OGH 1Ob145/06i

OGH1Ob145/06i11.7.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1) Bianca P*****, geboren am *****, und 2) Carmen P*****, geboren am *****, infolge ordentlichen Revisionsrekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 26. Jänner 2006, GZ 20 R 193/05f, 198/05s-U9, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Gänserndorf vom 3. November 2005, GZ 111 P 96/04i-U2 und U3, abgeändert wurden, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Mit Beschluss vom 10. 10. 2005 setzte das Erstgericht die Geldunterhaltspflicht des Vaters der beiden Minderjährigen vom 1. 5. bis 30. 11. 2004 und vom 1. 9. 2005 bis 28. 2. 2006 rechtskräftig auf jeweils 100 EUR monatlich herab.

In der Folge setzte das Erstgericht mit den Beschlüssen vom 3. 11. 2005 die Bianca gewährten Unterhaltsvorschüsse von 188,95 EUR auf 100 EUR monatlich vom 1. 5. bis 30. 11. 2004 und vom 1. 9. 2005 bis 28. 2. 2006 sowie die Carmen gewährten Unterhaltsvorschüsse von 174,41 EUR gleichfalls auf 100 EUR monatlich vom 1. 5. bis 30. 11. 2004 und vom 1. 9. 2005 bis 28. 2. 2006 herab. In Punkt 3. dieser Beschlüsse ordnete das Erstgericht im Übrigen an, dass die zu Unrecht gezahlten Unterhaltsvorschüsse von insgesamt 622,65 EUR für Bianca und insgesamt 520,87 EUR für Carmen einzubehalten seien, und zwar bei Bianca durch Verrechnung eines Teilbetrags von 444,75 EUR mit den für April bis August 2005 nachzuzahlenden Unterhaltsvorschüssen von insgesamt 444,75 EUR sowie durch Kürzung der „in Zukunft zur Auszahlung gelangenden Vorschüsse" in drei monatlichen Raten von zweimal je 60 EUR und einmal 57,90 EUR sowie bei Carmen durch Verrechnung eines Teilbetrags von 372,05 EUR mit den für April bis August 2005 nachzuzahlenden Unterhaltsvorschüssen von insgesamt 372,05 EUR sowie durch Kürzung der „in Zukunft zur Auszahlung gelangenden Vorschüsse" in drei monatlichen Raten von zweimal je 50 EUR und einmal 48,82 EUR. Solche Einbehalte würden die Befriedigung der Bedürfnisse der Kinder nicht gefährden.

Ansprüche der Kinder auf noch zu leistende Unterhaltsvorschüsse für April bis August 2005 entstanden deshalb, weil das Erstgericht in einem Aktenvermerk vom 17. 3. 2005 festhielt: „UV auf je 100 EUR innegehalten" (ON 89), seither die den Kindern zuerkannten, 100 EUR monatlich übersteigenden Unterhaltsvorschüsse nicht mehr gezahlt wurden, letztlich aber der vom Vater für April bis August 2005 zu leistende Geldunterhalt nicht herabgesetzt wurde.

Das Rekursgericht hob den Punkt 3. der angefochtenen Beschlüsse vom 3. 11. 2005 jeweils ersatzlos auf und sprach zunächst aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Mit Beschluss vom 18. 5. 2006 änderte es letzteren Ausspruch dahin ab, dass der ordentliche Revisionsrekurs doch zulässig sei. Es erwog in rechtlicher Hinsicht, dass bei der Einbehaltung von Unterhaltsvorschüssen auf die Bedürfnisse des Kindes Bedacht zu nehmen sei. Die Existenz des Kindes müsse auch auf Grund gekürzter Vorschüsse gesichert sein. Sie sei gefährdet, wenn reduzierte Vorschüsse den Durchschnittsbedarfssatz nicht nur kurzzeitig und nicht bloß unwesentlich unterschritten. Hier würde eine Kürzung der Unterhaltsvorschüsse den laufenden Unterhalt der Kinder ernstlich gefährden, betrügen doch die Regelbedarfssätze bei Kindern bis zu zehn Jahren 264 EUR, bei Kindern bis zu fünfzehn Jahren 302 EUR jeweils monatlich. Mit den durch das Erstgericht reduzierten Unterhaltsvorschüssen ließe sich nicht einmal ein Drittel des Regelbedarfs der Kinder decken. Die Entscheidung hänge doch von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage nach § 62 Abs 1 AußStrG ab, weil das Rekursgericht bei seiner Beurteilung auf die zu 7 Ob 547/94 ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs nicht Bedacht genommen habe.

Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Nach Ansicht des Bundes entspricht es nicht dem Willen des Gesetzgebers, Unterhaltsvorschüsse, auf die ein Kind „keinen Anspruch mehr hat, nach Innehaltung doch auszubezahlen, nur um sie in der Folge wieder zurückzufordern". Überdies sei es für die Deckung des laufenden Unterhaltsbedarfs besser, „einen Überbezug von einer Nachzahlung einzubehalten und die künftig fällig werdenden Vorschüsse ungeschmälert auszubezahlen, als dem Kind einen größeren Einmalbetrag auszubezahlen, spätere Vorschussbeträge aber zu reduzieren". Nach diesen Ausführungen will der Bund die entstandenen Überbezüge an Unterhaltsvorschüssen offenkundig nur durch eine Verrechnung mit den zu leistenden Nachzahlungen teilweise decken, ohne letztlich auch eine Kürzung der laufenden Unterhaltsvorschüsse anzustreben. Dementgegen wird im Rechtsmittelantrag die gänzliche Wiederherstellung der erstgerichtlichen Beschlüsse vom 3. 11. 2005 in deren Punkt 3. begehrt. Welche Rechtsfolge diese Diskrepanz zeitigen müsste, ist hier nicht zu erörterten, weil die im Revisionsrekurs ins Treffen geführte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 7 Ob 547/94 den Standpunkt des Bundes, wie sogleich zu begründen sein wird, weder in der einen noch in der anderen Richtung stützt.

2. Nach der zuvor zitierten Entscheidung ist eine Innehaltung auch ohne Vorliegen eines Rekurses bereits auf Grund „eines beachtlichen Unterhaltsherabsetzungsantrags und auch bei amtswegigem Auftreten begründeter Bedenken gegen eine weitere Auszahlung des Unterhaltsvorschusses in bisheriger Höhe anzuordnen"; andernfalls entbehrte § 19 Abs 3 UVG insofern eines Anwendungsbereichs (ebenso 1 Ob 78/03g = SZ 2003/118). Durch einen Innehaltungsbeschluss gemäß § 19 Abs 3 UVG würden überdies „rechtskräftig zuerkannte Rechtsschutzansprüche auf unanfechtbare Weise mit all den für den Vorschussansprecher sich ergebenden Konsequenzen suspendiert". Die Wendung in § 19 Abs 1 UVG, Übergenüsse aus den künftig fällig werdenden Vorschüssen einzubehalten, beziehe sich im Fall der Innehaltung „nur auf den in Zukunft liegenden Auszahlungszeitpunkt". Demnach seien zu Unrecht gezahlte Beträge „von künftig auszuzahlenden Vorschüssen" einzubehalten. Das gelte auch für Vorschüsse, die zufolge eines Innehaltungsbeschlusses zunächst nicht gezahlt worden seien, weil es nicht Sinn des Gesetzes sein könne, solche Beträge, auf die das Kind keinen Anspruch mehr habe, zu zahlen, „nur um sie in der Folge wieder zurück zu fordern".

Hier wurde die teilweise Innehaltung mit der Zahlung von Unterhaltsvorschüssen gemäß § 19 Abs 3 UVG in Gestalt eines Aktenvermerks angeordnet (siehe dazu 1 Ob 78/03g). Deshalb sind die Erwägungen in der Entscheidung 7 Ob 547/94 über die allfällige Verrechnung eines Übergenusses mit den infolge Wegfalls der Innehaltung nachzuzahlenden Beträgen im Grundsätzlichen relevant. Aus dieser Entscheidung ist jedoch nicht abzulesen, es müsse eine solche Einbehaltung jedenfalls, daher - entgegen § 19 Abs 1 UVG - ohne eine Berücksichtigung der Bedürfnisse des Kindes Platz greifen.

3. Der Oberste Gerichtshof sprach in den Entscheidungen 1 Ob 601/91 und 3 Ob 506/91 aus, dass die Pflicht des Kindes zur Rückzahlung zu Unrecht erhaltener Vorschüsse im Fall der Einbehaltung nach § 19 Abs 1 letzter Halbsatz UVG nur durch die Rücksichtnahme auf seine Bedürfnisse beschränkt sei. Das könne - nach den Gründen der Entscheidung 3 Ob 506/91 - zur Anordnung der Einbehaltung entsprechend geringerer Teilbeträge, aber auch zur Abstandnahme von einer Einhebung in Fällen führen, in denen sich die Vorschüsse ohne Gefährdung des laufenden Unterhalts nicht kürzen ließen. Die Ermessensentscheidung über die Einbehaltung dürfe nach den Umständen des Einzelfalls jedenfalls nicht zu einer Gefährdung des notwendigen Unterhalts führen. Eine solche Gefährdung sei jedoch anzunehmen, wenn eine Einbehaltung eine wesentliche Unterschreitung des Durchschnittsbedarfssatzes, der einen Anhaltspunkt für die im Einzelfall zu treffende Ermessensentscheidung bilde, zur Folge hätte. Dieser Gesichtspunkt trägt auch die Entscheidung 1 Ob 601/91. Danach dürfen von gebührenden Unterhaltsvorschüssen nur dann Beträge einbehalten werden, wenn die verminderten Vorschüsse für eine ungefährdete Versorgung des Kindes ausreichen. Davon könne keine Rede sein, wenn selbst die nicht reduzierten Unterhaltsvorschüsse "hinter dem Regelbedarf" eines Minderjährigen „ganz wesentlich" zurückblieben.

4. Im Revisionsrekurs werden die von der zweiten Instanz ihrer Beurteilung zugrunde gelegten Regelbedarfssätze (302 EUR monatlich für Bianca und 264 EUR monatlich für Carmen) nicht in Zweifel gezogen. Infolgedessen stehen den Kindern hier monatliche Unterhaltsvorschüsse zu, die bei Bianca rund ein Drittel, bei Carmen rund 38 % des jeweils maßgebenden Regelbedarfssatzes erreichen. Angesichts dessen kann vor dem Hintergrund der unter 3. referierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht zweifelhaft sein, dass das Rekursgericht im angefochtenen Beschluss den bestehenden Ermessensspielraum nicht überschritt. Deshalb hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 62 Abs 1 AußStrG ab (vgl RIS-Justiz RS0008288 [noch zu § 14 Abs 1 AußStrG alt]). Daran kann auch der Umstand nichts ändern, dass nach Wegfall der Innehaltung für Bianca 444,75 EUR und für Carmen 372,05 EUR an Unterhaltsvorschüssen nachzuzahlen sein werden. Diese Beträge sind erforderlich, um den Unterhalt der Kinder - auf mehrere Monate verteilt - den Regelbedarfssätzen ein wenig anzunähern. Die Kinder mussten sich bereits in den Monaten April bis August 2005 (Nachzahlungszeitraum) und danach bis Februar 2006 (Innehaltungsanordnung vom 17. 3. 2005) mit Unterhaltsvorschüssen von monatlich je 100 EUR begnügen, obgleich damit der Aufwand für deren notwendigen Unterhalt bei weitem nicht gedeckt werden konnte. Jeder Abzug von den durch den Bund zu leistenden Nachzahlungen und den herabgesetzten Unterhaltsvorschüssen würde diese Unterhaltslage prolongieren, weil Unterhaltsvorschüsse von je 100 EUR monatlich unter Hinzurechnung der auf einige Monate aufzuteilenden Nachzahlungen noch immer erheblich hinter den Regelbedarfssätzen zurückbleiben. Maßgebend ist ferner, dass selbst laufende Unterhaltsvorschüsse nach Ablauf der Herabsetzungsperioden in der ursprünglichen Höhe erheblich unter den Regelbedarfssätzen liegen. Der Revisionsrekurs ist somit zurückzuweisen.

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