Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung
Mit Beschluss vom 5. Dezember 2005 übertrug das Erstgericht dem steirischen Jugendwohlfahrtsträger für die am 22. März 1994 geboren Minderjährige (im Folgenden nur: Mj) bulgarischer Staatsangehörigkeit die Obsorge im Teilbereich Pflege und Erziehung „einschließlich gesetzlicher Vertretung für diesen Bereich zur Durchführung der vollen Erziehung". Nach den dort getroffenen Feststellungen wurde die Mj am 28. November 2005 „als Mitglied einer bulgarischen Diebsbande" aufgegriffen. Sie war damals in Begleitung „einer erwachsenen bulgarischen Frau", mit der sie nicht verwandt ist. Im Zuge der Erhebungen stellte sich heraus, dass nach der Mj, deren Eltern damals noch unbekannt waren, „bereits wegen mehrfacher begangener Taschendiebstähle und darauf folgender Bankomatabhebungen gefahndet" worden war. Die Mj spricht kein Wort Deutsch und hat keine Verwandten mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich. Sie wurde in einem Grazer Jugendheim untergebracht, aus dem sie - nach dem weiteren Akteninhalt - seit 15. Dezember 2005 abgängig ist.
Am 13. Dezember 2005 beantragte die - anwaltlich vertretene - Mutter der Mj deren „Entlassung" aus der Obsorge des Landes Steiermark und "die Überlassung der Obsorge" an sie.
Dieses Begehren wies das Erstgericht ab. Es stellte noch fest, die die Mj „bisher umgebenden Personen" hätten sie „zweifelsfrei mit erheblicher krimineller Energie indoktriniert", sodass der Antrag der Mutter „mit mühevoller Aufbringung größten Wohlwollens noch als naiv" zu bezeichnen sei.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu. Es präzisierte die maßgebenden Tatsachen dahin, dass die Mj am 28. November 2005 wegen des Verdachts des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls und des Diebstahls im Rahmen einer kriminellen Vereinigung in vorläufige Verwahrung genommen wurde und sie „einen unrichtigen Namen und ein unrichtiges Geburtsdatum" angegeben hatte. Auch nach Ansicht der zweiten Instanz befand sich die Mj „in einer Umgebung ..., in der sie massiv kriminell beeinflusst" wurde. Deshalb sei das Einschreiten des Jugendwohlfahrtsträgers zur Wahrung deren Interessen geboten gewesen. Daran könne der Hinweis der Mutter nichts ändern, nicht gewusst zu haben, „welchen Personen sie ihre Tochter anvertraut habe". Der Revisionsrekurs der Mutter ist unzulässig.
Rechtliche Beurteilung
1. Die Mj hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Österreich, sondern offenkundig in ihrem Heimatland Bulgarien, behauptet doch die Mutter im Revisionsrekurs, sie und die Mj seien „in Österreich lediglich als Touristen vorübergehend anwesend". Daraus folgt aber für die Erledigung des Rechtsmittels, dass hier das Haager Minderjährigenschutzabkommen (BGBl 1975/446) - Bulgarien ist nicht Vertragsstaat dieses Übereinkommens - nach dem Akteninhalt nicht eingreift. Dessen Anwendung setzte neben der Minderjährigkeit der Betroffenen voraus, dass diese ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat des Abkommens - demnach etwa in Österreich - hätte. Ein solcher Aufenthalt in einem Vertragsstaat wird im Allgemeinen erst ab einer Dauer von etwa sechs Monaten und nach einer weitgehenden Integration des Mj in die Gesellschaft des Aufenthaltsstaats angenommen (zuletzt so 7 Ob 209/05v).
2. Relevant für Obsorgeregelungen durch österreichische Gerichte, die die Mj betreffen, ist der Konsularvertrag zwischen Österreich und Bulgarien (BGBl 1976/342). Nach dessen Art 17 ist der Konsul berechtigt, etwa zur Wahrung der Rechte von Mj des Entsendestaats vor den Gerichten oder den Verwaltungsbehörden des Empfangsstaats einzuschreiten. Im Fall der amtlichen Bestellung eines Vormunds, Kurators oder sonstiger Vertreter ist das Konsulat von der maßgebenden Behörde zu verständigen. Vor diesem Hintergrund ist zu betonen, dass die inländische Gerichtsbarkeit für die im Dezember 2005 getroffene Obsorgeregelung als dringende Anordnung im Interesse des Wohls der Mj gemäß § 110 Abs 1 Z 2 zweiter Fall JN gegeben war. Diese Maßnahme diente und dient der Sicherstellung der Rückführung der Mj in ihre Heimat in Abstimmung mit dem bulgarischen Konsulat. Es handelt sich daher im Ergebnis lediglich um eine vorläufige dringliche Anordnung über deren Pflege und Erziehung, solange sie sich bis zu ihrer Rückführung in die Heimat in Österreich aufhält. Die Ansicht der Vorinstanzen, dass die Ausübung der Pflege und Erziehung der Mj in Österreich durch die Mutter auf Grund des in diesem dringlichen Fall gemäß § 4 Abs 2 IPRG anzuwendenden österreichischen Rechts nicht in Betracht kommt, wird durch eine Leitlinie der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs getragen. Danach hatte die bekämpfte Antragsabweisung lediglich die Nichterfüllung elterlicher Pflichten durch die Mutter nach objektiven Gesichtspunkten zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0048633). Die Beurteilung dessen erfolgte auf dem Boden der näheren Umstände dieses Falls. Insofern hängt aber die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 62 Abs 1 AußStrG ab, haftet doch dem bekämpften Beschluss keine Fehlbeurteilung in Ansehung der allein bedeutsamen Wahrung des Wohls der Mj in Österreich an (vgl RIS-Justiz RS0007101).
Der außerordentliche Revisionsrekurs ist somit zurückzuweisen, ohne dass diese Entscheidung einer weiteren Begründung bedürfte.
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