OGH 14Os85/06s (14Os86/06p)

OGH14Os85/06s (14Os86/06p)12.9.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. September 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Roland als Schriftführerin in der Strafsache gegen Andrea B***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Abs 1 Z 2 StGB, AZ 40 Hv 126/04k des Landesgerichtes Salzburg, über die vom Generalprokurator gegen die Urteile des Einzelrichters des Landesgerichtes Salzburg vom 21. Juni 2005 (ON 16) sowie des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 16. März 2006, AZ 8 Bs 433/05s (= ON 23), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Fabrizy, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Urteile des Einzelrichters des Landesgerichtes Salzburg vom 21. Juni 2005, GZ 40 Hv 126/04k-16, sowie des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 16. März 2006, AZ 8 Bs 433/05s (= ON 23), verletzen § 81 Abs 1 Z 1 StGB.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Salzburg vom 21. Juni 2005, GZ 40 Hv 126/04k-16, wurde Andrea B***** abweichend von dem wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Abs 1 Z 2 StGB gestellten Strafantrag (bloß) des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB schuldig erkannt, weil sie am 8. April 2004 in Köstendorf auf der Seekirchner Landesstraße als Lenkerin eines Personenkraftwagens fahrlässig den Tod des Beifahrers Franz P***** herbeigeführt hatte, indem sie in einem alkoholbeeinträchtigten Zustand in einer langgezogenen Rechtskurve bei überhöhter Geschwindigkeit von der Fahrbahn abgekommen war, worauf sich das Fahrzeug mehrfach überschlagen hatte und sie selbst sowie Franz P***** aus jenem geschleudert worden waren.

Nach den erstgerichtlichen Urteilsfeststellungen fuhr Andrea B***** am 8. April 2004 gegen 00.30 Uhr mit ihrem PKW der Marke VW Lupo auf der Seekirchner Landesstraße von Köstendorf in Richtung Seekirchen. Bei Straßenbaukilometer 3,8 befuhr sie eine langgezogene Rechtskurve mit einer Geschwindigkeit von zumindest 112 km/h, kam links von der Fahrbahn ab und schleuderte dann nach rechts auf eine dort angelegte Böschung, worauf sich der PKW mehrmals überschlug und sie selbst sowie ihr Beifahrer Franz P***** aus dem Fahrzeug geschleudert wurden. Der Beifahrer erlitt dabei polytraumatische Verletzungen (Schädelhirntrauma mit Subduralhämatom rechts, Leberhämatom mit Einblutungen sowie zahlreiche Frakturen), an deren Folgen er am 17. April 2004 verstarb. Andrea B***** war zum Unfallszeitpunkt alkoholisiert, ihr Blutalkoholgehalt betrug 1,2 Promille. Beide Fahrzeuginsassen hatten die Sicherheitsgurte nicht angelegt. Die (selbständige) Qualifikation des § 81 Abs 1 Z 2 StGB wurde vom Erstgericht nicht angenommen, weil das spätere Lenken des Personenkraftwagens für die Lenkerin zum Zeitpunkt ihres Alkoholkonsums nicht vorhersehbar gewesen sei.

Auch das Vorliegen besonders gefährlicher Verhältnisse im Sinne des § 81 Abs 1 Z 1 StGB wurde verneint, weil nach Ansicht des Erstgerichtes abgesehen von der Alkoholisierung keine weiteren risikosteigernden Faktoren gegeben waren.

Der gegen diesen Schuldspruch gerichteten - eine Verurteilung wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Abs 1 Z 1 oder Z 2 StGB anstrebenden - Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Nichtigkeit und Schuld gab das Oberlandesgericht Linz mit Urteil vom 16. März 2006, AZ 8 Bs 433/05s (= ON 23), nicht Folge. Es übernahm nach Beweiswiederholung und -ergänzung die erstgerichtlichen Feststellungen und verneinte auf dieser Grundlage nicht nur eine der Angeklagten zurechenbare Alkoholisierung im Sinne des § 81 Abs 1 Z 2 StGB, sondern auch das Vorliegen besonders gefährlicher Verhältnisse nach Abs 1 Z 1 leg cit. Denn weder die Einhaltung einer Geschwindigkeit von 112 km/h (höchstzulässige Geschwindigkeit am Unfallsort 100 km/h) noch der Umstand, dass die Fahrbahn nass war, Dunkelheit herrschte und die Lenkerin lediglich das Abblendlicht eingeschaltet hatte, würden so bedeutsame bzw gewichtige risikoerhöhende Faktoren darstellen, dass die Annahme besonders gefährlicher Verhältnisse gerechtfertigt wäre. Auf die Alkoholisierung der Angeklagten allein könne aber (fallbezogen) die zitierte Qualifikation nicht gestützt werden.

Rechtliche Beurteilung

Die Nichtannahme der (selbständigen) Qualifikation des § 81 Abs 1 Z 1 StGB steht - wie der Generalprokurator in seiner deshalb zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Besonders gefährliche Verhältnisse liegen vor, wenn ein Verhalten unter Umständen gesetzt wird, die nach dem Urteil eines sachkundigen Beobachters, das dieser im Zeitpunkt der Verhaltensvornahme und vom Standort des Sich-Verhaltenden aus fällt, mit außergewöhnlich hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lassen, dass ein anderer Mensch getötet oder zumindest schwer verletzt wird. Die Beurteilung verlangt eine umfassende Wertung aller in concreto risikoerhöhend und risikovermindernd wirkenden Faktoren des Einzelfalls. Es ist zwar (grundsätzlich) durchaus möglich, den in Rede stehenden hohen Gefährlichkeitsgrad aus einem einzigen besonders gewichtigen risikoträchtigen Umstand abzuleiten. In der Regel ergibt sich aber die von § 81 Abs 1 Z 1 StGB geforderte besondere Gefährlichkeit daraus, dass mehrere risikosteigernde Faktoren zusammentreffen („Mosaiktheorie"; Kienapfel, ÖJZ 1977, 657; Burgstaller in WK2 § 81 Rz 12; Kienapfel/Schroll BT I5 § 81 Rz 10 f, insbes Rz 17 f). Vorliegendenfalls vermag zwar die - wenngleich erheblich über dem Grenzwert des § 5 Abs 1 StVO liegende - Berauschung der Angeklagten im Hinblick auf die Spezialnorm des § 81 Abs 1 Z 2 StGB den vom § 81 Abs 1 Z 1 StGB geforderten gesteigerten Gefährlichkeitsgrad für sich allein nicht zu begründen (Burgstaller in WK2 § 81 Rz 13), im Sinne der Mosaiktheorie hat aber die Lenkerin Andrea B***** eine qualitativ verschärfte Gefahrenlage dadurch geschaffen, dass sie ihr Fahrzeug trotz ihrer Alkoholisierung von zumindest 1,2 Promille bei Dunkelheit mit einer im Hinblick auf die nasse Fahrbahn und das Abblendlicht weit überhöhten Geschwindigkeit lenkte, wobei sie infolge eines Fahrfehlers nach links von der Fahrbahn abkam und dadurch den Tod des nicht angegurteten, einen Alkoholisierungsgrad von drei Promille aufweisenden Beifahrers (US 3 von ON 16) verschuldete. Die genannte Umstände führten geradezu typisch zu einer außergewöhnlich hohen Unfallwahrscheinlichkeit im Straßenverkehr (Kienapfel/Schroll BT I5 § 81 Rz 22 f).

Dass die einzelnen zusammentreffenden risikosteigernden Faktoren jeweils für sich bedeutsam oder besonders gewichtig sein müssen, ist für die Annahme besonders gefährlicher Verhältnisse nicht erforderlich.

Da sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung ausschließlich zum Vorteil der Verurteilten auswirkte, hat ihre Feststellung ohne konkrete Wirkung zu bleiben.

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