OGH 10ObS189/06a

OGH10ObS189/06a5.12.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Lukas Stärker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Ploteny (aus dem Kreis der Arbeitnehmer als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Michaela E*****, vertreten durch Dr. Edeltraud Fichtenbauer, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Wiener Gebietskrankenkasse, 1103 Wien, Wienerbergstraße 15-19, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Wochengeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Juli 2006, GZ 7 Rs 102/06f-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 31. Jänner 2006, GZ 6 Cgs 247/05p-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Klägerin sind weitere Verfahrenskosten. Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Klägerin war bei der beklagten Gebietskrankenkasse vom 1. 8. 1992 bis 16. 7. 2002 als Angestellte pflichtversichert. Vom 7. 11. 2002 bis 1. 3. 2005 bezog sie (anlässlich der Geburt ihres ersten Kindes) Kinderbetreuungsgeld. Voraussichtlicher Geburtstermin für das zweite Kind war der 13. 9. 2005, sodass der Eintritt des neuerlichen Versicherungsfalles der Mutterschaft mit 19. 7. 2005 anzusetzen ist. Mit Bescheid vom 27. 7. 2005 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Wochengeld anlässlich des am 19. 7. 2005 eingetretenen Versicherungsfalles der Mutterschaft im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Klägerin sei im Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles der Mutterschaft nicht Versicherte in der Krankenversicherung nach dem ASVG gewesen (§ 162 Abs 1 ASVG). Ein Leistungsanspruch aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft nach § 122 Abs 3 ASVG bestehe nur hinsichtlich der Sachleistungen im Zusammenhang mit der Mutterschaft, wie beispielsweise die Pflege in einer Krankenanstalt oder einem Entbindungsheim, Hebammenbeistand oder benötigte Heilmittel und Heilbehelfe. Aus der Bestimmung des § 122 Abs 3 ASVG könne aber kein Anspruch auf Wochengeld abgeleitet werden.

Das Erstgericht wies das von der Klägerin dagegen erhobene und auf die Gewährung des Wochengeldes im gesetzlichen Ausmaß ab dem gesetzlichen Anfallstag gerichtete Klagebegehren ab. Es vertrat in rechtlicher Hinsicht im Ergebnis die Ansicht, die Anspruchsberechtigung für Wochengeld richte sich ausschließlich nach der speziellen Bestimmung des § 162 Abs 1 ASVG. Da die Klägerin im Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles nicht aufrecht in der Krankenversicherung versichert gewesen sei, bestehe gemäß § 162 Abs 1 ASVG kein Anspruch auf Wochengeld. Bei Anwendung des § 122 Abs 3 ASVG seien für die Entbindung Sachleistungen wie beispielsweise Anstaltspflege und ärztliche Hilfe, nicht jedoch Geldleistungen (Wochengeld) zu gewähren.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge und schloss sich im Wesentlichen der Rechtsansicht des Erstgerichtes an. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der im konkreten Fall zu beurteilenden Frage der Anspruchsberechtigung der Klägerin auf Wochengeld fehle. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Urteiles im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der erst jüngst zu einem vergleichbaren Sachverhalt ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 10 ObS 133/06s vom 3. 10. 2006 abgewichen ist. Sie ist im Sinne der beschlossenen Aufhebung auch berechtigt. Die Revisionswerberin macht im Wesentlichen geltend, sie sei gemäß § 28 Abs 1 KBGG während der Dauer des Krankengeldbezuges vom 7. 11. 2002 bis 1. 3. 2005 in der gesetzlichen Krankenversicherung teilversichert gewesen. Sie habe daher gemäß § 122 Abs 3 ASVG Anspruch auf Wochengeld, weil der Versicherungsfall der Mutterschaft entsprechend dieser Bestimmung innerhalb von 32 Wochen nach dem Ende der Pflichtversicherung eingetreten sei.

Diese Ausführungen sind berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der erkennende Senat hat in der bereits erwähnten Entscheidung 10 ObS 133/06s vom 3. 10. 2006 unter anderem Folgendes ausgeführt:

„Die Krankenversicherung trifft unter anderem Vorsorge für den Versicherungsfall der Mutterschaft (§ 116 Abs 1 Z 2 ASVG). Als Leistungen der Krankenversicherung wird nach Maßgabe der Bestimmungen des ASVG aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft unter anderem Wochengeld (§ 162 ASVG) gewährt (§ 117 Z 4 lit d ASVG). Der Versicherungsfall der Mutterschaft gilt in der Regel mit dem Beginn der achten Woche vor der voraussichtlichen Entbindung als eingetreten (§ 120 Abs 1 Z 3 ASVG). Die Bestimmung des § 122 ASVG regelt für den Bereich der Krankenversicherung die Anspruchsberechtigung während der Dauer der Versicherung und nach dem Ausscheiden aus der Versicherung.

§ 122 Abs 1 ASVG regelt dabei den Anspruch auf Leistungen der Krankenversicherung, wenn der Versicherungsfall während der Versicherung oder vor dem auf das Ende der Versicherung nächstfolgenden Arbeitstag eingetreten ist. § 122 Abs 2 ASVG erweitert die Anspruchsberechtigung für Versicherungsfälle, die nach dem Ende der Versicherung oder nach Ablauf des auf das Ende der Versicherung nächstfolgenden Arbeitstages eingetreten sind. Über die Bestimmung des § 122 Abs 2 ASVG hinaus sieht § 122 Abs 3 ASVG vor, dass die Leistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft auch dann zu gewähren sind, wenn der Versicherungsfall nach dem Ende der Pflichtversicherung eintritt und der Beginn der 32. Woche vor dem Eintritt des Versicherungsfalles in den Zeitraum des Bestandes der beendeten Pflichtversicherung, die mindestens dreizehn Wochen bzw drei Kalendermonate ununterbrochen gedauert haben muss, fällt; fallen in diesen Zeitraum auch Zeiten der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder Zeiten eines Leistungsbezuges aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft, so gelten solche Zeiten bei Anwendung dieser Bestimmung als Zeiten der Pflichtversicherung. ... Diese Erweiterung des Wochengeldanspruches gemäß § 122 Abs 3 ASVG auf Mütter, die (ungefähr) zu Beginn der Schwangerschaft krankenversichert waren, dient vor allem familienpolitischen Zielsetzungen. Es soll dadurch der Anspruch auf Leistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft auch bei Ausscheiden der Dienstnehmerin aus dem Dienstverhältnis während der Schwangerschaft (befristetes Dienstverhältnis, Probedienstverhältnis usw) aufrechterhalten werden, sofern die Schwangerschaft während des Bestandes der Pflichtversicherung eingetreten ist, und zwar unabhängig davon, wann die Pflichtversicherung endet. ...". Die Klägerin hat nach den unstrittigen Feststellungen im Zeitraum vom 7. 11. 2002 bis 1. 3. 2005 Kinderbetreuungsgeld bezogen. Da Bezieherinnen von Kinderbetreuungsgeld nach dem KBGG gemäß § 8 Abs 1 lit f ASVG in der Krankenversicherung teilversichert sind, wenn nach § 28 KBGG ein Krankenversicherungsträger nach diesem Bundesgesetz zuständig ist, gehen beide Parteien übereinstimmend und zu Recht davon aus, dass die Klägerin ausgehend von dem errechneten Geburtstermin 13. 9. 2005 und dem danach anzusetzenden Eintritt des Versicherungsfalles mit 19. 7. 2005 im Hinblick auf die in der Krankenversicherung bestandene Pflichtversicherung die Voraussetzungen für die Anspruchsberechtigung nach § 122 Abs 3 erster Satz ASVG erfüllt, da sie zu Beginn der 32. Woche vor Eintritt des (neuerlichen) Versicherungsfalles der Mutterschaft pflichtversichert war. Die Klägerin ist auch nicht gemäß § 162 Abs 5 Z 3 ASVG vom Anspruch auf Wochengeld ausgeschlossen, weil sie schon aufgrund der dem Kinderbetreuungsgeld-Bezug zugrundeliegenden Entbindung einen Anspruch auf Wochengeld hatte (vgl 10 ObS 133/06s). Wie der erkennende Senat in der Entscheidung 10 ObS 133/06s weiters ausgeführt hat, bemisst sich die Höhe des Wochengeldes gemäß § 162 Abs 3 ASVG nach dem Durchschnitt des in den letzten dreizehn Wochen (drei Kalendermonaten) vor dem Eintritt des Versicherungsfalles der Mutterschaft gebührenden Arbeitsverdienstes, vermindert um die gesetzlichen Abzüge. Dabei gilt nach § 162 Abs 3 dritter Satz ASVG idF vor der Änderung durch das SRÄG 2005, BGBl I 2005/71, für Zeiten des Bezuges einer Leistung nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 oder nach dem Karenzgeldgesetz, soweit diese Zeiten in dem für die Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsverdienstes maßgebenden Zeitraum fallen, als Arbeitsverdienst jenes Wochengeld, das aufgrund des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 oder des Karenzgeldgesetzes beim Eintritt des Versicherungsfalles der Mutterschaft während des Leistungsbezuges gebührt hätte. Durch das SRÄG 2005, BGBl I 2005/71, wurde der Anwendungsbereich des dritten Satzes des § 162 Abs 3 ASVG um die Zeiten des Bezuges einer Leistung nach dem KBGG erweitert. Danach sollen auch Zeiten des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld - ebenso wie schon bisher die Zeiten eines Bezuges nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz oder dem Karenzgeldgesetz - in die Bemessungsgrundlage für Wochengeld einfließen können, wenn schon aufgrund der dem Kinderbetreuungsgeld-Bezug zugrundeliegenden Entbindung Anspruch auf Wochengeld bestand. Nach § 162 Abs 3 letzter Satz ASVG sind in den Fällen des § 122 Abs 3 erster Satz, wenn dies für die Versicherte günstiger ist, für die Ermittlung der Höhe des Wochengeldes nicht die letzten dreizehn Wochen bzw drei Kalendermonate vor dem Eintritt des Versicherungsfalles der Mutterschaft heranzuziehen, sondern die letzten dreizehn Wochen bzw drei Kalendermonate vor dem Ende der Pflichtversicherung oder vor dem Ende des Dienstverhältnisses. Dieser Satz wurde dem § 162 Abs 3 ASVG durch das Karenzurlaubserweiterungsgesetz, BGBl 1990/408, angefügt. Nach der durch dieses Gesetz erfolgten Neufassung des § 162 Abs 3 ASVG sind, wie bereits erwähnt, Leistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft nunmehr auch zu gewähren, wenn der Versicherungsfall nach dem Ende der Pflichtversicherung eintritt und der Beginn der 32. Woche vor dem Eintritt des Versicherungsfalles während des Bestandes der beendeten Pflichtversicherung liegt. Durch diese Änderung sollte sichergestellt werden, dass der Anspruch auf Leistungen aus dem Versicherungsfall der Mutterschaft, unabhängig davon, wann die Pflichtversicherung geendet hat, besteht, sofern die Schwangerschaft während des Bestandes der Pflichtversicherung eingetreten ist. Für diesen Fall wurde vom Gesetzgeber in § 162 Abs 3 letzter Satz ASVG auch die Möglichkeit einer für die Versicherte günstigeren Berechnung des Wochengeldanspruches nach den letzten dreizehn Wochen bzw drei Kalendermonaten vor dem Ende der Pflichtversicherung oder vor dem Ende des Dienstverhältnisses geschaffen (10 ObS 133/06s). Durch die bereits zitierte Bestimmung des § 162 Abs 3 letzter Satz ASVG („In den Fällen des § 122 Abs 3 erster Satz sind, wenn dies für die Versicherte günstiger ist, für die Ermittlung der Höhe des Wochengeldes ...") wurde vom Gesetzgeber zweifelsfrei klargestellt, dass entgegen der von der beklagten Partei und von den Vorinstanzen vertretenen Rechtsansicht auch dem von § 122 Abs 3 ASVG erfassten Personenkreis ein Anspruch auf Wochengeld zustehen soll, für dessen Höhe die zitierte Bestimmung eine besondere Regelung vorsieht. Auch die von der beklagten Partei in ihrer Revisionsbeantwortung für ihren Prozessstandpunkt vorgetragenen Argumente lassen diese ausdrückliche Bestimmung des § 162 Abs 3 letzter Satz ASVG unberücksichtigt und vermögen daher im Hinblick auf die insoweit völlig eindeutige Gesetzeslage nicht zu überzeugen.

Diese von den Vorinstanzen bei ihren Erwägungen außer Betracht gelassene Regelung des § 162 Abs 3 letzter Satz ASVG hat auch im Fall der Klägerin, deren Anspruch auf Wochengeld auf dem erweiterten Schutzfristfall des § 122 Abs 3 erster Satz ASVG beruht, Anwendung zu finden. Es sind daher für die Ermittlung der Höhe des Wochengeldes im vorliegenden Fall nicht ausschließlich die letzten dreizehn Wochen bzw drei Kalendermonate vor dem mit 19. 7. 2005 anzusetzenden Eintritt des neuerlichen Versicherungsfalles der Mutterschaft heranzuziehen, in denen die Klägerin kein Einkommen bezogen hat, sondern auch die letzten dreizehn Wochen bzw drei Kalendermonate vor dem Ende der Pflichtversicherung (= Ende des Bezuges des Kinderbetreuungsgeldes mit 1. 3. 2005), in denen die Klägerin unbestritten Kinderbetreuungsgeld bezogen hat. Der Klägerin gebührt daher unter Berücksichtigung des § 162 Abs 3a Z 2 ASVG ein Wochengeld in der Höhe des um 80 % erhöhten Kinderbetreuungsgeldes. Da die Vorinstanzen - ausgehend von einer vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht - keine Feststellungen über die Höhe des von der Klägerin im maßgebenden Beobachtungszeitraum bezogenen Kinderbetreuungsgeldes bzw eines allfälligen Zuschusses zum Kinderbetreuungsgeld getroffen haben, waren in Stattgebung der Revision der Klägerin die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Das Erstgericht wird dabei über die von der Klägerin in zulässiger Weise begehrte Zuerkennung eines Wochengeldes „im gesetzlichen Ausmaß ab dem gesetzlichen Anfallstag" (vgl § 82 ASGG) in Form eines exekutionsfähigen Leistungsurteiles zu entscheiden haben (vgl 10 ObS 133/06s).

Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Rechtsmittelkosten der Klägerin gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO. Die Entscheidung, dass die beklagte Partei die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen hat, beruht auf § 77 Abs 1 Z 1 ASVG.

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