OGH 14Os114/06f

OGH14Os114/06f28.11.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. November 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Roland als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rene M***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Rene M***** und Mario K***** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 3. Juli 2006, GZ 36 Hv 98/06y-110, und über die Beschwerden beider Angeklagter (in Ansehung des Angeklagten M***** gemäß § 498 Abs 3 dritter Satz StPO impliziert) gegen die unter einem gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefassten Beschlüsse nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Rene M***** und Mario K***** des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (zu I.1.) und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (zu I.2.), Mario K***** zudem des Vergehens der unerlaubten Abwesenheit nach § 8 erster Fall MilStG (zu II.) schuldig erkannt. Danach haben in Innsbruck

I. Rene M***** und Mario K***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB)

1. in der Nacht zum 15. Oktober 2005 Engelbert P*****, der am Boden lag, durch mehrfache Tritte mit ihren Füßen gegen seinen Kopf und Körper eine schwere Körperverletzung, nämlich eine offene Schädel-Hirnverletzung mit Trümmerbrüchen an der linken Kopfhälfte und Anspießungen des Großhirns durch Knochenfragmente, eine Quetsch-Rissverletzung an der linken Augenbraue und eine Prellung der Niere absichtlich zugefügt;

2. in der Nacht zum 17. Oktober 2005 Jochen B***** dadurch, dass sie ihm mehrfache Faustschläge versetzten, wodurch dieser Prellungen erlitt, vorsätzlich am Körper verletzt;

II. Mario K***** dadurch, dass er in der Zeit vom 8. Oktober 2005 bis 18. Oktober 2005 als Rekrut vorsätzlich seiner Truppe ferngeblieben ist, sich wenn auch nur fahrlässig, dem Dienst für länger als 24 Stunden, aber nicht länger als acht Tage entzogen.

Die inhaltlich ausschließlich den Schuldspruch I.1. bekämpfenden - von Rene M***** aus Z 4, 5 und 9 lit b, von Mario K***** aus Z 4 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen - Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten verfehlen ihr Ziel.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Rene M*****:

Die Verfahrensrüge (Z 4) des Erstangeklagten kritisiert die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Einholung eines gerichtsmedizinischen Gutachtens darüber, „dass der Zeuge Dominik R***** bei der von ihm angegebenen Alkoholmenge jedenfalls unter schweren Wahrnehmungsstörungen gelitten haben muss, sodass er in dem Zustand nicht mehr in der Lage war, eine verlässliche Personsbeschreibung abzugeben bzw eine Person als Täter eindeutig zu identifizieren" (S 231/IV).

Wie das Erstgericht in seinem abschlägigen Zwischenerkenntnis (S 233/IV) zutreffend dargelegt hat, konnte die Beweisaufnahme ohne Verletzung von Verteidigungsrechten unterbleiben, weil es dem Antrag - mit Ausnahme des für sich alleine nicht ausreichenden Hinweises auf die vom Zeugen (im Übrigen divergierend, vgl S 331/II, 213/IV) genannte Trinkmenge - an jeglicher Darlegung im Verfahren hervorgekommener Umstände (vgl dagegen aber die eigene Einschätzung des Zeugen von seinem Zustand und dessen zielgerichtetes Verhalten S 165/I und 371 ff/I) gebricht, die es dem Gericht erlauben könnten, zu den für den angestrebten Schluss auf erhebliche Einschränkung der Wahrnehmungsfähigkeit des Zeugen erforderlichen Sachverhaltsannahmen zu gelangen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 347), sodass er letztlich auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinausläuft (aaO Rz 329 ff). Die Mängelrüge des Erstangeklagten reklamiert nominell unvollständige Begründung (Z 5 zweiter Fall) der Feststellungen zu seiner Täterschaft, orientiert sich aber mit den vorgebrachten Einwänden keineswegs an den Anfechtungskategorien des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes. An die Stelle solcherart prozessordnungskonformer Argumentation werden vielmehr Hinweise auf mögliche Deutungen aufgenommener Beweise vorgetragen, um daraus insgesamt die These abzuleiten, es läge „auf der Hand, dass ganz offensichtlich die falschen Täter auf der Anklagebank waren". Ein Begründungsmangel im Sinne der Z 5 zweiter Fall wird damit nicht aufgezeigt.

Ob den festgestellten Tätlichkeiten der Angeklagten eine provokante Äußerung des Tatopfers voranging oder nicht, ist nicht erheblich oder gar entscheidend. Das Erstgericht hat die betreffende Konstatierung im Übrigen aus dem ursprünglichen Geständnis des Zweitangeklagten (S 78/II) abgeleitet, sodass von einer Aktenwidrigkeit, die nur dann vorliegt, wenn das Urteil den Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig wiedergibt (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 467), keine Rede sein kann.

Entgegen dem Beschwerdevorbringen wurden die Aussagen der Zeugen Josephus H*****, Ida G***** und Christian S***** keineswegs übergangen, sondern - mit einwandfreier Begründung - jeweils als unglaubwürdig eingestuft (US 13 f) und die - beide Angeklagte belastenden - Angaben der Bettina S*****, von der sich der Schöffensenat in der Hauptverhandlung keinen persönlichen Eindruck verschaffen konnte, den Feststellungen nicht zugrunde gelegt (US 14). Es bestand daher auch keinerlei Veranlassung, auf die in der Beschwerde hervorgehobenen Details und angeblichen Widersprüche aus den Depositionen dieser Zeugen gesondert einzugehen. Die Bekundungen der Zeugin Nicole K***** wurden vom Schöffengericht eingehend erwogen und mängelfrei als unerheblich erkannt, weil die Genannte - den Behauptungen des Rechtsmittelwerbers zuwider - keine Angaben zum Aufenthaltsort der Angeklagten im Tatzeitpunkt (bis 3.43 Uhr; vgl S 55/II) machen, sondern nur vermuten konnte, gegen 4.00 Uhr früh mit ihnen vom Tatort in ein anderes Lokal aufgebrochen zu sein (S 423/II; S 325/IV; US 14).

Die Kritik an der Beurteilung der Ergebnisse der Telefonüberwachung durch die Tatrichter als für die Wahrheitsfindung unergiebig (US 14), beinhaltet ein weiteres Mal nicht den Vorwurf der Aktenwidrigkeit im Sinne der Z 5 fünfter Fall. Der Beschwerdeführer zieht vielmehr - auf Basis eigenständiger Interpretation der Beweismittel - aus dem Bericht über die Rufdatenauswertung des vom Erstangeklagten im Tatzeitraum benützten Mobiltelefons (S 309/III) im Zusammenhalt mit Zeugenaussagen, die vom Schöffengericht als unglaubwürdig eingestuft wurden, andere Schlüsse und kritisiert damit - unzulässig - bloß die Beweiswürdigung der Tatrichter.

Ein in diesem Zusammenhang behaupteter, mit Nichtigkeit bedrohter Verstoß gegen die Pflicht zu amtswegiger Sachaufklärung (Z 5a), liegt schon deshalb nicht vor, weil es dem Angeklagten unbenommen war, Anträge auf Aufnahme von Beweisen, wie die Einholung eines „einschlägigen technischen Gutachtens", die aus seiner Sicht für die Aufklärung der Standortbestimmung des Mobiltelefons notwendig gewesen wären, zu stellen (RIS-Justiz RS0114036).

Mit dem auf „Z 9 lit b" gestützten Beschwerdevorbringen werden nominell „Rechtsfehler mangels Feststellungen" moniert, der Sache nach jedoch bloß zusammengefasst das Vorbringen der Mängelrüge wiederholt und nicht dargetan, an welcher für die vom Erstgericht gezogene rechtliche Konsequenz erforderlichen Tatsachengrundlage es dem Urteil mangle (vgl dazu Ratz, WK-StPO § 281 Rz 598 ff). Die Rüge orientiert sich mit ihrer Behauptung, der Angeklagte hätte sich zum Tatzeitpunkt nicht im Bereich der „Mausefalle" aufgehalten, nicht an den getroffenen Feststellungen und stellt solcherart neuerlich hier unzulässige Kritik an der Beweiswürdigung der Tatrichter dar. Soweit sich die undifferenziert angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde inhaltlich des - auf gänzliche Urteilsaufhebung abzielenden - Rechtsmittelantrags formell auch auf den weiteren Schuldspruch I.2. erstreckt, ist sie schon mangels näherer Substantiierung einer sachlichen Erwiderung unzugänglich.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Mario K*****:

Die Verfahrensrüge (Z 4) kritisiert die Abweisung der in der Hauptverhandlung vom 3. Juli 2006 mündlich vorgetragenen Anträge (ON 107, S 289/IV) auf

1. neuerliche Ladung des Zeugen Dominik R***** zur Konfrontation mit dem unter einem vorgelegten, um den 15. Oktober 2005 aufgenommenen Lichtbild des Mario K***** „zwecks Identifizierung" und zum Beweis dafür, dass dieser als Täter auszuschließen sei;

2. Einvernahme der Tante des Beschwerdeführers, Barbara Z*****, sowie seiner Mutter, Andrea K*****, jeweils zum Beweis dafür, dass er im Tatzeitpunkt jenen am Lichtbild ersichtlichen Kurzhaarschnitt trug, sowie

3. Gegenüberstellung der Zeugen Dominik R***** und Christian S***** zwecks Identifizierung des Christian S***** als Zweittäter. Entgegen dem Beschwerdevorbringen liegt eine nichtigkeitsbegründende Verletzung seiner Verteidigungsrechte nicht vor.

Zu Punkt 1. der Anträge gesteht die Rüge gleichzeitig zu, dass der Zeuge den Beschwerdeführer auch anlässlich einer persönlichen Gegenüberstellung nicht als Täter zu identifizieren imstande war und erweist sich solcherart als unschlüssig. Die Tatrichter gingen im Übrigen ohnehin davon aus, dass Mario K***** zum Tatzeitpunkt den auf dem in Rede stehenden Lichtbild (ON 107) zu sehenden Haarschnitt trug, und gewannen aufgrund der Gesamtheit der vorliegenden Beweisergebnisse die Überzeugung von seiner Täterschaft, obwohl Dominique R***** die Haare des Zweittäters bereits bisher als schwarz und kurz geschnitten beschrieben hatte (S 325/I, 215/IV). Welche weitergehenden Beweisergebnisse, die geeignet wären, die Schuld des Angeklagten auszuschließen oder die zur Feststellung entscheidender Tatsachen anzustellende Beweiswürdigung zu seinen Gunsten maßgeblich zu beeinflussen, aus einer neuerlichen Aussage des Zeugen zu erwarten sein könnten, ist dem Antrag nicht zu entnehmen. Die in der Beschwerde vorgenommene Ergänzung des Beweisthemas ist angesichts der auf Nachprüfung der erstgerichtlichen Vorgangsweise angelegten Konzeption des Nichtigkeitsverfahrens und des damit auch für den Bereich der Verfahrensrüge verbundenen Neuerungsverbotes unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099618 ua).

Die Abweisung des zu Punkt 2. angeführten Antrags erfolgte schon deshalb zu Recht, weil das Schöffengericht das im Antrag bezeichnete Beweisthema - wie bereits dargelegt - ohnehin als erwiesen angesehen hat (S 211/IV und S 291/IV; vgl dazu Kirchbacher, WK-StPO § 246 Rz 42; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 342).

Dem Antrag auf Gegenüberstellung des Zeugen Dominik R***** mit Christian S***** zwecks Identifizierung des Letztgenannten als Zweittäter, mangelte es an deutlicher und bestimmter Bezeichnung in der Verhandlung hervorgekommener Indizien, die eine Täterschaft des Christian S***** an Stelle des Beschwerdeführers auch nur nahe zu legen geeignet wären, und läuft solcherart neuerlich auf Durchführung eines Erkundungsbeweises hinaus.

Im Übrigen übergeht der Beschwerdeführer, dass der Zeuge R***** mehrfach betonte, den zweiten Täter nur kurz von vorne gesehen zu haben und sich deshalb nicht imstande sah, eine genaue Beschreibung abzugeben oder eine Identifizierung vorzunehmen (S 377/I; 325/II; 211 ff/IV).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Gerichtshofs zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerden folgt (§§ 285i, 498 StPO).

Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.

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