Spruch:
In der Strafsache gegen Herman H*****, AZ 6 U 432/03k des Bezirksgerichtes St. Johann im Pongau, verletzen das Gesetz
(1) die in der Hauptverhandlung vom 3. November 2005 vorgenommene Verlesung der Aussage des Zeugen Thomas Z***** (S 107) in der Bestimmung des § 252 Abs 1 StPO iVm § 458 Abs 5 StPO sowie
(2) die Unterlassung der Anordnung der Zustellung einer Rechtsmittelbelehrung in der Zustellverfügung vom 26. Jänner 2006 (S 1g verso) in den Bestimmungen des § 3 StPO und des § 152 Abs 3 Geo. Es werden das Abwesenheitsurteil vom 3. November 2005 (ON 27) sowie alle darauf beruhenden Entscheidungen und Verfügungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht St. Johann im Pongau zurückverwiesen.
Text
Gründe:
Im Strafverfahren gegen Herman H***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB, AZ 6 U 432/03k, führte das Bezirksgericht St. Johann im Pongau am 3. November 2005 die Hauptverhandlung gemäß § 459 StPO in Abwesenheit des Beschuldigten durch, weil dieser trotz zugegangener Ladung (s ON 24) nicht erschienen war. Dabei verlas der Richter auch die Aussage des Zeugen Thomas Z***** (S 13), der seiner Vorladung ebenfalls nicht nachgekommen war (S 107).
Mit Abwesenheitsurteil vom 3. November 2005 (ON 27) wurde Herman H***** des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB schuldig erkannt, wobei sich das Bezirksgericht St. Johann im Pongau beweiswürdigend ua auf die in der Hauptverhandlung verlesenen Angaben des Zeugen Thomas Z***** vor der Polizei (S 13) stützte.
Dieses Abwesenheitsurteil wurde dem Beschuldigten - ohne Anordnung des Anschlusses einer Rechtsmittelbelehrung - am 22. März 2006 zugestellt (S 1g verso). Über die gegen das Abwesenheitsurteil am 2. Dezember 2005 erhobene (S 1g) Berufung der Staatsanwaltschaft (ON 29) sowie die am 8. April 2006 (in norwegischer Sprache) zur Post gegebene Berufung des Beschuldigten (ON 38) wurde noch nicht entschieden.
Rechtliche Beurteilung
Wie der Generalprokurator in der gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, stehen die Verlesung des Protokolls über die sicherheitsbehördliche Vernehmung des Zeugen Thomas Z***** in der Hauptverhandlung vom 3. November 2005 sowie das Unterlassen der Anordnung des Anschlusses einer Rechtsmittelbelehrung in der Zustellverfügung vom 26. Jänner 2006 (S 1g verso) mit dem Gesetz nicht in Einklang. Nach der - gemäß § 458 Abs 5 StPO auch vor dem Bezirksgericht geltenden - Regelung des § 252 Abs 1 StPO dürfen (ua) gerichtliche und sonstige amtliche Protokolle über die Vernehmung von Zeugen bei sonstiger Nichtigkeit nur in den im Gesetz genannten Fällen (§ 252 Abs 1 Z 1 bis Z 4 StPO) verlesen werden. Da hier keiner dieser Ausnahmetatbestände vorlag, war die Verlesung des Protokolls über die polizeiliche Vernehmung des Zeugen Thomas Z***** unzulässig. Insbesonders stellt weder das unentschuldigte Fernbleiben eines gehörig geladenen Zeugen den Verlesungstatbestand des § 252 Abs 1 Z 1 StPO her (11 Os 130/05k), noch kann aus dem Nichterscheinen des Beschuldigten zur Hauptverhandlung dessen Einverständnis iSd § 252 Abs 1 Z 4 StPO abgeleitet werden (RZ 1999/26; zuletzt 11 Os 130/05k). Die Bestimmung des § 3 StPO verpflichtet alle im Strafverfahren tätigen Behörden, den Beschuldigten, auch wo es nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist, über seine Rechte zu belehren. Für den - hier vorliegenden - Fall der Urteilsfällung in Abwesenheit des Beschuldigten normiert überdies § 152 Abs 3 Geo, dass der Richter in der Zustellverfügung (§ 129 Abs 4 Geo) den Anschluss einer Rechtsmittelbelehrung ausdrücklich anzuordnen hat. Auch dieser - der Effektuierung der Garantien des Art 2 Z 1 des 7. ZPMRK dienenden - Belehrungspflicht ist das Bezirksgericht St. Johann im Pongau nicht nachgekommen.
Da das Erstgericht den Schuldspruch nach der Aktenlage zum Teil auf die unzulässig verlesene Zeugenaussage gründet (US 5 f), ist nicht auszuschließen, dass die Verlesung dem Beschuldigten zum Nachteil gereicht ist, aus welchem Grund die Feststellung der Gesetzesverletzung gemäß § 292 letzter Satz StPO mit konkreter Wirkung zu verknüpfen war.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)