OGH 1Ob99/06z

OGH1Ob99/06z16.5.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** Josef S*****, vertreten durch die WT Tautschnig Rechtsanwalts-GmbH in Klagenfurt, wider die beklagte Partei D***** GmbH, *****, vertreten durch Saxinger Chalupsky Weber & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Linz, wegen Unterlassung (Streitwert EUR 10.000), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 20. Februar 2006, GZ 1 R 27/06f, 28/06b-10, womit der Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 9. Dezember 2005, GZ 4 Cg 225/05d-5, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 14. Dezember 2005, GZ 4 Cg 225/05d-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die insgesamt mit EUR 1.220,54 (darin enthalten EUR 203,42 USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu zahlen.

Text

Begründung

Am 6. Oktober 2005 brachte die klagende Partei beim Bezirksgericht St. Veit an der Glan eine gegen die beklagte Partei gerichtete Widerklage ein. In der vorbereitenden Tagsatzung wendete die beklagte Partei vor Eingehen in die Sache die örtliche und sachliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ein. Daraufhin sprach das Bezirksgericht St. Veit an der Glan seine örtliche und sachliche Unzuständigkeit aus und überwies über Antrag der klagenden Partei die Rechtssache an das nicht offenbar unzuständige Landesgericht Steyr. Ein Bestreitungsvorbingen in der Sache selbst war in der vorbereitenden Tagsatzung nicht erfolgt.

Wenige Tage später zog die klagende Partei ihren Überweisungsantrag zurück und beantragte, „von einer Überweisung der Klage bzw der Zustellung des Aktes an das Landesgericht Steyr Abstand zu nehmen". In eventu erklärte die klagende Partei, die Klage ohne Anspruchsverzicht gemäß § 237 Abs 1 ZPO zurückzuziehen und ersuchte, die Klagszurückziehung zur Kenntnis zu nehmen. Hierauf übermittelte das Bezirksgericht St. Veit an der Glan den Akt dem Landesgericht Steyr. Dieses fasste am 9. 12. 2005 den Beschluss, dass die Klagerückziehung unter Anspruchsverzicht zur Kenntnis diene. Mit Beschluss vom 14. 12. 2005 wurde diese Entscheidung dahin berichtigt, dass die Klagszurückziehung ohne Anspruchsverzicht zur Kenntnis genommen werde. Die Anführung des Wortes 'unter' statt 'ohne' sei irrtümlich erfolgt. Die Klagerückziehung ohne Anspruchsverzicht sei ohne Zustimmung der beklagten Partei möglich, da sich diese noch nicht in das Verfahren eingelassen habe.

Das Rekursgericht änderte diesen Beschluss dahin ab, dass es den Antrag der klagenden Partei, die Zurückziehung der Klage ohne Anspruchsverzicht zur Kenntnis zu nehmen, zurückwies. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit EUR 4.000, nicht jedoch EUR 20.000 übersteigend, und sprach letztlich aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Gemäß § 237 Abs 1 ZPO könne eine Klage ohne Verzicht auf den Anspruch und ohne Zustimmung der beklagten Partei nur bis zum Beginn der ersten Tagsatzung zurückgenommen werden. Diese zeitliche Beschränkung erfasse aber nicht den Fall, dass die klagende Partei einer prozessualen Einrede der beklagten Partei Rechnung trage und - unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diese Einrede - die Klage allein aus diesem Grund zurückziehe. Erforderlich sei aber, dass die Zurücknahme der Klage noch vor der Entscheidung des Gerichts über die Unzuständigkeitseinrede erfolge. Da der Schriftsatz der Klägerin erst nach Fassung des Überweisungsbeschlusses eingelangt sei, komme eine Klagezurückziehung nur mehr unter Verzicht auf den Anspruch in Betracht. Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Da eine wirksam vorgenommene Prozesshandlung - hier der Überweisungsantrag gemäß § 261 Abs 6 ZPO - unwiderruflich ist, sofern er bereits zum Gegenstand einer Entscheidung gemacht wurde (Gitschthaler in Rechberger, ZPO², vor § 74 Rz 1), war nur über das Eventualbegehren der klagenden Partei zu entscheiden. Der darüber ergangene Beschluss, mit dem die Klagsrücknahme vom Gericht zur Kenntnis genommen und damit die Fortsetzung des Verfahrens abgelehnt wurde, ist nach ständiger Rechtsprechung anfechtbar (RIS-Justiz RS0039796; Rechberger/Frauenberger in Rechberger, aaO §§ 237, 238, Rz 7; Fasching, Lehrbuch² Rz 1256).

Zweck der (zeitlichen) Einschränkung des Klagezurücknahmerechts ist, dass ein Beklagter nicht gegen seinen Willen mehrmals nacheinander in Rechtsstreitigkeiten wegen desselben materiellrechtlichen Anspruchs belangt werden solle, ohne eine endgültige Klärung des Streitfalls in seinem Sinn herbeiführen zu können (RIS-Justiz RS0039805). Die entsprechende Regelung findet sich im § 237 Abs 1 ZPO. In der bis 31. 12. 2002 geltenden Fassung dieser Gesetzesbestimmung konnte die Klage ohne Zustimmung des Beklagten nur bis zum Beginn der ersten Tagsatzung, wenn aber der Beklagte zu dieser nicht erschien, auch noch in der ersten Tagsatzung und, wenn keine solche stattfand, noch bis zum Einlangen der Klagebeantwortung zurückgenommen werden. Infolge Einbringung der Klage nach dem 31. 12. 2002 ist im vorliegenden Fall § 237 Abs 1 ZPO nicht mehr in dieser Fassung, sondern idF BGBl I 2002/76 zur Anwendung zu bringen (vgl Art XI Abs 2 BGBl I 2002/76). Gemäß dieser Bestimmung kann die Klage ohne Zustimmung des Beklagten nur bis zum Einlangen der Klagebeantwortung oder des Einspruchs gegen den Zahlungsbefehl zurückgenommen werden. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass infolge des - in dieser Novelle normierten - Entfalls der ersten Tagsatzung jener Zeitpunkt einfacher umschreibbar wurde, bis zu dem die Klage ohne Anspruchsverzicht und ohne Zustimmung des Beklagten zurückgenommen werden kann (962 BlgNR 21. GP, 29). Zufolge der sich aus § 431 Abs 1 ZPO ergebenden Anwendbarkeit des § 237 Abs 1 ZPO auch für das bezirksgerichtliche Verfahren (Kodek in Fasching/ Konecny2 III § 431 Rz 1) kann in diesem eine Klagszurücknahme ohne Anspruchsverzicht bis zu Beginn der mündlichen Streitverhandlung vor Eingehen in die Verhandlung zur Sache erfolgen (Fasching, Lehrbuch² Rz 1247). Ausgehend von dieser Rechtslage ist im vorliegenden Fall die ohne Anspruchsverzicht erfolgte Klagerückziehung auch ohne Zustimmung der beklagten Partei zulässig:

In der vor dem Bezirksgericht St. Veit an der Glan stattfindenden vorbereitenden Tagsatzung ist es zu einem Eingehen in die Hauptsache noch nicht gekommen; zum Zeitpunkt der Klagszurückziehung war beim Landesgericht Steyr die Klagebeantwortung noch nicht eingelangt, ein Auftrag zu deren Erstattung war noch gar nicht erteilt worden. Somit sind jene sich aus § 237 Abs 1 ZPO ergebenden Zeitpunkte nicht erreicht gewesen, ab denen eine Klagsrücknahme ohne Anspruchsverzicht nur mehr mit Zustimmung der beklagten Partei zulässig gewesen wäre. Aus diesem Grund kann der Auffassung des Rekursgerichts nicht beigepflichtet werden, die klagende Partei hätte ihre Klage nur mit Zustimmung der beklagten Partei oder unter Anspruchsverzicht zurückziehen dürfen.

Die Frage, ob die zur „alten" Rechtslage ergangene Rechtsprechung weiterhin anwendbar wäre, wonach unter bestimmten Vorraussetzungen eine Klagerückziehung ohne Anspruchsverzicht auch noch nach der ersten Tagsatzung zulässig sei (siehe nur RIS-Justiz RS0039763), stellt sich nicht. Ebensowenig muss hier die Frage beantwortet werden, ob eine Klagezurücknahme ohne Anspruchsverzicht nur bis zur Entscheidung über die Unzuständigkeitseinrede zulässig ist, befand sich doch der Rechtsstreit bereits im Zuständigkeitsbereich des Landesgerichts Steyr, wo jedenfalls die Erstattung einer Klagebeantwortung aufzutragen gewesen wäre.

Dem Revisionrekurs ist daher Folge zu geben und der erstgerichtliche Beschluss in seiner berichtigten Fassung wiederherzustellen. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 und 41 ZPO.

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