OGH 9ObA138/06v

OGH9ObA138/06v1.2.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter KommR Mag. Paul Kunsky und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Roman S*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Charlotte Böhm, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei G***** AG, *****, vertreten durch Teicht Jöchl Rechtsanwälte Kommandit-Partnerschaft in Wien, wegen EUR 121.361,48 brutto abzüglich EUR 4.417,81 netto sA (Rekursinteresse EUR 39.339,86), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. September 2006, GZ 9 Ra 59/06x-56, womit die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 8. September 2005, GZ 17 Cga 137/00s-50, als verspätet zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen. Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Das dem Klagebegehren teils stattgebende, teils abweisende Urteil des Erstgerichts wurde der Klagevertreterin am 16. 3. 2006 zugestellt. Ausgehend von dem auf den 14. 4. 2006 lautenden Poststempel auf dem Kuvert erachtete das Berufungsgericht die gegen das Ersturteil erhobene Berufung des Klägers um einen Tag als verspätet und wies sie daher zurück. Tatsächlich hatte die Klagevertreterin die zutreffend an das Erstgericht adressierte (§ 465 Abs 1 ZPO) Berufung bereits am 13. 4. 2006 beim Postamt 1020 Wien eingeschrieben aufgegeben. Während der Aufgabeschein (Nr RR342397586AT) vom Postbediensteten am Schalter auch tatsächlich noch am selben Tag (13. 4. 2006) abgestempelt und der Klagevertreterin ausgefolgt wurde, wurde die am Kuvert der Sendung befindliche Briefmarke erst am nächsten Tag (14. 4. 2006) im Rahmen der Sortierung der Post abgestempelt. Von diesem Ablauf ist auf Grund der vom Rekurswerber vorgelegten Urkunden und den vom Obersten Gerichtshof gepflogenen ergänzenden Erhebungen beim Postamt 1020 Wien auszugehen.

Gegen den Zurückweisungsbeschluss richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, diese Entscheidung aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben. Dazu ist anzumerken, dass der Rekurs gegen den Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem es die Berufung ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen hat, nach herrschender Auffassung einseitig ist (Fasching, Zivilprozessrecht² Rz 1980; Kodek in Rechberger, ZPO² § 519 Rz 3; G. Kodek, Zur Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens, ÖJZ 2004, 534 [540]; RIS-Justiz RS0043760, RS0098745 ua; aM Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 519 Rz 75 f). Dennoch hat hier keine Zurückweisung der Rekursbeantwortung zu erfolgen, weil der Rekursgegnerin im Hinblick auf die im Rekurs vorgelegten Urkunden zur Dartuung der Rechtzeitigkeit der Berufung jedenfalls Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben gewesen wäre, die sie mit ihrer Rekursbeantwortung vorweggenommen hat. Nach den vom Obersten Gerichtshof beim Postamt 1020 Wien gepflogenen Erhebungen ergibt sich aus dem im Stempelabdruck auf dem Aufgabescheiben befindlichen Zusatz „ae" klar, dass die Stempelung am Schalter erfolgte, während der Zusatz „ao" im Datumsstempel des Kuverts auf einen nur bei der Sortierung verwendeten Poststempel hinweist. Dieses Erhebungsergebnis, das die eingangs getroffenen Feststellungen weiter stützt, war den Parteien nicht neuerlich zur Äußerung bekannt zu geben, weil in der Rekursbeantwortung die Echtheit und Richtigkeit des Aufgabescheines gar nicht bestritten und im Ergebnis auch nicht die Verspätung der Berufung, sondern lediglich das Erfordernis, statt des Rekurses einen Wiedereinsetzungsantrag zu erheben, behauptet wurde.

Der Rekurs des Klägers ist zulässig (§ 519 Abs 1 Z 1 ZPO) und berechtigt.

Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte, beträgt die Berufungsfrist vier Wochen. Sie beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Urteils (§ 464 Abs 1 und 2 ZPO). Nach § 89 Abs 1 GOG werden bei gesetzlichen oder richterlichen Fristen, die in bürgerlichen Rechtssachen einer Partei zur Abgabe von Erklärungen, Anbringung von Anträgen, Überreichung von Schriftsätzen oder zur Vornahme anderer, ein gerichtliches Verfahren betreffenden Handlungen offen stehen, die Tage des Postenlaufs in die Frist nicht eingerechnet. Schriftsätze sind daher dann als rechtzeitig überreicht anzusehen, wenn sie am letzten Tag der Frist zu einer Zeit der Post übergeben bzw in einen Postkasten geworfen wurden, zu welcher sie nach den Einrichtungen des betreffenden Postamts noch mit dem postamtlichen Aufgabevermerk dieses Tags versehen werden konnten. Der Absender muss also den Brief entweder am Schalter des Postamts während der Dienststunden abgegeben oder die Sendung so rechtzeitig in den Postkasten eingeworfen haben, dass die planmäßige Aushebung des Kastens noch am selben Tag erfolgt. Voraussetzung für die Rechtzeitigkeit der Postaufgabe ist also, dass das Schriftstück noch am letzten Tag der zu wahrenden Frist insoweit in „postalische Behandlung" genommen wird, als es den Postaufgabevermerk mit dem Datum des Tags erhält (Buchegger in Fasching/Konecny² II/2 § 126 Rz 20 ff; Gitschthaler in Rechberger, ZPO² § 126 Rz 14; 9 ObA 173/00g; RIS-Justiz RS0059660, RS0059636 ua). Damit beginnt der Postenlauf iSd § 89 GOG. Sache des Aufgebers ist es, sich vom rechtzeitigen Beginn des Postenlaufs zu überzeugen (RIS-Justiz RS0059659 ua).

Der Universaldienst der Post umfasst auch das „Einschreiben". Dabei handelt es sich um die entgeltpflichtige Sonderbehandlung einer Postsendung, die durch den Dienstanbieter pauschal gegen Verlust, Entwendung oder Beschädigung versichert wird und bei der dem Absender, gegebenenfalls auf sein Verlangen, eine Bestätigung über die Entgegennahme der Sendung und ihre Aushändigung an den Empfänger erteilt wird (§ 2 Z 9 Postgesetz 1997, BGBl I 1998/18; § 2 Post-Universaldienstverordnung, BGBl II 2002/100). Im Sinn der vorzitierten Rechtsprechung ist im Fall des Einschreibens einer Postsendung die Aushändigung der mit dem Postaufgabevermerk versehenen Bestätigung über die entgeltpflichtige Sonderbehandlung („Aufgabeschein") an den Absender als die für den Beginn des Postenlaufs maßgebliche „postalische Behandlung" anzusehen. Der Anbringung eines weiteren Postaufgabevermerks auf der Sendung selbst, die im Regelfall ohnehin am selben Tag wie die Bestätigung am Aufgabeschein erfolgt, im vorliegenden Fall jedoch erst einen Tag nach der Aushändigung des Aufgabescheins an den Absender am Schalter des Postamts geschah, kommt in Bezug auf den bereits begonnenen Postenlauf keine selbstständige Bedeutung mehr zu.

Der Postenlauf iSd § 89 GOG erfolgte sohin im vorliegenden Fall rechtzeitig und fristwahrend am letzten Tag der vierwöchigen Berufungsfrist (vgl Pimmer in Fasching/Konecny² IV/1 § 465 Rz 3 ua). Dem Rekurs des Klägers gegen die Zurückweisung seiner Berufung ist daher stattzugeben. Mangels Versäumung der Berufungsfrist (§ 144 ZPO; vgl zum Begriff der „Versäumung" Deixler-Hübner in Fasching/Konecny² II/2 § 144 Rz 1) bedarf der Kläger entgegen der Annahme der Rekursgegnerin keiner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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