Spruch:
I. In der Jugendstrafsache AZ 29 E Hv 42/05h des Landesgerichtes Krems an der Donau verletzen das Gesetz
1./ die Vornahme der Hauptverhandlung vom 2. März 2006 trotz Abwesenheit des am 8. August 1987 geborenen Angeklagten Josef G***** und die anschließende Urteilsfällung über diesen in § 32 Abs 1 JGG iVm § 46a Abs 2 JGG,
2./ die im Urteil erfolgte Subsumtion der Tat des Haofan Z***** in § 83 Abs 1 StGB und die Subsumtion der Taten der drei übrigen Angeklagten in § 91 Abs 2 zweiter Fall StGB.
II. Das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in seinem den Angeklagten Josef G***** betreffenden Schuld- und Strafausspruch (somit auch im Beschluss auf Anordnung der Bewährungshilfe) aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Krems an der Donau verwiesen.
III. Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten Haofan Z***** werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Text
Gründe:
Mit Strafantrag vom 1. August 2005 legte die Staatsanwaltschaft Krems an der Donau den Angeklagten Rene M*****, Josef G***** und Michael K***** zur Last, am 31. Jänner 2005 in Eggenburg den Mitangeklagten Haofan Z***** in verabredeter Verbindung durch Versetzen mehrerer Faustschläge, die eine länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung, nämlich eine Schädelprellung und eine Rissquetschwunde des rechten Mittelfingers mit einer Streckensehnenverletzung zur Folge hatten, vorsätzlich am Körper verletzt und hiedurch das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und Abs 2 Z 2 StGB begangen zu haben. Dem Angeklagten Haofan Z***** wiederum warf die Staatsanwaltschaft unter einem vor, zur selben Zeit und am selben Ort den Michael K***** durch Hinterherwerfen einer Porzellantasse (welche Tat bei jenem eine Wirbelsäulenprellung zur Folge hatte) vorsätzlich am Körper verletzt und hiedurch das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs „2" StGB begangen zu haben (ON 3).
Die vorerst am 16. November 2005 (auch) in Anwesenheit des Angeklagten Josef G***** durchgeführte und sodann auf unbestimmte Zeit vertagte Hauptverhandlung (ON 26) musste am 2. März 2006 gemäß § 276a StPO infolge Zeitablaufes wiederholt werden. Obgleich der am 8. August 1987 geborene Angeklagte Josef G***** der (wiederholten) Hauptverhandlung ferngeblieben war, sprach der Einzelrichter des Landesgerichtes Krems an der Donau auch über den wider diesen Angeklagten erhobenen Strafantrag ab und erkannte mit Urteil vom 2. März 2006, GZ 29 E Hv 42/05h-40, alle vier Angeklagten des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs 2 erster Fall StGB schuldig. Demnach haben sie „am 31. Jänner 2005 in Eggenburg an einem Angriff mehrerer tätlich teilgenommen, wobei der Angriff eine Körperverletzung, nämlich eine Schädelprellung bei Haofan Z***** und eine Gehirnerschütterung bei Michael K***** verursacht hat."
Nach den wesentlichen Feststellungen dieses Urteils kam es am Abend des 31. Jänner 2005 im Heim „Lindenhof" zwischen den Zöglingen Rene M***** und Haofan Z***** im Zimmer des Letztgenannten zu gegenseitigen, vom Angeklagten Rene M***** provozierten Tätlichkeiten ohne Verletzungsfolgen. Nachdem Rene M***** das Zimmer verlassen hatte, um Hilfe herbeizuholen, betrat er gemeinsam mit den weiteren Heiminsassen Josef G***** und Michael K***** erneut das Zimmer des Haofan Z*****, „da sie einen Angriff auf ihn durchführen wollten". Im Verlauf der sodann von den Angeklagten Rene M*****, Josef G***** und Michael K***** gegen Haofan Z***** unternommenen Tätlichkeiten versetzte einer der drei Angreifer Haofan Z***** von hinten einen Schlag gegen den Kopf, wodurch dieser eine Kopfprellung erlitt. Durch einen in Ausübung von Notwehr gegen den Kopf des Rene M***** geführten Faustschläg fügte Haofan Z***** diesem eine geringfügige Kratzwunde zu, verletzte sich hiebei aber selbst (an der zerbrechenden Brille Rene M*****) an der rechten Hand, wobei die Schnittwunde und die Beschädigung der Sehnenplatte der Strecksehne zu einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit führten. Dem Angeklagten Haofan Z***** gelang es schließlich, die drei Angreifer aus seinem Zimmer zu vertreiben, wobei er ihnen nunmehr (nach Abschluss ihres Angriffes) mit bedingtem Verletzungsvorsatz eine Porzellantasse nachwarf, die Michael K***** am Hinterkopf traf und bei diesem eine (leichte) Gehirnerschütterung bewirkte.
Das Urteil, das von der Staatsanwaltschaft nicht bekämpft wurde, ist in Ansehung der noch in der Hauptverhandlung auf Rechtsmittel verzichtenden (AS 265) Angeklagten Rene M***** und Michael K***** am 7. März 2006 (in den bezüglichen Endverfügungen ON 49 und 50 unrichtig: „7. April 2006") in Rechtskraft erwachsen. Nach der Aktenlage ist auch das gegen Josef G***** ergangene (Abwesenheits-)Urteil bereits rechtskräftig; er ließ das seinem Verteidiger am 9. Juni 2006 und ihm selbst am 13. Juni 2006 (durch Hinterlegung) zugestellte Urteil (vgl AS 297 sowie ON 55 und 57) unbekämpft.
Berufung (wegen Nichtigkeit) wurde lediglich vom Angeklagten Haofan Z***** erhoben. Über dieses Rechtsmittel (ON 59) hat das Oberlandesgericht Wien noch nicht entschieden.
Rechtliche Beurteilung
Die Vornahme der Hauptverhandlung am 2. März 2006 in Ansehung des abwesenden Angeklagten Josef G***** und die Urteilsfällung stehen - wie der Generalprokurator in seiner deshalb zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Der am 8. August 1987 geborene Angeklagte Josef G***** war am 2. März 2006, an welchem Tag die Hauptverhandlung in seiner Abwesenheit vorgenommen wurde, erst 18 Jahre alt, somit sogenannter „junger Erwachsener" im Sinn des § 46a JGG.
Gemäß § 32 Abs 1 JGG iVm § 46a Abs 2 JGG ist aber in Strafverfahren gegen junge Erwachsene § 427 StPO nicht anzuwenden. Die Durchführung der Hauptverhandlung vor dem Einzelrichter des Landesgerichtes Krems an der Donau und die Fällung des Urteils vom 2. März 2006 (ON 39 und 40) in Abwesenheit des Angeklagten Josef G***** waren daher nicht zulässig; das Abwesenheitsurteil ist gemäß § 32 Abs 1 JGG (hier aus der Z 3 des § 468 Abs 1 StPO iVm § 489 Abs 1 StPO) nichtig (13 Os 138/02; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 193 und 243 Schroll in WK2 § 32 JGG Rz 4 und § 46a JGG Rz 6).
Ist - wie vorliegend - gemäß des § 46a Abs 2 JGG iVm § 32 Abs 1 JGG die Bestimmung des § 427 StPO nicht anwendbar, dann darf - der Rechtsansicht des Einzelrichters des Landesgerichtes Krems an der Donau (vgl US 14 f) zuwider - das Urteil auch dann nicht in Abwesenheit des Angeklagten gefällt werden, wenn der Verteidiger und die anderen Verfahrensparteien der Durchführung des Abwesenheitsverfahrens (wie hier ersichtlich konkludent) zustimmen (EvBl 1994/6; Ratz aaO § 478 Rz 1), selbst wenn die Aussagen der in der Hauptverhandlung vernommenen Personen auf den Ausgang des den Abwesenden betreffenden Verfahrens keinen Einfluss haben. Darüber hinaus ist auch die im Urteil getroffene Subsumtion des festgestellten Tatverhaltens aller vier Angeklagten (zu deren Vorteil) rechtlich verfehlt.
In Ansehung des Angeklagten Haofan Z***** ist der Schuldspruch nach § 91 Abs 2 (erster Fall) StGB vom Ansatz her unrichtig. Denn schon nach dem hier zu berücksichtigenden gewöhnlichen Sprachgebrauch (Fabrizy, StGB9 § 91 Rz 3) kann „Teilnehmer am Angriff mehrerer" (§ 91 Abs 2 StGB) nicht jene Person sein, der - wie hier Haofan Z***** - der von mehreren (das sind zumindest zwei, vgl SSt 47/25) Personen vorsätzlich unternommene Angriff gilt. Der Umstand allein, dass Haofan Z***** am Tatort anwesend war und in der Folge gegen Michael K***** tätlich wurde, vermag - erneut der Rechtsansicht des Einzelrichters (US 11 unten) zuwider - den im § 91 Abs 2 StGB angeführten Deliktsfall des Raufhandels nicht zu begründen. Diese festgestellten Umstände könnten Haofan Z***** als Raufhandel im Sinn des § 91 StGB nur in Form des Deliktsfalls der „Schlägerei" (Abs 1 leg cit), an der mindestens drei Personen beteiligt sein müssen, angelastet werden, von der aber bei der hier gegebenen Notwehrsituation keine Rede sein kann.
Objektive Bedingung der Strafbarkeit ist zudem, dass durch die Schlägerei eine schwere Körperverletzung einer vom Täter verschiedenen Person verursacht wird (vgl Hauptmann/Jerabek in WK2 § 91 Rz 6, Mayerhofer StGB5 § 91 E 6).
Nach den vorliegenden Feststellungen hat Haofan Z***** gegen die drei Mitangeklagten erst dann Gegenwehr (durch Wurf einer Prozellantasse) gesetzt, als sie ihren tätlichen Angriff bereits abgeschlossen hatten und sein Zimmer verließen (US 13). Demgemäß würde es auch für die Annahme einer „Schlägerei" im Sinn des § 91 Abs 1 StGB bereits an der Grundvoraussetzung einer im Zeitpunkt der Tat (Wurf der Porzellantasse) gegebenen Auseinandersetzung zwischen mindestens drei Personen mangeln, bei welchen von beiden Seiten ernst gemeint Feindseligkeiten begangen werden (Hauptmann/Jerabek aaO Rz 3; Kienapfel/Schroll BT I5 § 91 Rz 6).
Da der Angeklagte Haofan Z***** allerdings im mit noch offenen Berufung angefochtenen Ersturteil als Urheber der vorsätzlich (durch Porzellantassenwurf) zugefügten (leichten) Gehirnerschütterung des Michael K***** festgestellt wurde (US 9); wäre (selbst unter der verfehlten Annahme, Haofan Z***** habe an einem tätlichen Angriff mehrerer vorsätzlich teilgenommen, vgl Fabrizy aaO Rz 3a), über ihn ein Schuldspruch wegen des (gegenüber § 91 Abs 2 erster Fall StGB mit strengerer Strafe bedrohten) Vergehens nach § 83 Abs 1 StGB zu fällen gewesen.
Die (abweichend vom Anklagevorwurf bloß als Angriff mehrerer beurteilte Tat der Angeklagten Rene M*****, Josef G***** und Michael K***** wiederum wäre nach den vorliegenden Feststellungen jedenfalls dem mit höherer Strafe bedrohten zweiten Fall des § 91 Abs 2 StGB zu unterstellen gewesen, war deren Angriff für die schwere Handverletzung des Haofan Z***** doch (im Sinn der Äquivalenztheorie) ursächlich und ist dieser Erfolg ihnen auch normativ zurechenbar (Hauptmann/Jerabek aaO Rz 10; Kienapfel/Schroll BT I5 § 91 Rz 15). Denn zwischen einem tätlichen Angriff mehrerer und schweren Abwehrverletzungen des angegriffenen Opfers besteht selbst dann, wenn die Gegenwehr offensiv, aber in Notwehr erfolgte, durchaus ein Adäquanz- und Risikozusammenhang.
Die verfehlte Subsumtion der Schuldsprüche betreffend Z*****, M***** und K***** war nur festzustellen. Hingegen ist nicht auszuschließen, dass sich die in der Abwesenheit erfolgte Vornahme der Hauptverhandlung und Urteilsfällung am 2. März 2006 zum Nachteil des Angeklagten Josef G***** ausgewirkt haben. Nach der demnach gebotenen kassatorischen Erledigung (§ 292 letzter Satz StPO) in Bezug auf das über Josef G***** gefällte Urteil ist das Erstgericht im zweiten Rechtsgang in der rechtlichen Beurteilung frei und nur in der Strafbemessung an das Verschlimmerungsverbot gebunden (Fabrizy, StPO9 § 290 Rz 9).
Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten Z***** waren die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Wien zuzuleiten.
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