Spruch:
In der Strafsache gegen Richard P***** wegen § 222 Abs 1 StGB, AZ 2 U 16/99f des Bezirksgerichtes Hermagor, verletzen
1. die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Hermagor vom 28. September 2001 (ON 33) und vom 19. September 2005 (ON 44) die Bestimmungen der §§ 68 Abs 3, 70 Abs 1 und 71 Abs 1 StPO,
2. der Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt als Beschwerdegericht vom 22. Dezember 2005, AZ 7 Bl 142/05h (ON 50), die Bestimmung des § 68 Abs 3 StPO,
3. der Vorgang, dass es das Bezirksgericht Hermagor unterließ, dem Landesgericht Klagenfurt die Beschwerde des Verurteilten (ON 34) gegen den Beschluss vom 28. September 2001 vorzulegen, die Bestimmung des § 481 StPO iVm § 179 Abs 1 Geo.
Gemäß § 292 letzter Satz StPO werden die unter Punkt 1. und 2. angeführten Beschlüsse des Bezirksgerichtes Hermagor und des Landesgerichtes Klagenfurt aufgehoben und dem Bezirksgericht Hermagor die neuerliche Entscheidung über die Anträge auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens und Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers unter Beachtung der Bestimmung des § 68 Abs 3 StPO aufgetragen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Hermagor vom 11. Juni 1999, GZ 2 U 16/99f-14, wurde Richard P***** des Vergehens der Tierquälerei nach § 222 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Geldstrafe verurteilt. Der dagegen vom Angeklagten erhobenen Berufung gab das Landesgericht Klagenfurt mit Urteil vom 19. Oktober 1999, AZ 7 Bl 153/99 (ON 20), nicht Folge.
Mit Eingaben vom 2. Juli 2001 (ON 29) und vom 4. September 2001 (ON 31) beantragte Richard P***** die Wiederaufnahme des Strafverfahrens. In einem Schreiben vom 17. September 2001 (bei Gericht eingelangt am 18. September 2001) lehnte der Verurteilte den seinerzeitigen Verhandlungsrichter des Bezirksgerichtes Hermagor als befangen ab (ON 32).
Anstatt sich im Hinblick auf den Ausschlussgrund des § 68 Abs 3 StPO jeder weiteren Amtshandlung zu enthalten (§ 71 StPO) und unverzüglich seiner Anzeigepflicht gemäß § 70 Abs 1 StPO nachzukommen, wies der Bezirksrichter selbst den Wiederaufnahmeantrag mit Beschluss vom 28. September 2001, GZ 2 U 16/99f-33, ab. Dagegen erhob Richard P***** Beschwerde, in welcher er den seinerzeitigen Verhandlungsrichter neuerlich als befangen ablehnte (ON 34). Anlässlich einer Vernehmung vor dem Landesgericht Klagenfurt am 28. Jänner 2002 zum AZ 24 Nc 5/01k wiederholte er diesen Ablehnungsantrag und zog seine Beschwerde nicht zurück (ON 36).
Am 4. April 2002 legte der Bezirksrichter, der damals zum Amtsleiter des Bezirksgerichtes Hermagor bestellt war, diese Ablehnungsanträge gemäß § 74 Abs 2 StPO der Ratskammer des Landesgerichtes Klagenfurt vor (ON 37), die in offensichtlicher Unkenntnis der seit 1. Jänner 1994 geltenden Bestimmung des § 68 Abs 3 StPO die Ausgeschlossenheit des Erstrichters nicht aufgriff, sondern die Anträge abwies (ON 38). Eine Vorlage der Beschwerde ON 34 an das Landesgericht Klagenfurt als Beschwerdegericht ist entgegen der Bestimmung des § 179 Abs 1 Geo unterblieben, sodass über dieses Rechtsmittel nie entschieden wurde. Am 9. August 2005 stellte Richard P***** beim Bezirksgericht Hermagor einen neuerlichen Wiederaufnahmeantrag und ersuchte um Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers (ON 43). Trotz seiner Ausgeschlossenheit wies der Bezirksrichter mit Beschluss vom 19. September 2005 auch diesen Wiederaufnahmeantrag selbst ab und verweigerte die Beigebung eines Verteidigers gemäß § 41 Abs 2 StPO (ON 44).
Dagegen erhob der Verurteilte eine Beschwerde, die er im Wesentlichen damit begründete, im erstinstanzlichen Verfahren hätten Zeugen falsch ausgesagt. Die Ausgeschlossenheit des Erstrichters machte er nicht ausdrücklich geltend.
Das Landesgericht Klagenfurt als Beschwerdegericht gab der Beschwerde am 22. Dezember 2005 nicht Folge (ON 50).
Rechtliche Beurteilung
Wie der Generalprokurator in seiner Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, stehen die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Hermagor vom 28. September 2001 und vom 19. September 2005, die Beschwerdeentscheidung des Landesgerichtes Klagenfurt vom 22. Dezember 2005 sowie der Vorgang, dass es das Bezirksgericht Hermagor unterließ, die Beschwerde des Richard P***** gegen den Beschluss vom 28. September 2001 dem Landesgericht Klagenfurt vorzulegen, mit dem Gesetz nicht im Einklang. Gemäß § 68 Abs 3 StPO (in die Strafprozessordnung eingefügt mit Strafprozessänderungsgesetz 1993, BGBl 1993/526, in Kraft getreten am 1. Jänner 1994) sind Richter, die an der früheren Hauptverhandlung teilgenommen haben, von der Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme (§ 356 StPO) ausgeschlossen. Der seinerzeitige Verhandlungsrichter des Bezirksgerichtes Hermagor wäre daher jeweils nach Einlangen des Wiederaufnahmeantrages verpflichtet gewesen, den Ausschlussgrund unverzüglich dem Gerichtsvorsteher bzw dem Präsidenten des Gerichtshofs erster Instanz anzuzeigen und sich jeder weiteren Amtshandlung zu enthalten (§§ 70 f StPO). Eine Entscheidung über die Wiederaufnahmeanträge war ihm jedenfalls verwehrt. Gemäß § 114 Abs 4 erster Satz zweiter Halbsatz (11 Os 49/05g, 72/05f) hätte sich das Landesgericht Klagenfurt in seinem Beschluss vom 22. Dezember 2005 (ON 50) nicht auf die Prüfung des Beschwerdevorbringens beschränken dürfen, sondern vielmehr die Ausgeschlossenheit des Erstrichters wahrnehmen, den angefochtenen Beschluss vom 19. September 2005 aufheben und dem Bezirksgericht Hermagor ein gesetzeskonformes Vorgehen unter Beachtung des § 68 Abs 3 StPO auftragen müssen.
Gemäß § 481 StPO steht im bezirksgerichtlichen Verfahren das Rechtsmittel der Beschwerde an den Gerichtshof erster Instanz gegen alle nicht urteilsmäßigen richterlichen Entscheidungen und nicht bloß prozessleitenden Verfügungen zu (Rainer, WK-StPO § 481 Rz 1). Solche Beschwerden sind nach der das Rechtsmittelrecht konkretisierenden Bestimmung des § 179 Abs 1 Geo ohne Aufschub dem zur Entscheidung berufenen Gericht vorzulegen. Durch die Nichtvorlage der Beschwerde des Angeklagten (ON 34) gegen den Beschluss vom 28. September 2001 (ON 33) wurde jedoch eine Überprüfung der angefochtenen Entscheidung durch das Beschwerdegericht verhindert.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die festgestellten Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt haben, waren die betroffenen Beschlüsse des Bezirksgerichtes Hermagor und des Landesgerichtes Klagenfurt aufzuheben und dem Bezirksgericht Hermagor die neuerliche Entscheidung aufzutragen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)