OGH 12Os80/06s (12Os81/06p-8)

OGH12Os80/06s (12Os81/06p-8)21.9.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. September 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. Solé als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Denk als Schriftführer, in der Strafsache gegen Wilhelm H***** wegen des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde, die Berufung und den Antrag des Angeklagten H***** auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 13. April 2006, GZ 112 Hv 44/05v-41, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird verweigert. Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten Wilhelm H***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen in Rechtskraft erwachsenen Teilfreispruch des Angeklagten H***** und einen ebenfalls rechtskräftigen Freispruch des Mitangeklagten Johann R***** enthält, wurde Wilhelm H***** des Vergehens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in der Zeit vom 13. Jänner 2004 bis zum 12. März 2004 in Wien oder Ungarn sich ein ihm von Ing. Wolfgang Sch***** anvertrautes Gut in einem 50.000 Euro nicht übersteigenden Wert, nämlich drei Uhren im Gesamtwert von ca 30.000 Euro, mit dem Vorsatz unrechtmäßiger Bereicherung zugeeignet.

Am 18. April 2006 meldete der Wahlverteidiger des Angeklagten Mag. Werner Tomanek innerhalb offener Frist Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an (S 1/II). Am 22. Mai 2006 wurde ihm die schriftliche Urteilsausfertigung zugestellt, sodass die vierwöchige Frist zur Ausführung der Rechtsmittel am 19. Juni 2006 um 24.00 Uhr endete. Mit seinem per Telefax am 6. Juni 2006 übermittelten Schriftsatz vom 1. Juni 2006 gab Mag. Tomanek dem Gericht die Vollmachtskündigung bekannt (S 3/II).

Mit dem am 3. Juli 2006 zur Post gegebenen Schriftsatz vom 30. Juni 2006 beantragte der nunmehrige Verteidiger des Angeklagten, Dr. Harald Hauer, die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung und führte zugleich die genannten Rechtsmittel aus. Gestützt wird der Wiedereinsetzungsantrag unter Vorlage einer eidesstättigen Erklärung seines Bruders Gerhard H***** auf die Behauptung des Angeklagten, infolge seiner damaligen gesundheitlichen Beeinträchtigung habe sein Bruder, der der deutschen Sprache nur im Rudimenten mächtig sei, sein Mobiltelefon gegen seinen Willen „einfach" an sich genommen. Demzufolge seien sämtliche telefonischen Mitteilungen seines Anwaltes Mag. Tomanek betreffend die Besprechung des Rechtsmittels und die Erteilung von Aufträgen an Gerhard H***** gelangt, die der Genannte in der Annahme ihrer Unwichtigkeit dem Angeklagten verschwiegen habe. Erst am Abend des 19. Juni 2006 habe der Angeklagte von der zwischenzeitigen Urteilszustellung und vom Ablauf der Rechtsmittelfrist erfahren. Aufgrund eines deswegen erlittenen Nervenzusammenbruchs habe er erst am 21. Juni 2006 seinen nunmehrigen Verteidiger Dr. Hauer bevollmächtigen können.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist dem Angeklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung eines Rechtsmittels zu bewilligen, sofern er nachweist, dass ihm die Einhaltung der Frist durch unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt. Folgt man der vorgelegten eidesstättigen Erklärung des Gerhard H*****, erfuhren dieser und der Angeklagte anlässlich einer Rücksprache in der Anwaltskanzlei von Mag. Tomanek am 19. Juni 2006, dass es sich bei den Anruferinnen auf dem Handy des Angeklagten um Angestellte des Verteidigers handelte, die Honorar für anwaltliche Leistungen forderten. Daher musste dem Angeklagten aber bereits seit der Anmeldung des Rechtsmittels am 18. April 2004 bewusst gewesen sein, dass die Finanzierung der Rechtsmittelausführung noch keineswegs gesichert war, sodass für ihn, auch im Hinblick auf die in den folgenden Wochen zu erwartende Zustellung der Urteilsausfertigung, mit einer Kontaktaufnahme von Seiten seines Verteidigers zwecks Abklärung der tatsächlichen Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und/oder der Berufung und der finanziellen Dotierung dieser Vertretungshandlungen zu rechnen war. Angesichts dessen hätte der Angeklagte schon aufgrund der gravierenden Deutschdefizite seines sein Mobiltelefon benutzenden Bruders für seine anderweitige Erreichbarkeit ausreichend Vorsorge treffen oder, schon im Hinblick auf die allgemein bekannte Verfristungsmöglichkeit bei der Erhebung von Rechtsmitteln, selbst Kontakt mit seinem Verteidiger aufnehmen müssen. Die Unterlassung der zur Wahrung der Ausführungsfrist fallaktuell gebotenen, dem Angeklagten auch durchaus zumutbaren Vorkehrungen ist somit nicht als Versehen bloß minderen Grades zu werten, sondern begründet zweifelsohne ein höhergradiges Verschulden, sodass der in § 364 Abs 1 Z 1 StPO geforderte Nachweis von unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignissen zur Fristwahrung nicht gelungen ist.

Davon abgesehen spricht die von Mag. Tomanek per Telefax am 6. Juni 2006 bekannt gegebene Vollmachtsauflösung für eine vorangegangene, zumindest schriftliche Kontaktaufnahme mit dem Angeklagten. Diesfalls hätte dieser aber rechtzeitig entweder einen anderen Rechtsanwalt mit der Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel beauftragen oder, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 41 Abs 2 StPO, einen Antrag gemäß § 43a StPO stellen müssen.

Für den Fall aber, dass es - wie vom Wiedereinsetzungswerber im Ergebnis unterstellt - zur bloß fernmündlichen (einseitigen) Vollmachtskündigung durch den Verteidiger oder in dessen Auftrag durch sein Kanzleipersonal gegenüber einer der deutschen Sprache (offensichtlich erkennbar) kaum mächtigen Person ohne Abklärung, ob es sich tatsächlich um den Angeklagten selbst als vom Erklärungsinhalt Betroffenen handelte, gekommen sein sollte, wäre in einer solchen Vorgangsweise keinesfalls ein Versehen bloß minderen Grades iSd § 364 Abs 1 Z 1 StPO zu erblicken.

Die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher zu verweigern.

Der Ablauf der durch die Zustellung der Urteilsausfertigung an den früheren Wahlverteidiger am 23. Mai 2006 in Gang gesetzten Rechtsmittelausführungsfristen wurden durch die nachträgliche Bekanntgabe der Vollmachtsauflösung nicht tangiert (RIS-Justiz RS0096636; Mayerhofer, StPO5 § 285 E 21a). Die demnach verspätet ausgeführte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten musste mit Rücksicht darauf, dass bei ihrer Anmeldung keiner der in § 281 Abs 1 Z 1 bis 11 StPO angegebenen Gründen deutlich und bestimmt bezeichnet wurde, schon bei einer nichtöffentlichen Beratung zurückgewiesen werden (§§ 285d Abs 1 Z 1, 285a Z 2 StPO).

Die Entscheidung über die rechtzeitig angemeldete Berufung kommt daher dem Gerichtshof zweiter Instanz zu (§ 285i StPO). Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO. An dieser Erledigung hätte sich im Ergebnis im Übrigen auch bei Rechtzeitigkeit der Rechtsmittelausführung im Ergebnis nichts geändert, weil die Mängelrüge die im Urteil zur Verneinung tätiger Reue enthaltene, aus dem Gesamtverhalten des Angeklagten abgeleitete Begründung (US 12 bis 15) ignoriert und die Rechtsrüge (Z 9 lit b) prozessordnungswidrig die Konstatierung, wonach die als bloßer Beschwichtigungsversuch eingestufte telefonische Zusicherung des Angeklagten, das Tatopfer schadlos zu halten, nicht als vertragliche Verpflichtung zur Schadensgutmachung iSd § 167 Abs 2 Z 2 StGB zu werten ist (US 17), mit eigenen Beweiswerterwägungen ins Gegenteil umzudeuten trachtet. Das angefochtene Urteil bietet daher auch keinen Anlass für ein amtswegiges Vorgehen nach § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO.

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