OGH 13Os15/07s

OGH13Os15/07s7.3.2007

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. März 2007 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz und Dr. T. Solé, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Mag. Hetlinger und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Mag. Lendl, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Hinterleitner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Peter G***** wegen Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 28. Juli 2006, GZ 24 Hv 110/06z-31, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Peter G***** wurde (richtig: jeweils) einer unbestimmten Zahl von Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I/1) sowie von Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 und 2 StGB (I/2 und II), deren eines beim Versuch geblieben ist (II/3), schuldig erkannt. Danach hat er in I*****, W***** und anderen Orten

I/1. außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an der am 3. August 1992 geborenen, somit unmündigen Julia K*****, welche ab 16. Mai 2003 seine Stieftochter war (US 7), vorgenommen, indem er ihr von Anfang 2003 bis Ende 2004 etwa drei Mal pro Woche „unter der Oberbekleidung nicht bloß flüchtig und nicht bloß oberflächlich auf die nackten Brüste griff";

I/2. durch die zu I/1 beschriebenen Handlungen mit der seiner Erziehung und Aufsicht unterstehenden Julia K*****, welche ab 16. Mai 2003 seine Stieftochter war, unter Ausnützung dieser Stellung ihr gegenüber geschlechtliche Handlungen vorgenommen;

II. mit der seiner Erziehung und Aufsicht unterstehenden, am 21. Februar 1987 geborenen, somit minderjährigen Sara K*****, welche ab 16. Mai 2003 seine Stieftochter war, unter Ausnützung dieser Stellung ihr gegenüber geschlechtliche Handlungen vorgenommen (1., 2. und 4.) „bzw vorzunehmen versucht" (3.), indem er

1. von Anfang 2003 bis 21. Februar 2005 beinahe täglich unter der Oberbekleidung „intensiv auf ihre nackten Brüste gegriffen und an ihren Brustwarzen manipuliert hat";

2. im Frühjahr 2004 für ca 10 bis 15 Minuten bis zu drei Finger in ihre Scheide einführte;

3. im Herbst 2004 (zu ergänzen: dadurch, dass er während einer Autofahrt von Niederösterreich nach Tirol wiederholt erklärte, „er werde nun auf einen Parkplatz fahren und dort solle sie ‚ihm einen blasen'"; US 10) versuchte, „sie zu verleiten, an ihm einen Oralverkehr durchzuführen;

4. im Herbst 2004 sie während einer Fahrt von I***** nach W***** aufforderte, ihre Oberbekleidung auszuziehen und sodann „ihre Brüste intensiv betastete."

Rechtliche Beurteilung

Der aus Z 3, 4 und 5 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt Berechtigung zu. Die fehlende Unterfertigung des Hauptverhandlungsprotokolls durch die Schriftführerin, welche vor Fertigstellung der Reinschrift ihre Gerichtspraxis beendete, begründet zwar eine aus Z 3 beachtliche Verletzung des § 271 Abs 1 StPO, kann jedoch zum Vorteil des Angeklagten nicht geltend gemacht werden, weil unzweifelhaft erkennbar ist, dass diese auf die Entscheidung keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluss üben konnte (§ 281 Abs 3 erster Satz StPO; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 262).

Im Recht ist die Verfahrensrüge (Z 4) jedoch, soweit sie die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Vernehmung der Anna G***** als Zeugin zu angeblichen Äußerungen ihrer Töchter Julia und Sara K*****, nach denen „es diese Vorfälle, wie sie dem Angeklagten in der Anklageschrift vorgeworfen werden, tatsächlich nicht gegeben hat" (S 195), als Verstoß gegen Verfahrensgrundsätze kritisiert, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Verteidigung sichernden, fairen Verfahrens geboten war.

Entgegen der Auffassung des Schöffengerichtes (S 199) ist die Glaubwürdigkeit von Belastungszeugen gar wohl eine der Ermittlung der Wahrheit förderliche (vgl § 232 Abs 2 StPO), mithin erhebliche Tatsache, die durch sinnliche Wahrnehmungen von zur Vernehmung beantragten Personen in Frage gestellt werden kann. Hätten Julia und Sara K***** ihrer Mutter gegenüber tatsächlich zugestanden, die den Angeklagten belastenden Angaben erfunden zu haben, dürfte dieser Umstand bei der Beweiswürdigung keineswegs unerörtert bleiben (WK-StPO § 281 Rz 29, 340).

Zwar darf von der Aufnahme eines Beweises abgesehen werden, wenn das Gericht das im Antrag bezeichnete Beweisthema ohnehin als erwiesen annimmt, weil die Beweisaufnahme die Sache in einem solchen Fall bloß verzögern würde (Kirchbacher WK-StPO § 246 Rz 42). Dass aber das Schöffengericht die behaupteten Äußerungen gegenüber Anna G***** - im Urteilszeitpunkt (WK-StPO § 281 Rz 342) - ohnehin als erwiesen angesehen hätte (ohne daraus auf die Unglaubwürdigkeit der den Angeklagten belastenden Aussagen zu schließen), hat es nicht unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Vielmehr deutet der unklare Hinweis der Entscheidungsgründe (US 17 unten) auf die „häufig wechselnde Einstellung der Anna G***** zum Angeklagten" in Richtung vorgreifender Würdigung einer möglichen Bestätigung des Antragsvorbringens durch diese, also auf unzulässige Würdigung des vermutlichen Beweiswertes eines prinzipiell zum Beweis tauglichen Beweismittels, hin.

Zwar enthielt der Antrag nichts, was die Erwartung plausibel gemacht hätte, dass Anna G***** die behaupteten Äußerungen ihrer Töchter bestätigen würde. Fallbezogen bedurfte es eines derartigen Vorbringens jedoch nicht, weil ein im (keineswegs besonders umfangreichen) Akt erliegendes, vom Angeklagten verfasstes Schriftstück, in welchem „sexuelle Übergriffe" generell in Abrede gestellt werden, von Anna G***** „gezeichnet" worden war (S 31). Auch wenn Anna G***** bei ihrer polizeilichen Einvernahme nichts von den angeblichen Äußerungen ihrer Töchter erwähnt hatte (vgl auch S 65), war solcherart die Tauglichkeit der beantragten Beweisführung für das erkennende Gericht ohne weiteres erkennbar, womit der Antrag keinen Erkundungscharakter trug (instruktiv zum Ganzen: Lässig, Das Rechtsschutzsystem der StPO und dessen Effektuierung durch den OGH, ÖJZ 2006, 406 [408 f]; vgl zuletzt: 14 Os 129/05k, EvBl 2006/32, 170 = JBl 2006, 536 [Burgstaller]).

Da das angefochtene Urteil zur Gänze von der Richtigkeit der Angaben der beiden Belastungszeuginnen Julia und Sara K***** abhängt, war es bereits bei der nichtöffentlichen Beratung aufzuheben (§§ 285e erster Satz, 288 Abs 2 Z 1 StPO), ohne dass es eines Eingehens auf die weiteren Argumente von Verfahrens- und Mängelrüge bedurfte.

Bleibt anzumerken, dass es zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen nur ausnahmsweise der Hilfestellung durch einen Sachverständigen bedarf, etwa bei Entwicklungsstörungen oder geistigen Defekten unmündiger oder jugendlicher Zeugen. Auch sind solche Zeugen nicht verpflichtet, sich dazu einer körperlichen Untersuchung zu unterziehen oder sonst an der Befundaufnahme mitzuwirken, weshalb ein darauf gerichteter Beweisantrag darzulegen hat, warum anzunehmen ist, dass sich ein solcher Zeuge zur Befundaufnahme bereit finden (und sein gesetzlicher Vertreter das Einverständnis hiezu erklären) werde.

Weiters ist in Betreff des zu I/3 ergangenen Schuldspruchs auf die vom Erstgericht verkannte Unterscheidung zwischen strafloser Vorbereitungshandlung und strafbarem Versuch hinzuweisen. Aufgrund des Entschlusses, eine geschlechtliche Handlung mit seiner Stieftochter Sara K***** vorzunehmen oder von dieser an sich vornehmen zu lassen, könnte der Angeklagte nur dann wegen des Vergehens des versuchten Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 15, 212 Abs 1 Z 2 StGB bestraft werden, wenn er den Entschluss durch eine einer tatbestandsmäßigen Handlung unmittelbar vorangehende Handlung bestätigt hätte. Davon kann keine Rede sein, wenn der Täter (§ 12 erster Fall StGB) während einer Autofahrt die Bereitschaft seines Opfers erkundet, sich nach Ansteuern eines Parkplatzes zu geschlechtlichen Handlungen mit oder an ihm bereitzufinden.

Schließlich sei erwähnt, dass mangels des von § 252 Abs 2a StPO verlangten Vortrags die auf S 201 erwähnten Schriftstücke nicht im Sinn des § 258 Abs 1 StPO in der Hauptverhandlung vorgekommen sind. Die bloße Kenntnis dieser Aktenbestandteile durch die Parteien des Strafverfahrens genügt weder dem Grundsatz der Öffentlichkeit noch demjenigen der Mündlichkeit der Hauptverhandlung, konnten doch solcherart weder Zuhörer noch beisitzender Richter und Schöffen vom Inhalt der Schriftstücke Kenntnis erlangen (vgl Art 6 Abs 1 MRK).

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