweg um eine öffentliche Gemeindestraße handeln solle. Sie wäre daher schon viel früher in der Lage gewesen, „das neue Beweismittel anzubieten". Letztlich sei auch die Auslegung des Begriffs „Freigabe" in der Gemeindeverordnung durch das Berufungsgericht unzutreffend, weil man damit diesem Begriff im Ergebnis jeglichen normativen Gehalt entzöge. Unstrittig habe eine formelle Freigabe bezogen auf den gesamten Güterweg nicht stattgefunden; den auf dem Grund des Beklagten gelegenen Wegteil habe die Gemeinde bewusst nicht in das öffentliche Gut übernommen und sich auch nicht gegen die Aufstellung eines Schildes „Privatstraße" an der Grundgrenze verwehrt. Eine nähere Auseinandersetzung mit diesen Argumenten ist allerdings entbehrlich, weil anlässlich der Behandlung der Revision die Unzulässigkeit der Wiederaufnahmsklage wegen Verfristung hervorgekommen ist.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 534 Abs 1 und Abs 2 Z 4 ZPO ist die Wiederaufnahmsklage binnen der Notfrist von vier Wochen zu erheben, die von jenem Tage an zu berechnen ist, an welchem die Partei imstande war, die ihr bekannt gewordenen Tatsachen und Beweismittel bei Gericht vorzubringen. Diese Bestimmung wird allerdings in Lehre und Rechtsprechung dahin eingeschränkt, dass die Frist erst zu laufen beginnt, wenn eine für den Wiederaufnahmskläger ungünstige Entscheidung ergangen ist (SZ 12/83; Kodek in Rechberger³ § 534 ZPO Rz 5; Jelinek in Fasching/Konecny² IV/1 § 534 Rz 30 ua). Gemäß § 543 ZPO ist eine Wiederaufnahmsklage auch dann durch Beschluss zurückzuweisen, wenn sich erst bei der mündlichen Verhandlung ergibt, dass die Klage auf einen gesetzlich unzulässigen Anfechtungsgrund gestützt wird oder verspätet überreicht wurde. Kommt dies erst im Rechtsmittelverfahren zutage, hat das Rechtsmittelgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage zurückzuweisen (9 ObA 351/98b; 5 Ob 11/04k; Kodek in Rechberger³ § 543 ZPO Rz 1 f ua). Ist - wie hier - die Wiederaufnahmsklägerin bereits durch die erstinstanzliche Entscheidung im Vorverfahren beschwert, kann weder aus dem Wortlaut des § 534 Abs 2 Z 4 ZPO noch aus dessen erkennbarem Zweck abgeleitet werden, dass die betreffende Partei die Entscheidung des Berufungsgerichts abwarten und erst im Anschluss daran die vierwöchige Frist in Anspruch nehmen könnte (SZ 12/83). Dem steht auch der Umstand entgegen, dass mit dem Wiederaufnahmegrund des § 530 Abs 1 Z 7 ZPO eine unrichtige oder unvollständige Tatsachengrundlage moniert wird, die aber wegen des Neuerungsverbots auch im Berufungsverfahren des Vorprozesses grundsätzlich nicht mehr verändert werden kann.
Im vorliegenden Fall hat der Prozessvertreter der Klägerin die Stellungnahme des Amts der NÖ Landesregierung, in der auf die Widmung des Güterwegs für den öffentlichen Verkehr durch die Verordnung des Gemeinderats verwiesen wird, am 2. 8. 2004 erhalten. Bei Beobachtung der gebotenen Sorgfalt (§ 530 Abs 2 ZPO) wäre die Klägerin durchaus in der Lage gewesen, die Existenz und den genauen Wortlaut dieser Verordnung - auf den sie sich nun in ihrer Wiederaufnahmsklage als neue Tatsache beruft - innerhalb kurzer Zeit in Erfahrung zu bringen. Geht man davon aus, dass die Klägerin spätestens mit Ende August in Kenntnis des Wortlauts der Verordnung gewesen wäre, wenn sie sich um diese Kenntnis bemüht hätte, wäre die vierwöchige Frist des § 534 ZPO noch vor Ende des Monats September 2004 abgelaufen gewesen. Die erst im Dezember 2004 erhobene Wiederaufnahmsklage erweist sich somit als verspätet und damit unzulässig.
Aus Anlass der Revision ist daher das ungeachtet dieser Unzulässigkeit durchgeführte Verfahren für nichtig zu erklären und die Wiederaufnahmsklage zurückzuweisen (vgl nur 9 ObA 351/98b). Die Entscheidung über die Verfahrenskosten aller Instanzen beruht auf § 51 Abs 1 ZPO. Die Einleitung und Fortsetzung des Verfahrens trotz des vorhandenen Nichtigkeitsgrunds ist von der Klägerin zu vertreten. Dabei war für die Schriftsätze ON 12 und ON 16 kein Kostenersatz zuzuerkennen. Im ersten Schriftsatz wurde keine erhebliche Rechtsfrage aufgeworfen; der Verlegungsantrag beruht auf einem in die Sphäre des Beklagten fallenden Umstand (§ 48 ZPO). Für die Revision ist ein Einheitssatz von nur 60 % angefallen.
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