OGH 14Os62/06h

OGH14Os62/06h11.7.2006

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Juli 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll, Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bauer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Karl K***** wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die vom Generalprokurator gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom 21. Oktober 2005, GZ 38 U 84/05t-16, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Mag. Fuchs, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Urteil des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom 21. Oktober 2005, GZ 38 U 84/05t-16, verletzt

1. im Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 27 Abs 1 SMG betreffend den Besitz von 10 Stück Praxiten-Tabletten das Gesetz in §§ 27 Abs 1, 30 Abs 2 Z 1 und Z 2 SMG sowie

2. in den Schuldsprüchen wegen der Vergehen nach § 27 Abs 1 SMG betreffend den Erwerb und Besitz von Kokain das Gesetz in §§ 35 Abs 1, 37 SMG.

Das Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in den Schuldsprüchen wegen der Vergehen nach § 27 Abs 1 SMG, demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Leopoldstadt verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem - in gekürzter Form ausgefertigten - rechtskräftigen Urteil des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom 21. Oktober 2005, GZ 38 U 84/05t-16, wurde Karl K***** des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB sowie der Vergehen „nach § 27 Abs 1 SMG" schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt.

Die (anklagekonforme) Verurteilung wegen der Vergehen nach § 27 Abs 1 (zu ergänzen: erster und zweiter Fall bzw zweiter Fall) SMG erfolgte, weil Karl K***** (in Wien) am 30. Juni sowie am 12. September 2005 jeweils Kokain erworben und besessen sowie am 4. Juli 2005 zehn Stück Praxiten-Tabletten besessen hatte.

Rechtliche Beurteilung

Das Urteil des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom 21. Oktober 2005, GZ 38 U 84/05t-16, steht - wie der Generalprokurator in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt - im Umfang der Schuldsprüche nach § 27 Abs 1 SMG mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Praxiten-Tabletten beinhalten den psychotropen Stoff Oxazepam (vgl die Psychotropenliste im Einführungserlass des Bundesministeriums für Justiz zum Suchtmittelgesetz, JMZ 703.028/5 II.2/1997, iVm der Psychotropenverordnung, BGBl II 375/1997 idgF BGBl II 409/2005, Anhang Punkt 2.), auf den §§ 30 und 31 SMG, nicht aber die auf Suchtgifte abstellenden §§ 27 und 28 SMG zur Anwendung gelangen. Nach § 30 Abs 2 SMG ist überdies von der Strafbarkeit nach § 30 Abs 1 SMG ausgenommen, wer solche psychotrope Stoffe enthaltende Arzneimittel in einer nicht großen Menge u.a. zum eigenen Gebrauch erwirbt, besitzt, ein- oder ausführt (§ 30 Abs 2 Z 1 SMG) bzw einem anderen überlässt und daraus keinen Vorteil zieht (§ 30 Abs 2 Z 2 SMG).

Das Erstgericht qualifizierte daher den inkriminierten Besitz von Praxiten-Tabletten zu Unrecht als Vergehen nach § 27 Abs 1 (zweiter Fall) SMG.

Es unterließ angesichts des iSd Urteilstenors (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) verwirklichten Tatbestands nach § 30 Abs 1 zweiter Fall SMG die gebotene Prüfung, ob hinsichtlich dieser Arzneimittel die Voraussetzungen des Strafausschließungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 1 SMG vorgelegen haben, zumal zehn Tabletten zumindest nach den handelsüblichen Dosierungen laut Psychotropenliste noch keiner großen Menge Oxazepam iSd § 31 Abs 3 SMG iVm Anhang Punkt 2. der Psychotropen-Grenzmengenverordnung, BGBl II 378/1997 idgF BGBl II 41/2005, entsprechen.

Das Bezirksgericht verabsäumte es aber auch abzuklären, ob Karl K***** über den im Strafantrag inkriminierten Besitz von 10 Stück Praxiten-Tabletten am 4. Juli 2005, 15 Uhr 45, (= Strafantrag ON 6) hinausgehend - von der Anklage iS eines einheitlichen Lebenssachverhaltes gleichwohl noch umfasst - nicht zugleich versucht hatte, diese Tabletten Alexander W***** zu überlassen (vgl S 71). Dazu hätte man auch die Sachverhaltsergebnisse der Anzeige ON 9 heranziehen müssen, obgleich der dazu gestellte Strafantrag (ON 11) wegen des Besitzes und der Weitergabe von 10 Stück Praxiten-Tabletten am 4. Juli 2005, 10 Uhr 35, vom Sitzungsvertreter der Anklagebehörde zurückgezogen wurde (vgl Vermerk auf ON 11, S 123; ein Freispruch nach § 259 Z 2 StPO wurde gleichwohl nicht gefällt). Im Fall eines versuchten Überlassens wären wiederum die Voraussetzungen des alternativen Strafausschließungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 2 SMG, insbesondere eine uneigennützige Weitergabe der Tabletten abzuhandeln gewesen.

Darüber hinaus hätte die verhandelnde Richterin bei einer Straflosigkeit des angelasteten Besitzes von 10 Stück Praxiten-Tabletten hinsichtlich des sonst angelasteten und durch Eigenkonsum - somit zum eigenen Gebrauch - verwirklichten Erwerbs und Besitzes von jeweils nur geringen Mengen Kokain (vgl S 49 und 139) insoweit die Voraussetzungen für eine - nach Anklageerhebung gemäß § 37 SMG vom Gericht vorzunehmende - diversionelle Erledigung nach § 35 Abs 1 SMG prüfen müssen.

Für die Bejahung der Voraussetzungen des § 30 Abs 2 SMG und sofortige Entscheidung iS eines den Besitz von Praxiten-Tabletten betreffenden Freispruchs nach § 259 Z 3 StPO fehlt es an einem entsprechenden Feststellungssubstrat im gekürzt ausgefertigten Urteil, zumal keine Konstatierungen vorliegen, wonach der Verurteilte diese psychotropen Stoffe nur zum eigenen Gebrauch erworben und besessen hatte (§ 30 Abs 2 Z 1 SMG). Überdies kann nach den vorliegenden Verfahrensergebnissen jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass Karl K***** - über den im Strafantrag inkriminierten Besitz hinausgehend - diese Praxiten-Tabletten entgeltlich (vgl S 105 bis 109) weitergeben wollte (vgl S 67 und 71), wobei in diesem Fall aufzuklären wäre, ob er daraus auch einen Vorteil gezogen hätte (§ 30 Abs 2 Z 2 SMG). Die aufgezeigten Gesetzesverletzungen wirken sich zum Nachteil des Verurteilten aus (§ 292 letzter Satz StPO), sodass das angefochtene Urteil, welches im Übrigen unberührt blieb, im Umfang sämtlicher Schuldsprüche nach § 27 Abs 1 SMG und damit auch im Strafausspruch aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Leopoldstadt zu verweisen war.

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