OGH 12Os128/05y

OGH12Os128/05y15.12.2005

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Dezember 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Popelka als Schriftführer, in der Strafsache gegen Josip I***** wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom 27. April 2005, GZ 39 Hv 1/05x-80, sowie über die Beschwerde des Genannten gegen den zugleich gefassten Widerrufsbeschluss nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung „wegen Schuld" werden zurückgewiesen.

Aus deren Anlass (§ 290 Abs 1 StPO) wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, teilweise im Punkt B, und zwar in Ansehung der inhaltlich des Schuldspruchs jeweils in Kroatien einmal durch Auseinanderziehen der Schamlippen der Tamara M***** und Anfertigung von Fotos ihres Genitals sowie ein weiteres Mal durch Streicheln der Genannten im Scheidenbereich während einer Autofahrt (US 11) verübten Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen, demgemäß auch im Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung und des gemäß § 494a StPO gefassten Beschlusses sowie im Zuspruch an die Privatbeteiligte aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wegen Strafe und wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche sowie seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am (richtig) 29. Mai 1980 geborene Angeklagte Josip I***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (A/1. und 2.) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (B) sowie der Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (C) schuldig erkannt. Darnach hat er zu nicht mehr näher bestimmbaren Zeitpunkten im Jahr 2003 bis Mitte Juli 2004 in Salzburg und Kroatien

A) (ausschließlich in Salzburg) mit seiner am 14. April 1996

geborenen Nichte Tamara M***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, und zwar

  1. 1. in einem Angriff durch Einführen eines Fingers in die Scheide und
  2. 2. in wiederholten Angriffen durch Einführen seiner Zunge in die Scheide;

    B) dadurch, dass er in mindestens zwei Angriffen die am 14. April 1996 geborene Tamara M***** unter der Unterhose an ihrem Geschlechtsteil betastete, sowie dadurch, dass er in wiederholten Angriffen die Scheide der Genannten auseinander zog und Fotos auf seinem Handy anfertigte, geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person vorgenommen;

    C) (ausschließlich in Salzburg) in wiederholten Angriffen dadurch,

    dass er in Gegenwart der unmündigen Tamara M***** Selbstbefriedigung bis zum Samenerguss betrieb und der Genannten Pornofilme zeigte, vor einer unmündigen Person Handlungen vorgenommen, die geeignet waren, die sittliche, seelische und gesundheitliche Entwicklung von Personen unter sechzehn Jahren zu gefährden.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus den Gründen der Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde geht fehl. Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung von Beweisanträgen keine Verteidigungsrechte verletzt:

Der Antrag auf Vernehmung der Gerichtsvollzieherin Inge R***** als Zeugin zum Beweis, dass die Lebensgemeinschaft Toth - (Meryen) M***** (Mutter der Tamara M*****) entgegen deren Behauptungen nach wie vor aufrecht, deren gemeinsame Wohnung als Substandardwohnung zu bezeichnen ist und „die Lebensbedingungen, in denen das Mädchen (Tamara M*****) lebt, „nicht gut bzw sogar sehr schlecht sind", lässt jeglichen Bezug zu den Anklagevorwürfen vermissen und legt - obwohl von selbst nicht einsehbar - nicht dar, warum die Erweisung der thematisierten Umstände für die Beweiswürdigung des Schöffengerichtes entscheidend sein könnte.

Gleiches gilt für die Ablehnung der „Fortsetzung der kontradiktorischen Einvernahme der minderjährigen Tamara zum Beweis dafür, dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegte Tat nicht begangen hat", der weiters damit begründet wurde, dass „die kontradiktorische Vernehmung am 4. November 2004 auf Vorschlag der Sachverständigen und des Untersuchungsrichters beendet wurde und die Verteidigung nicht die Möglichkeit hatte, weitere Fragen zur Überprüfung der Aussage anhand von Realkennzeichen (im Hauptverhandlungsprotokoll als Schreibfehler erkennbar „Realkonzepten" - S 236/II) zu stellen".

Denn es mangelt schon an einem Vorbringen, zu welchem Thema das ca zwei Stunden lang vernommene (vgl ON 16) achtjährige Mädchen Tamara M***** noch hätte befragt werden sollen. Im Übrigen hatten die bei der kontradiktorischen Vernehmung anwesenden Personen - sohin auch der Angeklagte und sein Verteidiger - am Schluss der Einvernahme erklärt, keine weiteren Fragen zu stellen (S 162/I). Nur der Vollständigkeit halber ist noch darauf hinzuweisen, dass die Zeugin erklärt hatte, nicht noch einmal aussagen zu wollen und „jedenfalls von ihrem Entschlagungsrecht im Sinn des § 152 Abs 1 Z 2a StPO Gebrauch zu machen" (S 123/I).

Die im Rechtsmittel beantragte Berichtigung des unzweifelhaft erkennbaren Schreibfehlers (iS des § 271a Abs 7 erster Satz iVm § 270 Abs 3 erster Fall StPO) im Hauptverhandlungsprotokoll in Ansehung des in Rede stehenden Beweisantrages („Realkonzepten" statt „Realkennzeichen" - S 236/II; vgl dazu auch S 62 und 206 f/II) wird von der Vorsitzenden vorzunehmen sein.

Schließlich verfiel auch der Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens aus dem Bereich der Aussagepsychologie zum Beweis, „dass der Angeklagte die ihm zur Last gelegte Tat nicht begangen hat und belastende Angaben der Zeugin nicht glaubhaft sind, gemessen an den Kriterien einer Glaubwürdigkeitsuntersuchung" zu Recht der Ablehnung.

Denn die Sachverständige Mag. L***** hat alle an sie gerichteten Fragen nachvollziehbar und wissenschaftlich begründet beantwortet (S 204 ff/II), sodass das Schöffengericht zutreffend das Vorliegen von Mängeln iS des § 126 StPO verneinte (S 240/II). Auch mit dem Hinweis auf deren Äußerung gegenüber der Zeugin Tamara M*****, „da wissen wir jetzt ungefähr schon, was alles passiert ist" bzw „da wissen wir jetzt einmal, dass mit dem Sebastian nichts gewesen ist" wird kein Umstand aufgezeigt, der einen solchen Mangel des Gutachtens bewirken konnte. Der Vorwurf, die Sachverständige übergehe bei der Gutachtenerstattung, dass Tamara M***** „bereits einen anderen Mann zuvor, nämlich den Lebensgefährten ihrer Mutter, sexueller Übergriffe bezichtigt hatte", ist nicht aktengetreu, weil weitere Missbrauchshandlungen durch einen anderen Täter von der Expertin nicht ausgeschlossen wurden (S 218/II).

Die Mängelrüge (§ 281 Abs 1 Z 5 StPO) erschöpft sich in einer Bekämpfung des erwähnten aussagepsychologischen Gutachtens, vermag aber keinen Umstand aufzuzeigen, der seine Heranziehung als Beweismittel gehindert hätte. Der Umstand, dass sich die Sachverständige unmittelbar nach der kontradiktorischen Vernehmung des Mädchens gegenüber dem Untersuchungsrichter - im Hinblick auf die bevorstehende Haftprüfung - zum voraussichtlichen Ergebnis ihres Gutachtens geäußert hatte, wurde vom Erstgericht entsprechend gewürdigt. Dabei hat es auch klargestellt, dass diese Äußerung bloß in einer Verneinung der Frage des Untersuchungsrichters bestanden habe, ob die Zeugin von vornherein unglaubwürdig sei (US 33). Eine Befangenheit der Sachverständigen kann daraus nicht abgeleitet werden.

Die Beurteilung der Wahrheit und der Richtigkeit der Aussage von Zeugen ist als Prüfung der Glaubwürdigkeit und Beweiskraft der im Verfahren vorgeführten Beweismittel ein Akt freier Beweiswürdigung, der ausschließlich dem Gericht zusteht, das sich dabei - in besonders gelagerten Fällen - eines Sachverständigengutachtens über die Beobachtungsfähigkeit und Wiedergabefähigkeit dieser Zeugen bedienen kann (vgl 13 Os 98/95).

Die Tatsachenrüge (Z 5a), die sich ausschließlich gegen den Beweiswert dieses Hilfsbeweismittels richtet, vermag keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen aufzuzeigen. Im Übrigen hat das Erstgericht das Gutachten sorgfältig gewürdigt und dabei die Einwände der mangelnden Erfahrung und Befähigung sowie der Befangenheit der Sachverständigen verworfen, womit sich der Beschwerdeführer gar nicht auseinandersetzt. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits in nichtöffentlicher Sitzung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

In gleicher Weise war mit der gegen kollegialgerichtliche Urteile unzulässigen Schuldberufung zu verfahren.

Aus Anlass dieser Rechtsmittel überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch davon, dass der Schuldspruch des Angeklagten wegen der von ihm als kroatischem Staatsangehörigem (US 1, 4) in Kroatien verübten Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen (Teil des Punktes B - vgl US 11) mit Nichtigkeit behaftet ist, weil die Geltung der österreichischen Strafgesetze nach § 64 Abs 1 Z 4a StGB mangels österreichischer Staatsangehörigkeit nicht in Betracht kommt, die Voraussetzungen für eine Bestrafung im Inland nach § 65 Abs 1 Z 2 StGB aber weder festgestellt, noch erhoben wurden.

Diese vom Angeklagten nicht geltend gemachte, von Amts wegen (§ 290 Abs 1 StPO) wahrzunehmende Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) des in Rede stehenden Teils des Schuldspruchs erfordert dessen Aufhebung und Zurückverweisung an das Erstgericht zur Klärung der bezeichneten Strafbarkeitsvoraussetzungen.

Die Kassation der weiteren im Spruch bezeichneten Aussprüche ist eine Folge dieser Teilaufhebung.

Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.

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