Spruch:
Der Antrag des Angeklagten Firat Ö***** auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen Versäumung der Frist zur Ausführung seiner Rechtsmittel sowie seine Nichtigkeitsbeschwerde werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten Firat Ö***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auch rechtskräftige Schuldsprüche der Angeklagten Hüseyin A*****, Cenker Y*****, Gökhan Yi***** und Talip Ar***** enthaltenden Urteil wurde Firat Ö***** der Verbrechen des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB, teils als Beitragstäter nach § 12 dritter Fall StGB schuldig erkannt (I.B, II.A).
Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand:
Der durch zwei Wahlverteidiger vertretene Angeklagte Firat Ö***** meldete gegen das Urteil - ohne nähere Anführung von Nichtigkeitsgründen - rechtzeitig die Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an (ON 266, 267). Am 27. Juli 2005 verfügte der Vorsitzende die Zustellung der Urteilsausfertigung an die Staatsanwaltschaft und alle Verteidiger, wobei hinsichtlich der Rechtsvertreter des Angeklagten Dr. Doczekal und Dr. Kresbach der Beisatz angebracht wurde: „Jeweils zur Ausführung der angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung unter Hinweis darauf, dass nur eine RM-Ausführung zulässig ist (SSt 5/39)" (ON 270). Während die Urteilsausfertigung sämtlichen anderen Verteidigern eigenhändig zugestellt wurde, erfolgten die Zustellungen an Dr. Doczekal und Dr. Kresbach jeweils mit RSb, wobei auf den unter ON 270 erliegenden Rückscheinen der Inhalt der Sendung mit: „GS ON 263, N.v. 27. 7. 2005" bezeichnet wurde.
Die betreffenden Zustellnachweise wurden jeweils am 11. August 2005 unterfertigt.
Mit am 13. September 2005 bei Gericht eingelangtem Schriftsatz vom 8. September 2005 beantragte Dr. Doczekal die Zustellung des Urteils vom 12. Juli 2005 an ihn und Dr. Kresbach mit der Begründung, dass die von ihnen am 11. August 2005 übernommenen Briefsendungen lediglich den bereits wiedergegebenen richterlichen Hinweis vom 27. Juli 2005 zur Rechtsmittelausführung, nicht aber die Urteilsausfertigungen enthalten hätten. Unter einem führte er „aus anwaltlicher Vorsicht, für den Fall, dass aus einem bisher nicht ersichtlichen Grund die ordnungsgemäße Zustellung des Urteils angenommen wird" eine auf § 345 Abs 1 Z 9 und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde und eine Berufung aus (ON 279).
Am 8. September 2005 begab sich Dr. Doczekal überdies zu Gericht, brachte vor wie in seinem Antrag und erhielt eine Kopie der Urteilsausfertigung (AV vom 8. September 2005, S 83/VI). Über gerichtliche Anregung (ON 280) stellten Dr. Kresbach und Dr. Doczekal am 22. September 2005 einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Rechtsmittelausführung, mit dem sie die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung verbanden (ON 281).
Der Umstand, dass - im Gegensatz zu den eigenhändig bewirkten Zustellungen der Urteilsausfertigungen an die übrigen Verteidiger - die Zustellung an Dr. Doczekal und Dr. Kresbach (nur) mittels Rsb erfolgte, indiziert, dass die Sendungen keine Urteilsausfertigungen enthielten, sodass deren diesbezüglichem Vorbringen zu folgen ist. Somit wurde die in ihrer prozessualen Wirksamkeit von der Gesetzmäßigkeit des Zustellvorganges abhängige Rechtsmittelfrist mit der am 8. September 2005 durch persönliche Übergabe einer Urteilsausfertigung an Dr. Doczekal in Gang gesetzt, weshalb die am 22. September 2005 persönlich überreichte, gemäß § 285 Abs 1 StPO allein maßgebliche Nichtigkeitsbeschwerde (ON 281) rechtzeitig ausgeführt wurde. Damit mangelt es dem Wiedereinsetzungsbegehren an der Voraussetzung der Versäumung einer Frist; der betreffende Antrag war daher als gegenstandslos zurückzuweisen.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde:
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat Firat Ö***** in Wien I.B) am 19. September 2004 in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit Gökhan Yi***** und Talip Ar***** als Mittäter mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, dem Andreas H***** durch Gewalt gegen seine Person und Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) unter Verwendung einer Waffe ca 60 Euro Bargeld, ein Mobiltelefon Nokia, eine Herrenarmbanduhr Poliot und einen silberfärbigen Ring in jeweils nicht mehr feststellbaren Wert weggenommen, indem Firat Ö***** und Gökhan Yi***** auf Andreas H***** einschlugen und eintraten, ihn mit (unechten) Pistolen bedrohten und Gökhan Yi***** ihm ein Messer an den Hals hielt, während Talip Ar***** ihm die genannten Gegenstände wegnahm;
II.A) am 25. September 2004 zu der in Punkt I.A) angeführten Straftat, nämlich einem von Hüseyin A***** und Gökhan Yi***** am selben Tag zum Nachteil der Firma S***** verübten Raub, bei dem Herbert und Martina K***** mit einer „(unechten) Pistole" bedroht und mit einem Pfefferspray besprüht wurden und Herbert K***** eine Tasche mit ca 11.300 Euro Bargeld weggenommen wurde, durch Bereithalten eines Fluchtfahrzeuges in der Nähe des Tatorts beigetragen.
Rechtliche Beurteilung
Der allein gegen Faktum I.B) aus § 345 Abs 1 Z 6, 9 und 10a StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt keine Berechtigung zu. Die Fragenrüge (Z 6), mit der der Angeklagte unter Hinweis auf seine Verantwortung, von dem von Gökhan Yi***** verwendeten Messer nichts gewusst zu haben, die Stellung einer uneigentlichen Zusatzfrage nach der Qualifikation nach § 143 zweiter Fall StGB neben der Hauptfrage nach dem Grundtatbestand des Raubes vermisst, legt nicht dar, aus welchem Grund dem Schwurgerichtshof fallbezogen - entgegen dem Wortlaut des § 317 Abs 2 StPO - die Möglichkeit verwehrt gewesen sein soll, Fragen zusammenzufassen. Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, dass strafsatzändernde Erschwerungs- und Milderungsumstände zwar durchaus zum Gegenstand einer Frage nach § 316 StPO gemacht werden können, aber auch in die Hauptfrage aufgenommen werden dürfen (§ 317 Abs 2 StPO; Schindler, WK-StPO § 316 Rz 4). Der in letzterem Fall gebotenen Verpflichtung, die Geschworenen über die Möglichkeit einer einschränkenden Bejahung der Hauptfrage (§ 330 Abs 2) hinzuweisen, wurde hier entsprochen (S 13 der schriftlichen Rechtsbelehrung, Beil ./D zu ON 262). Damit stand den Geschworenen die - im Übrigen in Bezug auf die hinsichtlich Hüseyin A***** gestellte Eventualfrage 1 genützte - Möglichkeit offen, die der Hauptfrage 4 zugrunde liegende Qualifikation nach § 143 zweiter Fall StGB durch eine entsprechend einschränkende Bejahung der Hauptfrage („Ja, aber ohne Verwendung einer Waffe") auszuschalten.
Entgegen dem weiteren Vorbringen kann der Nichtigkeitsgrund der Z 9 nur aus dem - hier eindeutigen - Wahrspruch selbst, nicht aber aus beweiswürdigenden Erwägungen zur Kenntnis der Tatbeteiligten von der Verwendung eines Messers abgeleitet werden.
Nach Prüfung des Beschwerdevorbringens anhand der Akten ergeben sich für den Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen (Z 10a).
Gestützt auf einzelne isoliert hervorgehobene Beweisergebnisse und unter Hinweis auf die Anwesenheit sämtlicher Angeklagter in der Tatwohnung bekämpft der Beschwerdeführer lediglich in im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Geschworenen. Diesen standen insbesondere die Angaben des (später verstorbenen Tatopfers - S 307 ff/II) zur Verfügung, denen zufolge die erst später in die Wohnung gelangten Angeklagten Yi***** und Ö***** gemeinsam im Schlafzimmer auf Andreas H***** einschlugen, wobei der Beschwerdeführer ihn mit einer Pistolenattrappe bedrohte und Yi***** - von diesem auch zugestanden (S 399 ff/VI) - ihm ein Messer gegen den Kopfbereich hielt, um ihm weitere Sachen abzunötigen. Aus welchem Grund in einer derartigen Situation ein unmittelbar neben einem anderen Mittäter agierender Gewalttäter den Einsatz des Messers nicht hätte wahrnehmen sollen, legt die Beschwerde nicht substanziiert dar. Dass der laut Ar***** (S 407/VI) zufolge Alkoholkonsums bewegungsunfähige Angeklagte A***** seinerseits das erst in der Wohnung von Yi***** an sich genommene Messer nicht beobachtete, vermag die Beweislage zugunsten des Beschwerdeführers nicht zu verändern.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO), woraus die Kompetenz des Oberlandesgerichtes Wien zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§§ 344, 285i StPO). Die Kostenentscheidung ist § 390a Abs 1 StPO begründet.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)